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Anthony Quinn spielt im britisch-arabischen Film „Mohammed - Der Gesandte Gottes“ (1976) einen Getreuen des Propheten.

© Cinetext Bildarchiv

Religionsgeschichte: Das Feuer des Glaubens

Strenge Muslime glauben, dass der Koran als Wort Gottes von Mohammed empfangen worden sei. Doch der britische Historiker Tom Holland revidiert nun diese Gründungsgeschichte des Islam - und begibt sich auf ideologisch vermintes Gelände.

Als der römische Patrizier Sergius im Jahr 634 an der Spitze eines Infanterieheeres zu einem Feldzug in der Provinz Palästina aufbrach, glaubte er einem strahlenden Sieg entgegenzureiten. Der Feldherr, an seinem weißen Umhang als Günstling des Kaisers zu erkennen, vertrat eine mit modernsten Waffen ausgerüstete Weltmacht. An der Horde Araber, die in römisches Territorium eingedrungen war, sollte ein Exempel statuiert werden. Die Römer nannten die Araber Sarazenen und verachteten sie als Barbaren, die „von Natur aus unfähig“ seien, etwa Belagerungen durchzuführen. Doch östlich von Gaza geriet die Truppe in einen Hinterhalt und wurde weitgehend vernichtet. Auf den gefangen genommenen Sergius warteten – wenn man der Überlieferung trauen darf – wahrhaft barbarische Qualen. Die Invasoren nähten ihn in ein frisch abgezogenes Kamelfell und ließen ihn in der stinkenden Haut ersticken.

Der Sieg in dieser asymmetrisch geführten Schlacht steht für einen der staunenswertesten Triumphe der Weltgeschichte, dessen Folgen bis in die Gegenwart reichen. In den folgenden Jahren eroberten die Araber nach Palästina auch Syrien sowie weite Teile von Iranshahr und Mesopotamien, heute Iran und Irak. Und anders als bei früheren Raubzügen traten sie anschließend nicht gleich wieder den Rückzug in ihre Stammesgebiete an. Sie blieben und bauten ein Reich auf, das gleich zwei Imperien beerben sollte, Rom und Persien. Der britische Historiker Tom Holland findet es atemberaubend, „wie eine in einer abgelegenen Oase zusammengeschusterte Allianz sich so weit ausbreiten konnte, dass sie irgendwann ganz Arabien umfasste und dann die Weltherrschaft übernahm“.

Mit der Oase ist Medina gemeint, ein Flecken in der saudi-arabischen Wüste, in die sich der Prophet Mohammed geflüchtet hatte, um dort mit seinen Getreuen eine neue Gesellschaftsordnung zu errichten. In seinem fulminanten Buch „Im Schatten des Schwertes“ erzählt Holland, was dieser Vision so große Durchschlagskraft verlieh: der Glaube, im himmlischen Auftrag zu handeln. Die Araber, die die Römer bei Gaza besiegten, die Ruinen von Babylon besetzten und die persische Hauptstadt Ktesiphon stürmten, verstanden sich – das war historisch neu – als Gotteskrieger. Ihre Gegner warnten sie: „Wir kommen nicht länger um weltlicher Dinge willen zu euch. Unser Verlangen, unsere Hoffnung richten sich auf das Paradies.“

Allerdings war der Anführer Mohammed bereits 632 gestorben, zwei Jahre vor Beginn des Siegeszuges. Doch seine Botschaft, materielle Verlockungen geringzuschätzen und die Eroberung des gesamten Erdkreises anzustreben, hatten die Gefolgsleute längst verinnerlicht. Mohammeds Nachfolger, der zweite Kalif Umar bin al Khattab, zeigte sich demonstrativ in schäbiger Kleidung und beschränkte seine Ernährung auf Brot, Salz und Wasser. Seine Gesandten ließ er beim Aufeinandertreffen mit ausländischen Würdenträgern zunächst einmal deren Polster zertrampeln und die Teppiche mit Speeren durchbohren. Die Reiche der Ungläubigen „in den Staub zu treten“ – so hatte es der Prophet verlangt.

Die historische Gestalt Mohammeds liegt im Dunkeln

Mit derlei derben Szenen geizt Holland nicht. Man hat den Autor, der zuletzt Bücher über das Reich der Perser („Persisches Feuer“) und die Welt des Mittelalters („Millennium“) vorlegte, einen „Steven Spielberg unter den Historikern“ genannt, weil sich der Leser in seinen cinemascopisch ausschweifenden Schilderungen mitunter wie der Kinogänger in einem Sandalenfilm verlieren kann. Auch diesmal wimmeln „ganze Ebenen und Hügel von gepanzerten Reitern“, abgeschlagene Feindesköpfe landen in Gebetstempeln, und auch dass die byzantinische Kaiserin Theodora beim Gruppensex unersättlich war, wird nicht verschwiegen.

Holland ist ein begnadeter, um größtmögliche Anschaulichkeit bemühter Erzähler – aber auch ein akribischer Historiker mit Ausbildung in Cambridge und Oxford. Statt ums Ausmalen von Anekdoten geht es ihm ganz im Gegenteil darum, die Legenden hinwegzupusten und vorzudringen zur historischen Gestalt von Mohammed und den Ursprüngen des Islam. Sein Befund ist bestürzend: Aus zeitgenössischen Aufzeichnungen wissen wir nahezu nichts über das Leben des Propheten. Die früheste bekannte Mohammed-Biografie schrieb der irakische Gelehrte Ibn Hisham erst im neunten Jahrhundert, zweihundert Jahre nach dessen Tod, wobei er aus einem verlorenen Vorläufertext alles herausstrich, was er für „schändlich“ hielt. Und von zehntausenden Hadithen, den von Gewährsleuten gesammelten Anweisungen und Empfehlungen des Propheten, kann kein einziger als authentisch gelten. So ist das Bild des Religionsgründers bis heute bestimmt von Fälschungen, Halbwahrheiten und Verklärungen.

Immerhin ist Holland überzeugt, dass der Koran, die Zusammenstellung von Mohammeds Offenbarungen, im Kern auf die Lebzeiten des Propheten zurückgeht. Dafür sprechen die Handschriften, die 1972 als bislang älteste Koranfassungen bei Bauarbeiten an der Großen Moschee von Sana’a entdeckt wurden, das heute zur Muslimischen Republik Jemen gehört.

Als der deutsche Islamwissenschaftler Gerd-Rüdiger Puin dann allerdings die Fragmente untersuchte und sie für einen Beleg dafür hielt, dass der Koran wie die Bibel im Lauf der Zeit verändert worden sei und aus einem regelrechten „Text-Cocktail“ bestehe, schäumten die Machthaber vor Wut und ließen die Dokumente wegschließen. Glauben ist für sie stärker als jedes Wissen. Jeder Zweifel daran, dass der Koran als das von Mohammed empfangene Wort Gottes unverändert auf uns gekommen sei, gilt als Häresie.

Der Islam als „Quintessenz der Spätantike“

Seltsam auch, dass Mekka im Koran nur ein einziges Mal erwähnt wird. Dort hatte ein arabischer Kaufmann namens Mohammed gelebt, bis ihn eine Lebenskrise hinaustrieb in die Wüste, wo ihm der Erzengel Gabriel erschien und sprach: „Du bist der Abgesandte Gottes, es gibt keinen Gott außer ihm, dem Schöpfer aller Dinge.“ Für eine Stadt, die in einem würfelförmigen Lehmschrein – als Kaaba heute zentrales Heiligtum des Islam – ganze Heerscharen von Göttern verehrte, war das eine revolutionäre und lebensgefährliche Botschaft. Als 622, zwölf Jahre nach der ersten Offenbarung, ein Mordkomplott gegen ihn vorbereitet wurde, floh Mohammed aus Mekka nach Medina. Mit diesem Ereignis, der Hijra genannten Wanderung des Propheten, beginnt für Muslime bis heute eine neue Zeitrechnung.

Doch Mekka war im siebten Jahrhundert nicht etwa eine multikulturelle Boomtown, sondern ein Wüstenkaff weit abseits der Handelsrouten. Dass dort der Koran entstanden sein könnte, in dem bis hin zu den Namen von Heiligen und Propheten zahllose Einflüsse aus Juden- und Christentum eingegangen sind, hält Holland für unwahrscheinlich. Stattdessen spekuliert er darüber, dass Mamre der Ort von Mohammeds Offenbarungen gewesen sein könnte, ein Wüstenheiligtum am Toten Meer, in dem bereits der Abraham des Alten Testaments gebetet hatte.

Der Islam – das ist Hollands These – wurde keineswegs aus dem historischen und kulturellen Nichts heraus von einem einzelnen, von Gott gesandten Mann erschaffen. Vielmehr sieht er in der Religion eine „Quintessenz der Spätantike“, die an die Traditionen gleich zweier Weltreiche anknüpfe. Wie mit dem Glaubensfeuer einer monotheistischen Religion ein Imperium zu erobern und zu modernisieren war, das hatten die Araber von den Römern und von den Persern gelernt. Der Prophet Zoroaster – auch bekannt als Zarathustra –, dem sich Gott nach einem rituellen Flussbad offenbarte, kann genauso als Vorläufer und Vorbild für Mohammed gelten wie der Apostel Paulus, der einst den Anstoß dazu gab, die biografischen Geschichten über Jesus in einem „Neuen Testament“ zu sammeln.

Tom Holland weiß, dass er sich mit seinem Versuch, die Ursprünge des Islam zu dekonstruieren, auf ideologisch vermintes Gelände begibt. Jeder Ansatz, Mohammed nicht als heilige, sondern historische Figur zu begreifen, wird von strengen muslimischen Gelehrten als ikonoklastischer Angriff empfunden und entsprechend sanktioniert – mit Drohungen bis hin zur Fatwa. Das Christentum hat bereits, anfangs mühsam gegen den Klerus erkämpft, eine zweihundertjährige Geschichte von Aufklärung und Textkritik hinter sich. Holland versteht sein Buch als Aufruf an die Muslime, „sich ebenfalls auf diesen Weg zu begeben“.

Tom Holland: Im Schatten des Schwertes. Mohammed und die Entstehung des arabischen Weltreichs. Aus dem Englischen von Susanne Held, Klett-Cotta, Stuttgart 2012, 532 S., 29,95 €.

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