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Kultur: Rendezvous auf der Brücke: Am 1. Juli wird die Verbindung über den Øresund eröffnet

So einfach könnte das sein: Treffen sich eine junge Frau und ein junger Mann in der Mitte einer Brücke, umarmen einander etwas verlegen und sind fortan ein Paar. Oder zumindest Freunde fürs Leben.

So einfach könnte das sein: Treffen sich eine junge Frau und ein junger Mann in der Mitte einer Brücke, umarmen einander etwas verlegen und sind fortan ein Paar. Oder zumindest Freunde fürs Leben. So ähnlich verlief die erste offizielle Präsentation der Nationen verbindenden Øresund-Brücke vor einem Jahr durch die königlichen Hoheiten. Bauhelm bewehrt küssten sich der dänische Prinz Fredrik und die schwedische Prinzessin Victoria zur Freude der anwesenden Kamera-Teams sogar. Der Kuss ist seitdem elementarer Bestandteil des Werbetrailers für eines der wohl folgenreichsten Bauprojekte Skandinaviens. Denn Herz muss sein, wenn am Sonnabend Europas größte Seebrücke für alle freigegeben wird. Dabei gründet sie eher auf nüchternen wirtschaftlichen Prognosen als auf einer Liebesgeschichte zwischen Dänen und Schweden.

Hamburg, Berlin, Stockholm waren seit dem Fall der Mauer die Zugpferde des europäischen Nordens. Mit Verspätung will nun auch Kopenhagen nachziehen und hat sich seines einstigen Hinterlandes auf der anderen Seite des Øresunds besonnen, dem heute südlichsten Zipfel der Nachbarnation Schweden. Hier schlummern die wirtschaftlichen Potenziale für den Markt von morgen; das Tor zu den baltischen Ländern müsse lediglich noch weiter aufgestoßen werden. Darin sind sich Politiker und Investoren beiderseits des Gewässers einig und haben sich ihre Überzeugung Etliches kosten lassen. Die insgesamt 16 Kilometer lange Verbindung teils 65 Meter über dem Meeresspiegel, teils in Tunnelröhren unter der Wasseroberfläche hat 5 Milliarden Mark verschlungen, die sich in den kommenden dreißig Jahren unter anderem durch saftige Mautgebühren amortisieren sollen.

Die Brücke - das ist Gesprächsthema Nummer eins des mit drei Millionen Bewohnern achtgrößten Ballungszentrums Europas. Mag auch von offizieller Seite pathetisch verkündet werden, dass nun endlich zusammenwächst, was zusammengehört, so muss das für die Betroffenen noch längst nicht stimmen. Gewiss, bis zum Jahr 1658 war die Provinz Schonen noch dänisches Hoheitsgebiet, bevor der schwedische König seinen Nachbarn das Land endgültig abjagte, um sich die gewinnträchtigen Øresund-Zölle in die Tasche zu stecken. Doch danach wurde das eroberte Land einer "Schwedisierung" unterzogen, die bis heute Folgen zeitigt. Rund um den Øresund betrachten Dänen und Schweden einander mit besonderem Misstrauen; die über Jahrhunderte genährten Vorurteile haben allen bisherigen Werbekampagnen von Brückenbetreibern und Kommunalpolitikern getrotzt.

Deshalb sind nach den Wirtschaftsexperten und Bauingenieuren nun die Kulturarbeiter gefragt. Sie sollen unter den fremdelnden Ørseund-Anrainern Zusammenhalt schaffen, ja am besten eine neue Identität stiften. Das viel beschworene "Europa der Regionen" - zwischen Kopenhagen und Malmö, an Dänemarks Nord- und Schwedens Südzipfel ist zu beobachten, wie ein Schlagwort plötzlich Wirklichkeit wird. In Zeiten, wo die aufziehende Globalisierung vielen Schauer über den Rücken jagt und bislang nicht gekannte Heimatgefühle weckt, wächst der kulturellen Selbstvergewisserung ungeahnte Bedeutung zu. Rund um den Øresund wird sie aus gegebenem Anlass gleich institutionell verankert und unter dem Titel "Kulturbro 2000" im Biennalerhythmus alle zwei Jahre wiederholt. Nach dem Wunderwerk aus Stahl und Beton wird nun also an der mentalen Verbindung, der "Kulturbrücke", gebaut, die ab 15. September mit einem zweimonatigen Programm ihre Tragfähigkeit beweisen soll.

"Das größte kulturelle Event, das je in dieser Region stattgefunden hat, das bedeutendste ganz Skandinaviens in diesem Jahr", schwärmt Stefan Sköld, künstlerischer Direktor des Malmöer Opernhauses, zugleich Vorsitzender des "Kulturbro"-Projekts. Über hundert Institutionen beteiligen sich; Staat und Kommune fördern das Unternehmen mit 50 Millionen dänischen Kronen, von der Wirtschaft kommen weitere 10 Millionen. Ein roter Faden lässt sich in dem Veranstaltungsflickenteppich jedoch nicht erkennen. Die Museen, Theater und Kulturzentren brauchten nur ihre "Traumprojekte" zu nennen, die sie ohne zusätzliche Geldmittel nie hätten verwirklichen können. Entsprechend liest sich das Programm wie ein Wunschzettel von Direktoren und Intendanten: einmal auch Wilson, Greenaway und Graham in den Norden einladen dürfen, die überall sonst ihre Inszenierungen, Installationen und Spiegelpavillons hinterlassen haben.

Was diese kulturellen Globetrotter mit der sich selbst suchenden *resund-Region und ihren bemerkenswert zahlreichen Kultureinrichtungen im Speziellen zu tun haben, dürfte für die staunende Anwohnerschaft im Ungefähren bleiben. Umso genauer weiß es Eskild Hansen, "Senior Director of Strategy" von der Marketing-Agentur "Wonderful Copenhagen": Nur in zweiter Linie ginge es um eine Steigerung der Touristenanzahl. Veranstaltungen dieses Kalibers würden eine Region erst richtig auf die Landkarte des internationalen Business befördern, wo die kulturelle Attraktivität zu den entscheidenden Kriterien für herbeizulockende Investoren und ihr in aller Welt gefragtes Personal gehört.

Kopenhagen ist zweifellos auf dem Weg. Nur in Berlin drehen sich noch mehr Kräne, erklärt Bürgermeister Jens Kramer-Mikkelsen. Seine Stadt ist der natürliche Mittelpunkt der neuen Boomregion, seitdem die dänische Kapitale durch den schwedischen Raubzug im 17. Jahrhundert an die Peripherie ihres eigenen Landes gerückt war. Schon wird der Flughafen vergrößert, eine U-Bahn gebaut und ein komplett neues Viertel mit 3,1 Millionen Quadratmetern Wohnraum und Nutzfläche geplant, in dem auch die Forschungseinrichtungen des prosperierenden "Medicon-Valley" unterkommen sollen.

"Kulturbro 2000" beginnt erst zehn Wochen nach Inbetriebnahme der Øresund-Brücke. Die Veranstalter haben den teilnehmenden Institutionen kein konkretes Thema vorgeschrieben, indem sie ihrer ersten Biennale-Ausgabe höchst vage das Motto "Auf der Grenze" verliehen. Was daran liegen mag, dass man sein Publikum nicht auch noch kulturell strapazieren will. Denn in den kommenden Monaten und Jahren wird die Region ohnehin umfassende Umwälzungen erleben. Wo einst der Verkehr aus den Bäuchen der Fähren tröpfelte, soll er nun fließen, das beschauliche Malmö plötzlich Vorstadt des quirligen Kopenhagen werden, die mit Argwohn beäugten Bewohnerschaft des anderen Ufers fortan nur nette Nachbarn sein. Der Øresund-Feldversuch vermittelt eine Ahnung davon, was das "Europa der Regionen" für seine Bewohner, seine Infrastruktur, auch seine Umwelt bedeuten kann. Kultur soll dabei helfen, die Bruchstellen zu heilen.

Kasper Holten, der frisch berufene Intendant des Königlichen Theaters Kopenhagen, hat die Zeichen der Zeit erkannt und sein zukünftiges Publikum ins Visier gefasst. Zusammen mit dem Musiktheater Malmö hat das 27-jährige Nachwuchstalent im Rahmen von "Kulturbro 2000" zwei Kinderopern in Auftrag gegeben, die im Wechsel mal auf schwedischer, mal auf dänischer Seite gegeben werden, um zumindest in gesungener Form die Sprachhürden zu überwinden. Werbestrategen dürften dem pfiffigen Operndirektor schon empfohlen haben, sich küssende Königskinder darin auftreten zu lassen.

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