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Kultur: Reden wir! Entspannte Dialoge beim Literaturfest München

Angriffslustig flattert die Bayernfahne im Novembernebel vor dem Münchner Literaturhaus. Drinnen jedoch hat sich längst eine neue diskursive Lässigkeit breitgemacht.

Angriffslustig flattert die Bayernfahne im Novembernebel vor dem Münchner Literaturhaus. Drinnen jedoch hat sich längst eine neue diskursive Lässigkeit breitgemacht. Schriftsteller sind für Matthias Politycki, den selbstbewussten Romancier, Kolleginnen und Kollegen, die bereits auf ein Werk zurückblicken können und ihrer Vision unbeirrt folgen. 50 dieser literarischen Großkaliber, ergänzt durch 20 Kritiker, hat er zum Literaturfest München eingeladen. Es ist das zweite, das sich die nach New York zweitgrößte Verlagsstadt der Welt gönnt, und mit einer halben Million Euro dotiert.

Der 56-jährige Politycki setzt als Kurator des Festivalbestandteils „forum:autoren“ auf nichts weniger als eine Bestandsaufnahme der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Der Ausgangspunkt sind fünfminütige Statements, die öffentlich und nach dem Zufallsprinzip erörtert und als „veritable Online-Tapete“ (Politycki) ins Internet gestellt werden. Beim Auftakt gelangen Norbert Gstrein und Katja Lange-Müller schneidige Paraden gegen die Hausse des Familienromans, während Michael Lentz einsam nach dem unerklärlich Bösen in der Gegenwartsliteratur rief.

Da hätte er nur einen Tag warten müssen: Das Münchner Literaturhaus, sonst allzu oft ein Hort für Kassenknüller, die sich gutbürgerlichen Zuspruchs sicher sein können, zeigt sich bei der „Samstagnachmittagserklärung“ wie verwandelt. Heterogene Autorenduos wie Judith Kuckart und Norbert Gstrein oder Tanja Dückers und Hans Pleschinski verständigen sich im Gespräch untereinander und mit den Moderatoren Silke Behl und Matthias Politycki über die Prämissen ihres Handwerks. Während sich Kuckart von den Unabänderlichkeiten „Sterblichkeit und leerer Geldbeutel“ leiten lässt, geißelt Dückers die „Ulrich-Wickertisierung des Literaturbetriebs“. Und Gstrein, der sich als engagierter Autor unwohl fühlt, vermisst eine ernsthafte Diskussion über die Form. Auf produktive Weise wenig zu sagen hatten sich die kühle Diagnostikerin Annette Pehnt und der erratische Bildersucher Josef Winkler: Schon früh habe er sich eine Rasierklinge herbeigeschrieben, um eine Blutspur durchs Dorf zu ziehen.

„Kommt, reden wir zusammen, wer redet, ist nicht tot“, heißt es bei Gottfried Benn. Steffen Jacobs, der die Festlegung als „Lyrik-Doktor“ leid ist, ergänzt: „Jetzt wollen wir uns fassen an unseren lichten Schöpfen und zwei, drei Flaschen köpfen.“ Geselligkeit ist der wichtigste und sympathischste Aspekt dieses gut vorbereiteten Festivals, das spätabends im „Salon der lebenden Schriftsteller“ ausklingt. Matthias Polityckis Wunsch an die Kollegen, miteinander Spaß zu haben, nehmen besonders die Lyriker wie Nora Bossong oder große Franke Fitzgerald Kusz ernst. Steffen Jacobs geht es darum, biographische Niederlagen in ästhetische Triumphe zu verwandeln: ein wunderbares Zwischenfazit. Katrin Hillgruber

Das Literaturfest München läuft noch bis zum 27. November.

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