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Kultur: Redigieren und schimpfieren

"Alles, außer Emil": drei Worte, die den Dichter entseelten. Erich Kästner, dessen Leben heute vor 25 Jahren endete, starb bereits im Mai 1933 ein bißchen.

"Alles, außer Emil": drei Worte, die den Dichter entseelten. Erich Kästner, dessen Leben heute vor 25 Jahren endete, starb bereits im Mai 1933 ein bißchen. Am 7. des Monats hob der "Berliner Börsen-Courier" ihn auf die Schwarze Liste jener Autoren, deren Werke die neuen Machthaber aus den Büchereien aussortierten. Drei Tage später flogen die Bücher auf dem Berliner Opernplatz in die Flammen.Kästner schaute zu. Und wußte: Die Nazis zielten nicht auf den Autor von "Emil und die Detektive" ab, nur etwas auf den Lyriker - und viel auf den Publizisten. In Gedichten und Glossen, in Rezensionen und Reportagen hatte er ab Mitte der zwanziger Jahre Reaktionäre, Militaristen und braune Brüder auf die spitze Feder gespießt. Viele Gazetten der Weimarer Republik druckten sie ab. "Publizistik", der sechste Band der neuen Werkausgabe, die zu des Autors 100. Geburtstag im Februar erschien, fällt denn auch ziegeldick ins Gewicht. Die Herausgeber Franz Josef Görtz und Hans Sarkowicz kommen in ihrer Biographie zu dem Ergebnis, daß Kästner "spätestens ab 1927 zu den bedeutenden Journalisten und Kritikern der Weimarer Republik zählt".1924, der Germanist schrieb seine Doktorarbeit, stellte ihn die liberale "Neue Leipziger Zeitung" als Redakteur an. Kästner lauschte den Menschen, die "rund um die Plakatsäulen" über die Enteignung fürstlicher Vermögen debattieren, und verurteilte den Chauvinismus deutscher wie französischer Offiziere.Der Mann aus proletarischem Hause war ehrgeizig. 1927 wechselte er als Kulturkorrespondent nach Berlin - er suchte die künstlerische Avantgarde der Publizistik und der Theater, der Kabaretts und der Nachtclubs: die Tucholskys und Piscators, Hollaenders und Ebingers. So entdeckte er seinen Lesern die Baupläne Erwin Piscators für ein "Theater der Zukunft". Und Marlene Dietrich erschien ihm "ausgezeichnet, auf harmlose Art ordinär und aufreizend kostümiert". Schon bald druckten ihn auch die wichtigen Zeitungen der Republik: die "Vossische Zeitung" und das "Berliner Tageblatt", das "Tage-Buch", und "Das deutsche Buch", der "Simplicissimus", die "Weltbühne". Gedichtbände und Kinderbücher taten ihr Übriges: Ende der roaring twenties war Kästner in Berlin omnipräsent. Mit zunehmendem Erfolg als Schriftsteller schraubte er das journalistische Tagesgeschäft herunter - zum ersten Mal.Im neuen braunen Kulturleben freilich hätte er auch nicht publizieren können. Öfter diente er sich bei der Reichsschrifttumskammer an, um überhaupt wieder schreiben zu dürfen, egal was; publizistisch ist er mundtot in dieser Zeit. Direkt nach dem Krieg entwickelte Kästner, so die zweite aktuelle Biographie von Sven Hanuschek, "noch einmal für ein paar Jahre ungeheure Energie und Arbeitswut". Im Sommer 1945 begann er als Feuilletonchef der "Neuen Zeitung" in München, mit einer Auflage von 2,5 Millionen Exemplaren das größte Blatt der Besatzungszeit. Kästner wird von Hanuschek "beispielhaftes" Feuilleton bescheinigt. Er druckte viele Emigranten und schrieb fast 90 Artikel selbst: Polemiken gegen die Kollektivschuldthese und Leni Riefenstahl ebenso wie Reportagen über die Nürnberger Prozesse und den Hungerwinter. Nicht umsonst bezeichnete sich Kästner 1949 gleichermaßen als "Journalisten und Literaten aus Deutschland".Da hatte er sechs Jahre auf Redakteursstühlen gesessen. Der Journalist Kästner stahl freilich dem Autor Kästner die Zeit. Im April 1948 räumte er den Stuhl - nun endgültig.

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