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 Anthony Kiedis bei einer Show der Red Hot Chili Peppers in Italien im Oktober.

© dpa/Giorgio Benvenuti

Red Hot Chili Peppers in Berlin: Der Floh hüpft wieder

Funky Angeberei und wunderbare Romantikknaller. Die Red Hot Chili Peppers spielen in Berlin energetisch wie eh und je.

Irgendwo muss man ja hin mit seiner Energie. Bei Flea, dem Höllenbassisten, dem Multiinstrumentalisten, dem bis auf die Fingerknöchel zutätowierten ADHS-Kandidaten, der mehr oder weniger die letzten 32 seiner 54 Erdenjahre mit seiner Band verbracht hat, fließt sie direktemang in die rechte Hand. Diese zupft, slappt und haut verlässlich seinen Bass, bis jener Sound entsteht, der ihre Songs, auch die langsamen, unverkennbar macht, und – meistens - vor dem Kitsch bewahrt.

Denn das ist vielleicht das Bemerkenswerteste an den Red Hot Chili Peppers, die am Donnerstag in der ziemlich ausverkauften Allzweckwaffe, der Benz-Arena spielten: Sie sind in gewisser Weise zwar der kleinste, aber auch der geilste gemeinsame Nenner der Band. (Wobei das Wort „geil“ im zeitlichen Zusammenhang zu sehen ist – es stammt aus dem gleichen Jahrzehnt wie die Band). Zwischenzeitlich, seit der Bandgründung 1983, ist einiges passiert.

Doch nach dem frühen Drogentod (1988) des ersten Gitarristen und der überstandenen Abhängigkeit von Sänger Anthony Kiedis, nach zehn Alben größtenteils beeindruckender Qualität, nach x Neubesetzungen, nach einigen Gesangsstunden (Kiedis’ frühere Tonhöhenschwäche ist legendär), nach Welthits und Platten wie „Give It Away“, „Under The Bridge“, „Californication“ und „By The Way“ stehen sie jetzt, bei der Tour zum elften Album „The Getaway“, noch immer zu diesen für eine Rockband ungewöhnlichen, stimmungsvollen Balladen.

Die Kalifornier passen gut in die Stadt

Jene merkwürdig verzweifelten, mit zum Tränendrüsenquetschen schönen Harmonien ausgestatteten, zuweilen mit Flöte und Harfe arrangierten Romantikknaller sind sogar ihr Markenzeichen geworden. Diese Sounds sind der Grund, wieso sich so viele Menschen auf die RHCP einigen können, und die Band dennoch dabei nicht verliert. Der Grund dafür, dass sie die einzige Konsensband ist, der man das nicht übelnehmen kann.

Das tut das Berliner Publikum  aber eh nicht: Irgendwie passen die Kalifornier mit ihrer Mischung aus dicke Hose und kalte Füße gut in die Stadt, wie sie mal war; irgendwie trifft diese Stimmung aus Gefühle zeigen und Posen hier auf eine Menge verwandter Seelen, von denen viele Ureinwohner sind. Vielleicht liegt es auch ein bisschen an der (wirklich!) sagenhaft geschmackvollen Lightshow mit rechteckigen Lichtmustern und moderaten Op-Art-Videos. Als Flea plötzlich kurz eine pointenlose, aber sympathische Anekdote über seinen Gig im Berlin von 1988 zu ein paar typischen Bassakkorden improvisiert (damals spielte die Band im Loft, wer es miterlebt hat, weiß, wie rau und energetisch das war), klatschen nicht wenige jedenfalls so erinnerungsschwanger wie begeistert.

Herzzerreißende Harmonien

Fast alle Gäste haben außerdem bereits brav die neue, dem Brav-Trend der Band folgenden Platte „The Getaway“ gehört, von der am Donnerstag einiges vorgestellt wurde. Allen voran der bereits als Radiohit etablierte „Dark Necessities“: Ein Song wie jeder andere RHCP-Song – und darum auch so gut wie jeder andere. Flea klöppelt sich beherzt über das anfängliche Popkitschklavier hinweg, dazu gibt es herzzerreißende Harmonien, Kiedis’ symptomatisches, melancholisches Schimpfen aus dem eitel ausgestellten Muskel-Brustkorb, Breaks, Mitsingzeilen - alles drin.

Die hübschen Backgroundgesänge kommen auch live mustergültig von Gitarrist Josh Klinghoffer, der den vor ungefähr sechs Jahren endgültig ausgestiegenen John Frusciante ersetzte. Manche Fans behaupten, dessen Hendrix-Clapton-Sound fehle der Band noch immer, andere wollen Dave Navarro zurück, wieder andere finden eh nur den ersten Gitarristen Hillel Slovak, Gott hab ihn selig, richtig gut, und wem das hier zu musiknerdig ist: So sind die RHCP eben. Sie spielen schon so lange mit, dass ihre Geschichte in vielen Fällen auch die eigene ist. Bei diesem hohen Niveau kann man also nichts anderes tun, als Nerd zu werden.

Anthony Kiedis mit Erkältung

Am Donnerstag schwächelte tatsächlich einzig Kiedis ein wenig – das lag aber, das konnte man gut hören und seinem permanenten Hustenbonbonlutschen zwischen den Songs entnehmen, an einer Erkältung, und heiser scheinen vor allem die Romantikparts zwischen dem Gerappe eine Herausforderung zu sein. Vielleicht jammten seine drei Kollegen ja aus diesem Grund derartig viel und selbstvergessen miteinander - von Anfang an, nicht erst am Ende, wenn die Jamberechtigung durch erwartbare Hitpräsentation beim Publikum erbettelt wurde. Man kennt sich gut, und hat sichtbar Freude am funky Angeben: Schlagzeuger Chad Smith, der einen Tag vorher medienwirksam beim ALBA-Spiel in der Allzweckwaffe gewesen war, und dort sogar im Fanblock mitgetrommelt hatte, Klingenhoff, zwei Tourmusiker an Keyboards und elektronischer Percussion, und Flea.

Der kam am Ende, zur Zugabe „Give It Away“ übrigens mal wieder auf den Händen auf die Bühne gewackelt – die üblichen Sperenzchen einer mit sich selbst im Reinen seienden Rampensau. Nur gut anziehen kann er sich nicht. Er trägt noch immer die seit 30 Jahren aktuelle Lumpenpuppenkollektion zu zitronengelben Haaren. Aber selbst das ist in gewisser Weise legendär.

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