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Kultur: Reiner Ton

Der Rias-Kammerchor in der Gethsemanekirche.

Ein Kirchenkonzert, nicht nur, weil es in der Gethsemanekirche stattfindet: Der Rias-Kammerchor bietet Musik der Spätrenaissance, Palestrinas „Stabat mater“ und einen Bußpsalm von Orlando di Lasso. Dazwischen spielt Alexander Melnikov am Hammerflügel Auszüge aus den viel späteren, viel verschrobeneren „Harmonies poétiques et religieuses“ von Franz Liszt – und muss gleich schon nach der ersten Nummer „Invocation“ aufspringen, um eine Saite nachzustimmen.

Kein Wunder, hat das Stück doch gezeigt, dass Entäußerung kein Privileg der weltlichen Musik allein ist und zum Eros des Andächtigen in Kirche und Konzertsaal auch einiges an Tastenzauber gehört. Alles an diesem Abend aber steuert auf die „Via Crucis“ zu, den Kreuzweg Jesu, wie Franz Liszt ihn sich im Alter zurechtgeschnitten hat. Abermals tritt Melnikov an, nun als Begleiter am Harmonium, und wieder präsentiert sich der Rias-Chor als ein Kollektiv aus hell timbrierten, autonomen Persönlichkeiten, vor dem Chorleiter Hans-Christoph Rademann nur steht, um die je einzelnen Möglichkeiten gemessen abzurufen. Die Männerstimmen erzählen in herber Einstimmigkeit, wie Jesus immer wieder fällt, die Frauen singen von den Schmerzen Mariens, was bei Liszt und trotz der absoluten Tonreinheit der Rias-Damen zunächst tönt wie ein bunt-süßes Heiligenbildchen.

Von Zeit zu Zeit meldet sich Tobias Berndt (Bariton) mit ernsten Christusworten, ihm zur Seite tritt Regina Jakobi (Alt), ihrerseits ein Muster an Ausgeglichenheit. Erst mit der Zeit, erst über die Schwellen der beiden Choralvertonungen hinweg, „O Haupt voll Blut und Wunden“ und „O Traurigkeit, o Herzeleid“, hört man sich in die schräge Frömmigkeit dieser verrätselten, formal ebenso zusammengebundenen wie zerlöcherten Musik ein. Christiane Tewinkel

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