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Der britische Schauspieler Tom Sturridge spielt den namenlosen Held in "Remainder".

© Berlinale

"Remainder" auf der Berlinale: Was von der Welt übrig bleibt

Mit Sinn fürs Detail: Der Berliner Videokünstler Omer Fast zeigt seinen Spielfilm „Remainder“ im Berlinale Panorama. Hier spricht er über seinen Film und die Freiheit der Kunst.

Auf die eigenen Erinnerungen kann man sich nicht verlassen. Das gilt für den Protagonisten aus „Remainder“ erst recht. Etwas fällt vom Himmel und ihm direkt auf den Kopf. Es folgen Koma, Klinik, Reha. Als der junge Mann nach Monaten entlassen wird, sieht er aus wie ein bärtiger Zausel und geht humpelnd am Stock. Das Schlimmste ist: Seine Erinnerung ist weg. Allerdings landet auf seinem Konto die irre Summe von achteinhalb Millionen Pfund. Bedingung: Er darf nie wieder ein Wort über den Unfall verlieren.

So beginnt „Remainder“, der erste Spielfilm des israelisch-amerikanischen Videokünstlers Omer Fast im Panorama. „Der Titel wird oft fälschlicherweise mit Erinnerung übersetzt“, sagt Omer Fast in seinem Erdgeschossstudio in Berlin-Mitte. Ein kleiner Raum. Die Rollläden sind halb heruntergelassen. Fast, mit dunklen Haaren und runder Brille, sitzt am Schreibtisch. Für das Interview hat er seine Arbeit unterbrochen. Zwei Monitore leuchten, auf einem ist ein Schnittprogramm geöffnet. Der 43-Jährige ist gerade dabei, einen weiteren Film fertigzustellen, der ebenfalls bei der Berlinale gezeigt wird. Aber jetzt geht es um „Remainder“. Das bedeutet: das, was übrig bleibt. Bodensatz. Rest.

Die Welt ist dem jungen Mann ohne Erinnerung, genial verkörpert vom britischen Nachwuchstalent Tom Sturridge, entglitten. Das Einzige, was er noch hat, sind ein paar Bilder im Kopf. Die Reste seines alten Lebens? Er kauft ein Mietshaus, das dem Haus aus seinen Flashbacks gleicht. Mit Hilfe des eleganten Immobilienmaklers Naz engagiert er ein Heer von Schauspielern, die seine bruchstückhaften Déjà-vus nachspielen. Immer skrupelloser werden seine Regieanweisungen, jedes Detail muss stimmen. Die Katzen auf dem Dach, der Geruch nach gebratener Leber im Treppenhaus. Schließlich wird im Rahmen des Reenactments einer seiner Helfer erschossen. Eine Spirale der Gewalt kommt in Gang, Toms lädierter Körper mittendrin. Und dann ist da noch der geheimnisvolle Koffer, den Tom bei dem Unfall bei sich trug und dem jetzt zwei Typen hinterherjagen.

Omer Fast in seinem Studio in Berlin.
Omer Fast in seinem Studio in Berlin.

© Doris Spiekermann-Klaas

Flüsterpost mit dem Trauma

Fast, der in Israel und in den Vereinigten Staaten aufgewachsen ist und mit 30 Jahren nach Berlin zog, zählt international zu den renommiertesten Videokünstlern der Gegenwart. Die Besucher seiner Filminstallationen bewegen sich meist zwischen mehreren Screens, auf denen enorm komplexe Stories ablaufen. „Mich interessiert, wie Erlebnisse zu Erinnerungen werden und Erinnerungen zu Geschichten“, sagt Fast. Seine Werke sind im internationalen Ausstellungsbetrieb gefragt, waren im Whitney Museum in New York, bei der Venedig Biennale oder bei der documenta zu sehen. 2009 erhielt Fast den Preis der Nationalgalerie für junge Kunst in Berlin. Die dreiteilige Videoinstallation, mit der er gewann, handelte von einem westafrikanischen Flüchtling – und von Europäern, die in Afrika Asyl suchen müssen. „Continuity“, den Film, den er beim Forum Expanded zeigt, dreht sich um einen jungen, deutschen Afghanistanheimkehrer und die unheimliche Begegnung mit seinen Eltern. Fast interviewt seine Protagonisten oft selbst. Er kapert deren Erinnerungen, vermischt sie mit Fiktion, lässt ihre Berichte von Schauspielern nachspielen oder von Wildfremden nacherzählen. Flüsterpost mit dem Trauma. Die eigene Identität als Fiktion. Das kennt Fast, der selbst zwischen zwei Kulturen aufwuchs, aus eigenem Erleben.

„Remainder“ wirkt wie die konsequente Weiterführung dieser Idee im Kino. Doch der Film beruht auf einem Roman des britischen Schriftstellers Tom McCarthy. „Ich war begeistert von dem Buch und fragte den Autor, ob ich Teile daraus verwenden könnte. Aber die Rechte waren schon vergeben.“ Kurze Zeit später meldete sich McCarthy aber doch bei Fast. Es sind zwei Brüder im Geiste, die sich da getroffen haben. Gemeinsam schrieben sie das Drehbuch. Fast fungierte als Regisseur. Es ist seine erste Begegnung mit der Filmindustrie.

„Kunst und Film sind unterschiedliche Welten“, sagt der Künstler. „Film ist verführerisch, man kann große, komplexe Welten erschaffen, die Budgets sind größer. Dafür ist die Freiheit in der Kunst riesig.“ Komplett ins Kinofach zu wechseln, ist für Fast kein Thema, auch wenn er alle Voraussetzungen mitbringt.

„Remainder“ ist ein somnambuler Thriller mit Blockbuster-Qualitäten geworden, packend und mit Witz, eine fein austarierte Mischung aus Psychothriller und Gaunerkomödie. Und Fast, der im künstlerischen Feld immer politische Themen adressiert, tut das auf subtile Art auch jetzt. „Die Geschichte spielt in Brixton, einem Viertel in London mit hohem Migrantenanteil. Der Protagonist hat Geld, er hat eine Idee und er setzt die Idee um. Er kauft Häuser, er renoviert sie, er bringt neue Arbeitskräfte ins Viertel. Gentrifizierung ist der soziale Subtext dieses Films“, sagt Fast. Es lohnt sich also, bei „Remainder“ auf die Details zu achten.

16.2., 20.15 Uhr (CineStar 3); 17.2., 20 Uhr (Cubix 7 und 8); 18.2., 22.30 Uhr (Colosseum 1); 20.2., 22 Uhr (Zoo Palast 2)

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