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Verwandelt Menschen in schlaflose, verbeulte und misstrauische Kreaturen: die Myriade-Mücke.

© dpa

Reisefieber (4): Die Sommerserie: Schwarm und Schock

Aufregung, Angst, Abenteuer: Reisen ist der individuelle Ausnahmezustand. An dieser Stelle erzählen wir in den Sommerwochen davon – mit erhöhter Temperatur.

Überall, wo wir hinfliegen, sind sie schon da. Sie waren bereits ausgeschwärmt, bevor es die ersten Reisenden gab, und sie werden weiterhin unterwegs sein, wenn die Menschheit längst ihr letztes Ticket gelöst hat. Entgehen kann ihnen nur, wer die Wüsten jenseits der Wasserlöcher zu seinem Urlaubsziel wählt oder den Sommer im ewigen Eis verbringen will. Das sind die wenigsten, auch wenn jüngste Horror-Nachrichten uns vielleicht zum Umdenken bewegen sollten. Oder wollen wir während unserer Rekreationsphase dem gefährlichsten Tier der Welt begegnen – millionenfach, frei um uns herumsurrend? Wie praktisch wäre es doch, aus einer Myriade Mücken einen freundlich trompetenden Elefanten machen zu können. Aber Sprichwörter sind leider keine Zauberformeln.

Wer von den Mücken geliebt wird, der hasst sich alsbald. Dafür, dass er sich in eine schlaflose, verbeulte, misstrauische Kreatur verwandelt hat, die darüber nachsinnt, welches Gift hier jetzt noch helfen könnte. Die einen werden lediglich von Vernichtungsfantasien geschüttelt, die anderen von Fieber und allergischem Schock. Was für eine Demütigung, durch eine Handvoll europäischer Stichlein fernab fataler Erreger ganz aus dem Urlaubsbild zu fallen. Am Rande der Ohnmacht schnappt man seltsamerweise noch Wissenswertes auf, denkt an die einstmals tödlichen Sümpfe rund um Pavia, ahnt taumelnd, warum diese Stadt einen großen Malaria-Forscher hervorbrachte und gelobt, sich endlich „Bitterer Reis“ anzusehen – für den Fall, dass man diese Attacke überleben sollte.

Hat der Kreislauf erst beschlossen, seinem Namen keinerlei Ehre mehr zu machen, verändert sich auch die Wahrnehmung geschäftiger Touristenklassiker grundlegend. Denn mit einem Mal überlagert sich das Einschiffen in die Blaue Lagune flackernd mit der Schlussszene aus „Dead Man“, wenn das Kanu Johnny Depp für seine letzte Reise aufnimmt. Das allgemeine Rufen, das Ducken und Kamerazücken taucht weg unter einer Welle aus Azur und Schwarz-Weiß, die langsam hinter den Augenlidern hin und her zu rollen scheint. Wenig später unterbindet der Inselarzt von Capri entschlossen weitere Todesfantasien mit einer Spritze in den Hintern.

Benommen geht es zurück aufs Festland, das erst nach und nach wieder klar umrissene Formen annimmt. Dort warten sie schon.

Bisher in der Serie erschienen: Träge Tropen, Das gelbe Leuchten, Schwarze Sonne

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