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Der Internet-Experte Sascha Lobo

© dapd

Re:publica 12: Der Vortrag von Sascha Lobo - ein Protokoll

Der Mann mit der roten Irokesenfrisur ist einer der bekanntesten Blogger Deutschlands. Wir haben Sascha Lobos Vortrag auf der Internetkonferenz re:publica verfolgt.

19.30 Uhr: Ein herzlicher Gruß aus der "Station Berlin" in Kreuzberg. Einer alten Tradition und unseren onlinejournalistischen (das heißt von Klickraten umgetriebenen) Urinstinkten folgend, werden wir auch in diesem Jahr Sascha Lobos traditionellen Re:Publica-Überraschungsvortrag live bloggen. Weil: Ist Lobo. Ist lustig. Ist klug. Ist ein Ereignis. Mit hohem Wiedererkennungswert (Frisur, Sie wissen schon.) Falls Sie jetzt fragen "Muss denn immer so ein Aufriss um diesen Typen gemacht werden?" antworten wir mit einer Gegenfrage: Wer hat denn hier geklickt? Falls Sie sich fragen "Hä, um wen geht's?" Ihn hier! Und überhaupt: Was sonst sollte man auch mit so einer kleinen, aber jedes Mal völlig schief gebauten Unterhaltungspreziose machen? Eben! 

19.35 Uhr: Noch reden auf dem Podium Menschen über Twitter, aber das interessiert uns ja nicht. Uns interessiert nur der eine, den wir hier auch schon gesichtet haben: der einzig wahre, der Erklärer von allem, die Reizfigur. Wir wollen uns reizen lassen - weil das reizend ist.

19.40 Jetzt noch eine kurze Umbaupause. Was da wohl umgebaut wird? Wird es Nebelmaschinen geben? Laserfontänen? Es wäre doch mal an der Zeit, das alles so RICHTIG GROSS zu machen - wo die Re:Publica sich in diesem Jahr doch schon auf eine unfassbare und damit auch unnennbare Quadratmeterzahl vergrößert hat.

19.44 His master's head ist schon auf die Leinwand projiziert. Oh Gott, ist das wieder aufregend. Worüber er wohl in diesem Jahr reden wird? Man weiß es nicht - es ist ja schließlich ein Überraschungsvortrag! Wird es pointenreich? Bestimmt. Polemisch? Gewiss ein bisschen.  Poetisch? Nicht unbedingt. Politisch? Der Mann ist ein Politikum. Mister Internet halt. Auf geht's.

19.50: Dramatische Jinglemusik. Ein Mann mit Sonnenbrille auf dem Podium. Das ist nicht Lobo. "Unseren nächsten Gast mag eigentlich niemand." Och. "Obwohl er ein Mem seiner selbst ist, ist er immer seinen Prinzipien treu geblieben: nie für die Rüstungsindustrie, nie für die FDP". Der ist ja auch witzig. "Netzfuzzi" und "Mister Vodafone" - so möchte man doch anmoderiert werden.

19.52: Lobo tritt auf - Arschlochrufe. Vom Podium zunächst Artigkeiten.

19.53: Lobo kündigt an, "für das Volk" zu sprechen - weil doch "Spiegel Online" den Vortrag streamt. Also auf ins Netz. Der Plan für heute Abend: "Den Stand des Internets 2012" zusammenfassen - für die Leute da draußen. Heißt: "Mal dem Volk sagen, was im Internet so los ist." Wer ist da das Publikum? Wir werden sehen.

19.55  Der Start-Rant, die traditionelle Publikumsbeschimpfung zu Vortragsbeginn, entfällt. Weil alle nett sind: 2010 hätte noch jeder im Netz jedem gesagt, dass er dumm ist. Jetzt nur noch auf Nachfrage. "Das ist für mich Höflichkeit." Einzelne Rufe: "Wir wollen beschimpft werden." Gibt's nicht.

19.56 Stattdessen jetzt der Start-Flausch, die Würdigung der Leistungen der Netzgemeinde: "Ihr habt eine totale Roflcopter-Partei in die Parlamente geprügelt." Also auch die Piraten kommen in dem Vortrag vor - weil Lobo ja auch immer auf der Straße angesprochen wird: "Sind Sie nicht der Gründer der Piratenpartei?" Gute Lacherstartrampe: "Wie kommt der dazu, mich zu siezen?" Und: "Für wen ist das jetzt eigentlich schlechter - die Piraten oder mich?"

19.58 Weitere große Leistungen werden erwähnt: "Ihr habt Acta gekippt - ok, noch nicht ganz." "Ihr habt jemanden zum Twittern gebracht, der die Handynummer der Kanzlerin hat." Jetzt also auch Steffen Seibert und Bundespolitik. "Ihr habt so viel Alarm gemacht, dass ich euch zuflauschen muss." Das ist doch flauschig.

20.00 Weiterer Flausch: "Ich eile von Vortrag zu Vortrag, um den Leuten den Alarm zu erklären, den ihr macht - und die zahlen ein Heidengeld." Das wurde uns aus Kreisen bereits berichtet.

20.02 Jetzt die Zukunft: Was wird in den nächsten Monaten so hip sein im Netz - 3,5 Thesen aus Sicht der Internetpeople für die Internotpeople da draußen. Schlechtes Wortspiel - allerdings. Aber: Wer hält sich im Saal überhaupt für Internetpeople? Mal klatschen! Müder Applaus.

20.02 These 1: Das Urheberrecht interessiert deine Mutter nicht. Stimmt.

20.03 These 2: "Wir müssen einen Weg finden, dauerhaft mit 30 Millionen Netznichtnutzern klarzukommen." Tatsächlich ein ernstes Thema - ganz im Sinne des Loboschen "unterschwellig Substanz transportieren": Wie kann man die in Netzdiskurse einbinden, die das Netz nur peripher erleben? "Um das zu schaffen, brauchen wir etwas sehr Großes: Wir brauchen neue Narrative." Die jetzigen ließen das Internet in schlechtem Licht dastehen - Sätze wie "Anonymität führt zur Verrohung der Sitten", "Internet macht einsam." oder "Das Internet macht die Aufmerksamkeitsspanne... was?" Guter Gag - und ein guter Punkt.

20.08 Jetzt ein sehr wahrer Satz: "Das Narrativ ist nicht wahr, es fühlt sich aber wahr an." Das also ist die Narrativdefinition für heute Abend: Narrative sind die paranoiden Vorurteile, die auf der Netzaußenseite  über das Netz reproduziert werden. Beispiele: "Anonymität führt dazu, dass Teenager Selbstmord begehen." Dazu gelte es, so Lobo, positive Gegennarrative zu entwickeln. Wir warten auf Beispiele - und haben die letzten 1,5 der 3,5 offiziellen Thesen verpasst. Mist.

20.11 Aus irgendeinem Grund geht es jetzt plötzlich um die enorme Marktmacht sozialer Medien: Facebook - ein "Monster im Netz". Größenordnungszahlen: Facebook habe 36,5mal so viele Page Views im Juni 2011 oderso gehabt wie sämtliche deutschen Medien zusammen. Stimmen diese Zahlen? Egal. Aber was soll das jetzt?

20.15 Aha, darum geht's: Lobo fordert die Renaissance der selbstbetreuten Homepage. Die Menschen sollen Blogs machen - das kommt an bei einer Bloggerkonferenz gut an. Mit der "apellativen Kraft meiner Frisur" ruft Lobo die Blogger auf, 2012 zum "Jahr der Blogs" zu machen. Inwiefern schafft das neue Narrative? Wir werden's hoffentlich erfahren.

20.20 Erstmal nicht. Stattdessen geht es jetzt auf einmal um den besten Tweet aller Zeiten: "bratwurst im zoo. so sind die menschen" von Markus Angermeier. Das liege zwischen traurig und froh, Erkenntnis und Katastrophe. Sagt Lobo.  "Man muss die Systemtheorie verstanden haben, um jetzt zu lachen." Sagt Lobo. Aber warum das jetzt? Aha:  Genau so, wie es eine komplette Konstruktion ist, welches Tier zu essen und welches zu betrachten wäre, ist auch das Internet unterdefiniert und konstruiert - und braucht deshalb neue Narrative. Darüber denken wir jetzt noch ein wenig nach - während Lobo weiterredet, über Facebook und Instagram.

20.30 Die Frage ist, so denken wir uns, ob die Unterscheidung zwischen dem betrachteten und gegessenen Tier wirklich willkürlich ist. Eine Konstruktion sicher, aber doch eine, die begründet ist: in der Seltenheit der einen Art in diesen Breitengraden. Ob das eine wirkungsvolle Metapher dafür ist, wie das Internet durch neue Narrative seinen Charakter komplett wandeln könnte - das stellen wir hier mal zur Diskussion. Lobo zeigt derweil Instagram-Fotos von Hannelore Kraft - Lacher.

20.32 Oje, der Akku ist schwach. Noch eine halbe Stunde - hoffentlich reicht's. Obwohl: Entgegen der Ankündigung, über die Köpfe der Netzgemeinde hinweg zu Offlinern zu sprechen, sind das hier in diesem Jahr nur gefällige Gags vom Obernerd für die Nerdmasse - über das Versagen von Google Plus undso: "Wie ein Elfmeter ohne Torwart bei Rückenwind und abschüssigem Platz". Verstehen Sie nicht? Eben - Sie verpassen also im Zweifel nichts.

20.35 Jetzt geht's um Youtube - wo die Kids sind und nicht die Nerds, was die Nerds - allen voran Lobo - offenbar schmerzt. Langweilig. Wir denken weiter über die Tiere nach. Ist das Internet jetzt die geschützte Art im Käfig? Oder das Hausschwein in der Wurst? Und was sollte es im Idealfall sein? Das jeweils andere?  Wäre doch auch doof.

20.36 Jetzt das Schlagwort Netzpolitik auf der Leinwand. Ist das ein uninspiriertes serielles Gag- und Themenfeuerwerk! Wir verlinken an dieser Stelle einfach mal auf den Liveblog vom letzten Jahr - als Vortragender und Bloggender deutlich inspirierter waren. Ansonsten: Wenn die Konstruktion von Zootier und Wursttier eine im luftleeren Raum wäre (also wirklich im eigentlichen Sinn eine Konstruktion),  dann wären beide ja beliebig austauschbar. Was den Tieren vielleicht egal wäre. Was an Tabukonstellationen scheitert - wer isst schon gern Panda? Das ist die alte Frage von Artenschutz und Schutz des Individuums. Aufs Internet übertragen hieße das etwa: Auch hier haben sich in kreisender Autopoiesis Tabus, Sprech- und Handlungsgewohnheiten kulturiert, die so sinnlos sein können, wie sie wollen. Sie sind da. Was das jetzt für die Narrative bedeutet? Wir haben keine Ahnung - der Vortragende offensichtlich auch nicht.

20.45 Jetzt noch zu den Piraten: "Die Piraten haben kein Programm." Ein schlechter Scherz. Aber jetzt richtig, sagt Lobo: Die Gefahr für die Piraten sei der Besserwisser. Sagt Lobo. Man soll die Spitzen der Piraten stärken. Sagt Lobo. "Ich freue mich, dass jemand, der einigermaßen zurechnungsfähig ist, Vorsitzender der Piraten ist." Sagt Lobo. Ob das Bernd Schlömer, seit Samstag Bundesvorsitzender der Partei, hilft? "Es ist toll, dass es die Piraten gibt." Sagt Lobo. Ob das den Piraten hilft? Egal, es wird weitergeflauscht - vielleicht ist die Netzszene mit ihren Themen und Köpfen auch einfach zu erfolgreich für einen kernigen Lobo-Vortrag. Wäre ja auch eine These. Lobo macht sich jetzt über die Piraten-Abstimmungssoftware Liquid Feedback lustig. Auch oll.

20.48 Gags, Gags, Gags. Das alles wäre nur dann unterhaltsam, wenn man nicht für das eigene Narrativ darauf angewiesen wäre, dass der Vortragende ein solches darreicht. Der "Stand des Internets 2012" (Erinnerung: Thema des Vortrags) ist wohl zu disparat für Kohärenz. Eigentlich auch legitim. Aber schade.

20.50: Jetzt noch zur Anonymität: Wenn keiner mehr anonym ist, "wird der komisch angeguckt, der anonym oder pseudonym ist. Das halte ich für eine Gefahr." Das ist legitim - Lobo zeigt jetzt  Hetzkommentare gegen sich selbst. Witzig, aber worum ging's nochmal an.

21.45: Da hat der Akku gnädig schlapp gemacht. Aus dem Notizbuch rekonstruieren wir den Rest des Vortrags: Demnach wurde die FDP gelobt ("Ohne Frau Leutheusser-Schnarrenberger wären wir hier manchmal ziemlich im Arsch."), der Insidersprech der Netzgemeinde getadelt ("Das geht mir unfassbar auf den Sack."), Bilder von Katzen, Igeln und Eulen gezeigt - Flausch eben. Danach noch ein Exkurs zu Internet und Pornografie. Ein Fazit entfällt. Das Narrativ muss wohl jeder selber schreiben. Lobo hat der Erwartungshaltung, er werde das Internet erklären, eine grandiose Absage erteilt. Es muss selbst gedacht werden. Wenn das Konzept war (und nicht nur Folge schlechter Vorbereitung), dann war es brillant. Wenn nicht, dann nicht. Guten Abend!

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