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Flammenkranz. Am Anfang steht die Hitze des Herdes, am Ende steht vielleicht ein Michelin-Stern.

© Malte Christians/dpa

Reihe "Mein Stern": Der Sternekoch (2): Wo oben isst

Im zweiten Teil unserer Sternenkunden-Serie machen wir heute eine Pilgerfahrt zum Sternekoch und stellen uns die Frage: Kann man einen Michelin-Stern eigentlich auch wieder zurückgeben?

Wenn auf Erden etwas Außergewöhnliches geschieht, greift der Mensch zu den Sternen. Himmelt sie an, die Stars der Stunde, bestirnt Köche, Weine, Hotels. Leuchte uns heim in dunkler Nacht: eine kleine Sternenkunde zwischen den Jahren, täglich an dieser Stelle.

In der Schule lernt man, wo rechts ist und links. Auch vom Unten bekommt jeder seine Ahnung. Aber was ist oben? Das wollten zwei Abiturienten vor langer Zeit genauer wissen und machten sich auf die von West-Berlin aus gesehen endlose Reise in ein Restaurant in der Nähe von Freudenstadt. An einem heißen Sommermittag liefen sie in Polohemden über grüne Wiesen auf einen Hotelkomplex zu, der wie ein einziger großer Geranienblumenkasten in einer Senke lag.

Schwarzwaldstuben hieß das Ziel, hier kochte Deutschlands bester Koch – dort steht er noch heute am Pass. Mit langer Pinzette in der Hand und Brille auf der Nasenspitze nimmt er ab, was seine Brigade anrichtet. Niemand arbeitet penibler als Harald Wohlfahrt, auf höchstem kulinarischen Niveau: drei Sterne, verliehen von den Testern des Guide Michelin. Nur Paul Bocuse, 88 Jahre alt, ist ausdauernder: Sein Restaurant bei Lyon hält die Auszeichnung seit 1965, ohne Unterbrechung.

Nach dem Sternemenü zur Currywurstbude

Mit Schweiß im Nacken öffnete man die riesigen Karten der Schwarzwaldstube, deren Inhalt nicht nur wegen der Preise ehrfurchtgebietend war. Vieles wollte erstmals probiert werden, manche Zubereitungsart blieb unverständlich, weil ganz in klassischem Gastronomie-Vokabular verfasst. Heute wäre da prosaisch zu lesen: Makrele, Steckrübe, Basilikum. Zum Degustationsmenü durchgerungen, dazu die allerbilligste Flasche Wein, gestreckt bis zum letzten Bissen. Der Schweiß trocknete, die Stunden verrannen.

Wo oben ist: In einem Geranienblumenkasten sitzen, diskret umsorgt werden und die Schwerkraft überwinden, obwohl man beständig isst, Edles, Verdichtetes, Geklärtes. Eher die Idee der Lebensmittel. Ideen machen nicht satt, aber darum geht es auch nicht. Ungläubig hört man seither von Menschen, die nach einem Sternemenü zielstrebig zur nächsten Currywurstbude schreiten, vor Hunger – und den Höhenflug für sich beenden.

Noch nie gab es so viele Sterne, die über den Restaurants dieses Landes strahlen, wie heute. Berlin ist zur Hauptstadt des Funkelns avanciert. Das hätten sich die Abiturienten von einst nicht träumen lassen. Und doch ist der Höhepunkt der Sternegastromonie womöglich bereits überschritten. Auf Sylt, traditionell an einen gutbestückten Himmel gewöhnt, schlossen unlängst zwei mehrfach ausgezeichnete Restaurants, um sich neu zu erfinden – und „entspannter“ wieder zu öffnen, ohne Pinzette am Pass. Zurückgeben kann man Michelin-Sterne nicht, auch nicht mitnehmen an einen neuen Herd. Sie sind Fixsterne, sie müssen verglühen.

Bisher erschienen: der Zimtstern (24. 12.)

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