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Kultur: "Reise ans Ende der Nacht": Céline unter dem Hammer

Louis-Ferdinand Céline war Antisemit, Kollaborateur und ein paranoider Menschenfeind, der niemanden mit seinen Hasstiraden verschonte. Auch seine Leser ließ er nicht im Zweifel, dass er sie verachtete.

Louis-Ferdinand Céline war Antisemit, Kollaborateur und ein paranoider Menschenfeind, der niemanden mit seinen Hasstiraden verschonte. Auch seine Leser ließ er nicht im Zweifel, dass er sie verachtete. Sogar die Nazis, deren Rassismus er in ekstatischen Pamphleten feierte, fanden ihn unausstehlich und hielten Distanz zu ihm. Ob es eine Kopfverletzung aus dem Ersten Weltkrieg war, die ihn aus dem Gleichgewicht brachte, ist unter den Experten umstritten. Fest steht dagegen, dass dieser unsympathische Mann einen der beiden großen Romane schrieb, die Frankreich im 20. Jahrhundert hervorbrachte. (Der andere war Prousts "Suche nach der verlorenen Zeit".)

Als die "Reise ans Ende der Nacht" 1932 herauskam, war dies, wie ein Kritiker schrieb, als wäre Shakespeare in die französische Literatur eingebrochen. Nicht nur der illusionslose Pessimismus und der schwarze Humor waren neu und unerhört, sondern vor allem die kunstvolle Verwendung von Argot und Alltagssprache; sie hat eine ganze Generation von Schriftstellern beeinflusst. Dass ihm die Jury des Prix Goncourt eine heute vergessene Eintagsfliege vorzog, gehört zur Tradition dieses Preises. Bisher war nur eine maschinengeschriebene Fassung des Romans mit vielen Änderungen von der Hand des Autors bekannt. Das Auftauchen eines handschriftlichen Urtextes, der sich von der endgültigen Fassung erheblich unterscheidet, ist eine Sensation. Céline verkaufte das 876-seitige Manuskript 1943 an einen Antiquar für 10 000 Francs und einen "kleinen Renoir". Vielleicht ahnte er damals schon, dass ihm bewegte Jahre bevorstanden, in denen er keinen Ballast gebrauchen konnte: Mit der Vichy-Regierung, seiner Frau Lucette und seiner Katze Bébert floh er nach Sigmaringen und von da weiter durch brennende deutsche Städte nach Dänemark. Dort hielt er sich anderthalb Jahre lang versteckt; danach widersetzte er sich mit Erfolg der Auslieferung nach Frankreich. Erst 1951 wurde der Haftbefehl gegen ihn aufgehoben, und er kehrte in seine Heimat zurück. Unbußfertig bis zuletzt, erlebte er noch seine Erhebung zum Klassiker - die Aufnahme seiner Romane in die "Pleiade".

Das Manuskript der "Reise ans Ende der Nacht" tauchte erst im vergangenen Jahr wieder auf: Ein englischer Sammler bot es einem Pariser Händler an. Am heutigen Donnerstag wird es vom Auktionshaus Piasa bei Drouot versteigert. Schätzpreis: vier bis fünf Millionen Francs (1,2 bis 1,5 Millionen Mark). Da die Nationalbibliothek nur ein einziges Céline-Manuskript besitzt, ausgerechnet eines seiner antisemitischen Pamphlete, wäre es nicht überraschend, wenn der französische Staat bei dieser Gelegenheit sein Vorkaufsrecht wahrnimmt.

JvU

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