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Kultur: Rentenurteil: Im Sinne des Volkes

Als ehemalige Politikerin weiß Jutta Limbach, welche soziale und politische Sprengkraft im Thema Rente liegt. Sowohl die Unionsregierung unter Helmut Kohl als auch die Sozialdemokraten unter Gerhard Schröder fürchteten jede Veränderung am Altersvorsorgesystem, die zur Verunsicherung älterer Menschen oder gar zur Beschneidung der Alterseinkünfte führen könnte.

Von Antje Sirleschtov

Als ehemalige Politikerin weiß Jutta Limbach, welche soziale und politische Sprengkraft im Thema Rente liegt. Sowohl die Unionsregierung unter Helmut Kohl als auch die Sozialdemokraten unter Gerhard Schröder fürchteten jede Veränderung am Altersvorsorgesystem, die zur Verunsicherung älterer Menschen oder gar zur Beschneidung der Alterseinkünfte führen könnte. Mahnend wies die heutige Präsidentin des Karlsruher Bundesverfassungsgerichtes denn auch am Mittwoch darauf hin, dass "für Ängste oder gar Aufruhr in den Reihen der Rentner kein Anlass besteht". Auch die angespannte Lage der öffentlichen Haushalte habe man im Auge gehabt: "Die Belastung der Haushalte kann in Grenzen gehalten werden."

In der Sache entschied der Zweite Senat des Verfassungsgerichtes allerdings eindeutig und klar: Die Richter erklärten die derzeitige ungleiche Besteuerung von Renten und Beamtenpensionen für verfassungswidrig. Der Gesetzgeber müsse die Rentenbesteuerung bis zum 1. Januar 2005 neu regeln. Anschließend müsse eine Übergangsregelung gefunden werden, die den Vertrauensschutz der Rentner beachte. Im Klartext heißt das, in den kommenden dreieinhalb Jahren müssen die amtierende und auch die kommende Bundesregierung ein vollkommen neues System für die Altersvorsorge der Deutschen erarbeiten. "Eine Herkules-Aufgabe", wie der Grünen-Haushälter Oswald Metzger nach der Urteilsverkündung in Karlsruhe erkannte. Denn die Bundesregierung muss nun nicht nur Gerechtigkeit zwischen der steuerlichen Behandlung von Renten und Pensionen herstellen. Sie muss auch ein System finden, das der heute jungen ebenso wie künftigen Generationen die Chance gibt, auskömmliche Vorsorge für das Alter zu treffen. Selbst die Neubewertung des Pensionssystems für die Beamten könnte in den kommenden Monaten ins Gespräch kommen. Grafik: Rentner und Pensionäre Denn bisher liegt das Niveau der Durchschnittspensionen spürbar über dem der Renten von Arbeitern und Angestellten. Klar ist nur eines: Das Netto-Rentenniveau von gegenwärtig 76 Prozent des Einkommens ist mit einem Systemwechsel nicht mehr zu halten. Die Rentenreform und auch die Steuerreform der Bundesregierung müssen nun überarbeitet werden, sie sind "Makulatur", wie es der stellvertretende CDU-Chef Christian Wulff am Mittwoch sagte.

Aus Furcht

Wulff nahm Anfang 2000 für die CDU an den Rentenkonsensgesprächen mit der Bundesregierung teil und forderte bereits damals "wie viele andere auch" den Systemwechsel hin zur so genannten nachgelagerten Besteuerung, also der Steuerfreistellung von Einkünften und der Besteuerung der Altersbezüge. Vor allem aus Furcht vor Haushaltsrisiken und der Schelte der älteren Generation verschwanden solche Pläne allerdings aus dem Konzept von Rot-Grün. Nun fordert Wulff, dass Finanzminister Hans Eichel (SPD) die Pläne noch vor der Bundestagswahl offen auf den Tisch legt, um "dem Bürger vor der Wahl reinen Wein einzuschenken". Das Thema sei zu ernst, als dass man die Deutschen ohne klare Aussagen über die Richtung der Parteien in der Rentenfrage an die Wahlurne treten lassen könne.

Zwar verkündeten Eichel und Arbeitsminister Riester (SPD) am Mittwoch, dass ihr Ziel die nachgelagerte Besteuerung sei. Sie wollen jetzt aber erst einmal eine Kommission einsetzen, um den Systemwechsel mit einem Konzept vorzubereiten. "Es gibt ausreichend Zeit bis 2005", sagte ein Sprecher des Finanzministeriums. Ob man erste Ergebnisse der Kommissionsarbeit noch in diesem Jahr erwarten könne, sei "mehr als spekulativ". Nur eines sei sicher: "An der Bestandsrente wird sich nichts ändern."

In der Tat brauchen die heutigen Rentner nicht zu fürchten, dass sie zweimal zur Kasse gebeten werden. Eichels Staatssekretärin Barbara Hendricks stellte einen Übergangszeitraum von etwa 30 Jahren in Aussicht. In dieser Phase würden die Rentner "ganz langsam" in die Steuerpflicht hineinwachsen. Danach sei mit einer Steuerfreiheit bei allein stehenden Rentnern bis 1500 Euro und bei Verheirateten bis 2500 Euro im Monat zu rechnen. "Es besteht kein Anlass zur Beunruhigung bei Rentnern", fügte Hendricks hinzu. Sie erwartet, dass vor allem Rentner mit Nebeneinkünften aus Miete und Kapital von der stärkeren Besteuerung erfasst würden.

Wird die Riester-Rente Pflicht?

Unsicherheit ergibt sich allerdings für die Generation der jetzt Berufstätigen. Denn mit dem Systemwechsel, sagt der Grünen-Haushälter Metzger, "muss auch über die Ausgestaltung der privaten Altersvorsorge neu nachgedacht werden". Das heißt, die gerade erst angelaufene Riesterrente müsse ausgeweitet werden. "Die Privatvorsorge wird wohl nicht ausreichen", meint Metzger. Möglich sei sogar, dass man im kommenden Jahr zu dem Ergebnis kommt, dass die Riester-Rente "zur Pflichtrente wird".

Auch die mittelfristige Haushaltsplanung der Finanzminister in Bund und Ländern wird nach dem Urteil Karlsruhes noch einmal verändert werden müssen. Denn nach Schätzungen von Wissenschaftlern verursacht die Umstellung des Rentensystems Steuermindereinnahmen von rund 1,5 Milliarden Euro im Jahr. Und wenn der Systemwechsel im Jahr 2005 beginnt, dann werden bald nicht nur die Rentenbeitragszahler völlig neu rechnen müssen, sondern auch Finanzminister Hans Eichel.

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