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Regeln gesucht: Wie isst man eigentlich Spargel?

Bitte um die Beantwortung dieser einen drängenden Menschheitsfrage, wie man Spargel korrekt isst.

Diese Frage verdirbt mir immer die ganze Spargelzeit. Ich bin ein ungewöhnlich korrekter Mensch und möchte immer alles genauso machen, wie es bei den feinen Leuten Gebrauch ist. Und deshalb bin ich ganz unglücklich, dass ich bis jetzt nicht herausfinden konnte, welches bei den feinen Leuten die vorgeschriebene und korrekte Art ist, Spargel zu essen. Wohlverstanden: Ich meine nicht, in welcher Art der Spargel zubereitet werden soll, ob mit Butter oder mit holländischer Sauce oder so. Nein, die Frage ist die: Wie fasse ich den Spargel an, um ihn in den Mund zu stecken. Darf man ihn mit den Fingern anfassen oder nimmt man ihn mit der Gabel oder zerschneidet man ihn? Darüber fehlt die Norm, der Nomos. Ein Spargelgesetz, eine Spargelnovelle, die Lex Spargel fehlt, und es wäre Zeit, sie zu erlassen.

Die einfachste Methode ist jene, die ich die Murillosche Spargelmethode nennen möchte. Sie besteht in Folgendem: Man setzt sich möglichst fest auf einen Stuhl, lehnt sich zurück und biegt den Kopf weit hintenüber. Dann fasst man den Spargel mit den Fingern, hebt ihn hoch empor und lässt ihn senkrecht in den weitgeöffneten Mund versinken. Ganz so, wie auf dem berühmten Gemälde Murillos in der Münchener Pinakothek das braune Knäblein die Melone in seinem Mund versinken lässt. Diese Methode ist bei einem fröhlichen Festessen in der Familie sehr beliebt und sie hat gewiss viel Angenehmes und Zutrauliches. Aber bei Staatsangelegenheiten wird sie sich sehr viel weniger gut machen, und ein Ministerialdirektor, der auf diese Weise seinen Spargel essen wollte, würde viel von seiner Würde verlieren. Und die Frage bleibt immer noch offen, wie eine solche feierliche Methode ist, dieses Gemüse zu genießen.Die einen zerschneiden den Spargel und essen ihn dann unbedenklich auf, was aber von den Puristen für durchaus verwerflich und für einen Verstoß gegen die guten Sitten erklärt wird. Andere stecken die Gabel in das dicke Ende der Spargelstange, heben sie hoch und balancieren sie vorsichtig in den geöffneten Mund hinein. Wieder andere legen die Spargelstange wie einen Querbalken über Messer und Gabel, heben dieses schwankende Gebäude hoch, schnappen mit dem Mund nach dem Spargelkopf und schlürfen dann die ganze Bescherung herunter.

Da in solchen Fragen die Engländer tonangebend sind, habe ich scharf beobachtet, wie diese Nation sich in der schwierigen Angelegenheit verhält. In London sah ich einen Lord, der sich seinen Spargel ruhig zerschnitt, wie man ein Beefsteak zerschneidet; was wohl immer noch eine sehr empfehlenswerte, aber, wie gesagt, heftig bestrittene Methode ist. Hingegen konnte ich einmal im Speisewagen zwischen Florenz und Rom, gerade als der Zug am Trasimenischen See vorbeikam, eine vornehme Engländerin beobachten, die sich dem Spargel gegenüber folgendermaßen verhielt: Sie umwickelte die eine Hand mit der Serviette, und mit dieser umwickelten Hand fasste sie den Spargel, um ihn zu verzehren. Das sah außergewöhnlich verrückt aus, aber es muss doch irgendwie mit den nationalen Gebräuchen zusammenhängen. Denn ich kann nicht glauben, dass die vornehmen Engländerinnen nur dann verrückt werden, wenn sie am Trasimenischen See vorüberkommen.

Für jedes Gericht gibt es ganz bestimmte Gesetze. Die Marquise von Pompadour hatte verboten, den Fisch mit dem Messer zu essen … die alte Queen hat es wieder erlaubt – um die Pompadour zu ärgern – und seitdem essen wir alle den Fisch mit Messern. Jeder Mensch weiß, wie man eine Auster isst, eine Artischocke zerpflückt, ein Huhn tranchiert; und fast alle sind sich jetzt darüber klar, dass der Spinat nicht mehr – wie es früher Gebrauch war – mit den Fingern gegessen werden darf. Nur über den Spargel herrscht Unklarheit. Ich wende mich feierlich an die Welt mit der Frage: „Wie isst man Spargel?“… und bin überzeugt, dass morgen schon Millionen meiner Leser mir die mannigfaltigsten Vorschläge zuschicken werden.

Die Frage hat übrigens schon einmal Anlass zu internationalen Schwierigkeiten gegeben, und zwar, als der persische Schah Muzaffer Eddin Mirza bei König Eduard VII. zu Gaste war. Es wurde da bei einem Staatsessen in Windsor Spargel gegeben, und der König der Könige saß diesem schwierigen Gericht zunächst ganz ratlos gegenüber. Schließlich fasste er eine Spargelstange, biss ihr den Kopf ab und warf den Rest resolut hinter sich an die Wand. König Eduard aber sah dieses kaum, als er, um den Gast nicht in Verlegenheit zu setzen, ebenfalls seinen Spargel ergriff und hinter sich schleuderte. Der übrige goldstrotzende Hofstaat musste dann auch so tun, so dass die Spargelstangen fröhlich durch die Luft gegen die goldgewirkte Tapete flogen.

Was mich selbst anbelangt, so habe ich mir eine sehr hübsche Art, den Spargel zu essen, ausgedacht, die ich meinen Lesern gern mitteile. Wenn bei mir zu Hause drei Pfund Spargel auf den Tisch gesetzt werden, so schneide ich mit einem energischen Schnitt alle Köpfe ab, lege diese auf meinen Teller und schiebe den Rest meiner Frau Gemahlin hinüber. Die Köpfe esse ich dann ganz ruhig mit der Gabel auf. Das ist unzweifelhaft die sauberste Art, den Spargel zu essen, aber ob sie sich überall durchführen lassen wird, das ist noch die andere Frage. Es wird wohl hauptsächlich immer von dem Temperament der jeweiligen Frau Gemahlin abhängen.

Victor Auburtin, 1870 in Berlin geboren und 1928 in Garmisch gestorben, gehörte zu den stilprägenden Feuilletonisten der Jahrhundertwende. Der hier abgedruckte, geringfügig gekürzte Text erschien zuerst im „Berliner Tageblatt“ vom 28. Mai 1911.

Victor Auburtin

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