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Ostern in Córdoba, religiöses Spektakel in Spanien. Mitglieder der „Hermandad del Amor“ (Bruderschaft der Liebe) marschieren durch den versteinerten Palmenhain der Mezquita, der großen Moschee, die zur christlichen Kirche wurde. Die Gestalten gehören zu den Prozessionen der Semana Santa. Foto dpa:

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Religionsgeschichte: Die zerbrechliche Ewigkeit

Moschee und Kathedrale in einem gemeinsamen Kulturraum: Die Mezquita von Córdoba birgt muslimisches wie christliches Erbe. Eine Osterreise nach Andalusien

Die Nacht ist kalt und klar, mit Riesenschritten geht der Schall durch die Gassen. Man hört Stimmen wie von einer Baustelle – oder ist es ein Kneipenstreit? –, und dann wieder scharfe Kommandos, Lachen und Stöhnen, das Klatschen rhythmisch getretenen Pflasters. Den seltsamen Geräuschen nach zu urteilen, kommt da etwas Großes um die Ecke, massig und bedeutungsvoll.

Eine Plattform schwankt über die Plaza San Miguel, im Norden der Altstadt von Córdoba – ein Tausendfüßler mit Turnschuhen und nackten Armen, die seitlich aus der hölzernen Konstruktion herausragen. Es ist ein Gestikulieren, Debattieren, eine noch nicht gelenkte Kraft unter der rohen Bretterbühne. Man hat sie mit Balken beschwert, und von Probe zu Probe wird die Last auf den Schultern der Männer gesteigert, wie bei einem Gewichtheberwettbewerb.

Monatelang bereiten sich die Mitglieder der Córdobeser Bruderschaft auf die Semana Santa vor, die andalusische Osterwoche. 35 Bruderschaften gibt es in Córdoba. Wenn die Zeit gekommen ist, haben sie ihren Rhythmus gefunden, stemmen sie die Heiligen empor, tragen sie prächtig geschmückte Figuren von Christus und der Jungfrau Maria durch ihre Stadt, füllen sich die Straßen und Gassen, herrscht ein ebenso ersehnter wie gefürchteter Ausnahmezustand, von Cadiz bis Almeria, von Sevilla bis Malaga.

Nahe bei der Kirche San Miguel, zu der die Brüder erst gegen Mitternacht von der Probe zurückkehren, steht das Geburtshaus des berühmten Stierkämpfers Manolete, er wird hier heute noch verehrt. Die Bodega San Miguel, vollgestopft mit Stierkampf-Devotionalien, besitzt ein großes, fein gemaltes Manolete- Porträt. Da lächelt er mit hellem Anzug und Zigarette und glänzendem Haar und lässt Rudolph Valentino verblassen. Manolete starb 1947 nach der Attacke eines Bullen. Den Stoß der Hörner hätte er überleben können. Er starb an der Transfusion einer falschen Blutkonserve. So wurde der junge Torero zum Märtyrer. Der katholische Glaube zielt auf den Körper, und über das Fleisch greift er nach der Seele. Die spanischen Faschisten präsentierten Manuel Laureano Rodríguez Sánchez, wie Manolete mit vollem Namen hieß, sogleich als Nationalhelden.

Nach einer anderen legendenhaften Geschichte verspürte der Dichter Federico Garcia Lorca – er war 38, als ihn die Francisten ermordeten – einmal eine solch starke Sehnsucht, in dem moribunden Semana-Santa-Theater von Tod und Auferstehung mitzuwirken, dass er sich in die vorderste Reihe stellte. Er gehörte keiner Bruderschaft an, er war zur Stunde der Prozession mit heißem Kopf, wegen eines Gelübdes, plötzlich auf der Alhambra von Granada aufgetaucht, und man ließ ihn gewähren, obwohl das gegen die Gesetze der Heiligen Woche verstieß.

Doch sind diese tage- und nächtelangen Umzüge ebenso von der Strenge der Tradition wie von der Übertretung geprägt. In Sevilla und Malaga, überall in Andalusien, herrscht in diesen Tagen bizarrer Karneval. Es ist ein heidnisch durchsetztes Religionsspektakel, ein wildes Fest mit schrillen Blaskapellen, die Nazarenos, die Büßer reihen sich mit Spitzhüten in die Prozession ein. Allein in Córdoba gestalten sich die Umzüge ruhiger, kontemplativer. Niemand weiß, woher dieser Brauch stammt.

Vielleicht hat es mit der Geschichte Córdobas zu tun – mit der Geschichte der Kathedrale, die einst eine Moschee war und ihrer Anmutung nach immer noch ist. Die Mezquita von Córdoba hat auf der ganzen Welt nicht ihresgleichen. Sie ist ein architektonischer Bastard und von überwältigender Schönheit. Ein Mahnmal, aber wofür? Für wen?

Aus Damaskus vertrieben, errichteten die Ummayaden im 8. Jahrhundert hier, wo bereits eine christliche Kirche gestanden hatte, eine muslimische Gebetsstätte. Religionen setzen sich gern an die Stelle anderer Religionen, wie man ja auch in Jerusalem sieht, am Felsendom auf dem jüdischen Tempelberg. In Córdoba entwickelte sich die Sache anders, aber nicht weniger kompliziert. Um das Jahr 1000 war Córdoba eine Weltmetropole, Gegenpol zu Bagdad, ein Zentrum der Künste und Wissenschaften, Herzstück von al-Andalus, des maurischen Spanien. Die Moschee wuchs, ein Wald aus Palmen. Noch heute stehen 856 der ursprünglich 1019 Säulen mit ihren rot-weiß gestreiften Bögen. Man verliert sich aufs Angenehmste in der steinernen Oase.

Die Historie der Mezquita, der Moschee, die zur Kathedrale wurde, gleicht einer stetigen Verwandlung. Dies geschah auf brutale Art und Weise – ohne dass dieses Wunderwerk je seinen eleganten, erhabenen Charakter vollends eingebüßt hätte. Es handelte sich um eine versuchte Auslöschung, und es folgte daraus die Auferstehung jenes Geistes, der allen Wüstenreligionen eigen ist.

In der Mezquita begreift man die Verse, in denen der arabische Dichter Ibn Khafadja (gestorben 1139) sein Land pries: „Al-Andalus, ihr Leute, ist ein Wunder: / voll Wasser, Schatten, Flüssen, hohen Bäumen. / Der Garten Eden ist bei euch allein; /nie würde andere Heimat ich mir wählen. / Drum fürchtet nicht die Hölle: niemand kommt / Ins Höllenfeuer nach dem Paradies.“ Heinrich Heine schwärmte: „Es ist ein schönes Land, das schöne Spanien,/ Ein großer Garten, wo da prangen Blumen,/ Goldäpfel, Myrten - aber schöner noch/Prangten mit stolzem Glanz die Maurenstädte.“

Die Reconquista, die christliche Wiedereroberung Südspaniens, machte diese Herrlichkeit im 13. Jahrhundert zunichte. Aber erst zweihundert Jahre später bekam der Bischof von Córdoba die Genehmigung, am Platz der Moschee eine Kathedrale zu errichten. Kaiser Karl V. soll entsetzt gewesen sein, als er das Ergebnis sah: Seine Leute hatten die Kirche mitten in den Säulenwald hineingesetzt. „Ihr habt etwas Unwiederbringliches zerstört“, so wird sein Schmerz überliefert, „und was ihr gebaut habt, das gibt es überall.“ Karl V. hatte die Baugenehmigung für die Kirche erteilt, ohne je in Córdoba gewesen zu sein. Als er das Ergebnis mit eigenen Augen sah, empfand er bittere Reue und Scham.

Wie ein Meteorit ist die Kathedrale in die Moschee gestürzt, ein Danaergeschenk des Himmels. Sie zerschneidet die Perspektive, brütet etwas Unfreundliches aus, quält das Auge, das hier seine Ruhe fand. Antonio Munoz Molina wettert in seinem zauberhaften Buch „Stadt der Kalifen – Historische Streifzüge durch Córdoba“ (1991): „Die in verbrecherischer Weise über die Mezquita gestülpte Kathedrale entstellt und verdunkelt in irreparabler Weise ihren Raum und überschüttet ihn mit dem schlimmsten Schund barocker Bildmalerei, als wäre das einzige Vorhaben der Erbauer gewesen, die islamische Überzeugung, dass die Darstellung Gottes ein Sakrileg ist, zu verhöhnen.“ Und Molina sagt: „Die Mezquita erscheint uns, wie auch die Alhambra, sowohl unveränderlich als auch vergänglich, für ewige Zeiten erbaut, aber auch sehr zerbrechlich.“

Wahr ist aber auch: Die barocke Geschmacks- und Geistesverwirrung hat die Moschee nicht dem Abriss preisgegeben. Sie steht, sie hat überlebt, sie lädt zum Aufenthalt, zum Staunen ein, mit einem gigantischen Pfahl im Fleisch, wenn man für ein islamisches Bauwerk ein christliches Sprachbild benutzen will. Ein merkwürdiges Zusammenspiel, aber die schwere architektonische Verletzung lässt sie zarter erscheinen, auf seltsame Art noch einzigartiger. Die Moschee mit dem Altar erinnert an die Zwangstaufe, die Vertreibung und Ermordung der arabischen Andalusier durch die Christen, und den Juden ging es nicht besser. Und sie erinnert an die Eroberung Spaniens durch die islamischen Armeen, die über die Meerenge kamen. Was sich hier offenbart, ist mehr Geschichte, als man bei einem Besuch wahrzunehmen in der Lage ist.

Die Geschichte von al-Andalus und Córdoba, wo 1135 der jüdische Gelehrte Maimonides geboren wurde, „hat uns für einen Bruchteil der Sekunde den Traum des friedlichen Nebeneinanders vergönnt“, schreibt der Dichter Said im frischen Schrecken über die Terrorangriffe auf New York im September 2001. So widersinnig es auch ist: Wenn es je einen Ort und eine Epoche gab, deren Wiederkehr und Auferstehung man sich wünschen könnte, so wäre es die wundersame Zeit von Córdoba, der Stadt, in der Roms Seneca das Licht der Welt erblickte, zu jener Zeit, als Jesus Christus fernab, in einer anderen römischen Provinz, geboren wurde. Der wahnsinnige Kaiser Nero forderte den Philosophen zur Selbsttötung auf, und Seneca, wie Christus, willigte in sein Schicksal ein.

So viele Geschichten gehen von Córdoba aus, wie Säulen im Wald der Mezquita. Hier wird die Gewaltsamkeit der Märtyrerdarstellungen, die Härte des Kreuzes, der lustvoll-schmerzverzerrte Ausdruck der Figuren und Prozessionen gemildert, transzendiert. Eine Poesie beginnt sich zu entfalten, die noch die Stille der Wüste kennt. Bis am Palmsonntag die Männer mit den Spitzhüten kommen.

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