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Schwiegermutterland, nur einer dieser ungeliebten Zwangsurlaube.

© Britta Pedersen / dpa

Reisefieber (12): Finale der Sommerserie: Gefängnisse auf Zeit

Aufregung, Angst, Abenteuer: Reisen ist der Ausnahmezustand. Hier erzählen wir davon zum letzten Mal in diesem Sommer – mit unweigerlich sinkender Temperatur.

Von Gregor Dotzauer

Im ersten Moment denkst du oft, du könntest dem Schlag noch ausweichen. Doch während du dich panisch mit Erinnerungen an all die Reisen wappnest, die dir die Augen geöffnet haben, während du die Fenster deiner Sinne aufstößt, um Luft und Weite einzulassen, rollt der Schock unweigerlich heran und streckt dich nieder. Sämtliche Poren verschließen sich, die Körpertemperatur fällt ab, das Blut gefriert dir in den Adern. Von jetzt an gilt nur eine bedrohliche Aussicht: Du musst da wieder hin.

Du musst nach Schwiegermutterland, du musst in die Elternprovinzen, du musst auf die Konferenzhotelinsel mit all den Kollegen, die du sonst schon kaum aushältst. Das namenlose Gegenteil des Reisefiebers hat dich im Griff. In seinen kalten Träumen flackern die Höllen des allzu Bekannten statt der Vorfreude auf das Unbekannte.

Kleine Sackgassen, erprobte Rituale

Bis zur Bewusstlosigkeit erprobte Rituale ersticken dich mit einer Gegenwart, die dich bereits in der puren Vorstellung physisch packt, und selbst das Wissen um die eigenen Stereotypen bringt keinerlei Erleichterung. Nicht kleine Fluchten, sondern kleine Sackgassen erwarten dich, Gefängnisse auf Zeit, hinter denen die Tür der Pflicht unbarmherzig ins Schloss fällt. Aber so erstarrt, wie du jetzt schon bist, wirst du gute Miene zum bösen Spiel machen. Du wirst deine Rolle übernehmen, dich dem verhängnisvollen Rhythmus der Dinge um dich herum fügen, in dem du nichts als ein weiteres Ding sein wirst, das in der bitteren Vertrautheit eines fremden Taktes mitpulst.

Und inmitten der Geräusche, Bilder und Gerüche, die dich bereits lähmen, bevor du ihnen ausgesetzt bist, beginnst du zu ahnen, dass ganze Kontinente beklemmender Orte existieren. Wandernde, sich ständig neu übereinander schiebende tektonische Platten, die keine Karte verzeichnet. Individuelle Archive wenig individueller Erinnerungen an Gästebettenmuff, Speiseplanroutinen, Küchenfettdunst, Esszimmerschweigen, Standuhrenterror, Resopaltischlangeweile, Kellerfeuchtigkeit, Heizungsgluckern, Schmeißfliegenagonie. Vielleicht weiß nur der, der ihre Schrecken bis zur Neige ausgekostet hat, wo er zu Hause ist.

Bisher in der Serie erschienen: Träge Tropen , Gelbes Leuchten , Schwarze Sonne , Schwarm und Schock , Vater weg , Kloß im Hals , Gehen und schweigen , Höhenangst , What? Germany? Shit! , Volle Locke , Berieselt in Bogotá

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