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Der "Liegende Löwe", eine Marmorstatue von August Gaul von 1903 wurde an die Mosse-Erben zurückgegeben. Er bleibt als Leihgabe in Berlin.

© SMB

Resitution an die Mosse-Erben: König der Löwen

Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz gibt acht Kunstwerke an die Erben des Verlegers Rudolf Mosse zurück. Eine Spurensuche.

Nur weg aus Deutschland, hieß es für Felicia und Hans-Lachmann Mosse, als die Nationalsozialisten im Januar 1933 an die Macht kamen. Noch in der ersten Jahreshälfte reisten sie aus. Erst in die Schweiz, dann in die USA. Obwohl Lachmann-Mosse gerade ein Konkursverfahren für den finanziell angeschlagenen Verlag einleitete. Obwohl sie Häuser in Berlin besaßen – und eine wertvolle Kunstsammlung, geerbt von Felicias Vater Rudolf Mosse, einem der bedeutendsten Verleger Deutschlands. Auf ihre Besitztümer konnte die Mosse-Familie 1933 keine Rücksicht nehmen, es ging ja um Leben und Tod. Lachmann-Mosse versuchte, die Kunstsammlung in die Schweiz zu holen. Hitler lehnte ab. Der Verlag, in dem einst über 100 Blätter erschienen waren, unter anderem das legendäre „Berliner Tageblatt“, wurde zerschlagen. Die Kunst wurde 1934 in den Berliner Auktionshäusern Rudolph Lepke und Union versteigert und privat verkauft. So verstreute sich die Sammlung in alle Winde. Der Raub war perfekt; die verhasste jüdische Verlegerfamilie vertrieben.

Das Land wurde zurückgegeben, die Kunst nicht

Acht Werke gibt die Stiftung Preußischer Kulturbesitz nun an die Mosse-Erben zurück. Provenienzforscher hatten die Bestände der Berliner Museen in den vergangenen Jahren systematisch auf Stücke aus dem Mosse-Erbe untersucht. Die Grundstücke in Berlin und Umgebung wurden nach der Wende an die Mosse- Nachfahren zurückgegeben. Nicht so die geraubte Kunst. Objekte sind flüchtig, sie führen ein Eigenleben. Wo suchen? Wer soll suchen? Und wonach? Viele Museen begannen erst mit der „Washingtoner Erklärung“ von 1998 systematisch nach Raubkunst in ihren Beständen zu fahnden. Seit 1994 gibt es mit der Lost-Art-Datenbank in Magdeburg immerhin ein Instrument, um die Verluste öffentlich zu benennen.

2012 rief die Mosse Foundation in Amerika ein Restitutionsprojekt ins Leben. 411 Objekte hatte eine Anwaltskanzlei in San Francisco bei Lost Art aufgelistet, darunter Gemälde, Plastiken, Grafiken, Möbel und Schmuck. Parallel dazu hatten die Provenienzforscher in Berlin begonnen, die Bestände der Staatlichen Museen zu untersuchen. Als die Mosse Foundation im vergangenen Jahr nach zwei Objekten aus dem Ägyptischen Museum fragte, konnten sie sagen: Ja, und wir haben noch mehr.

Rudolf Mosse sammelte Kunst mit Leidenschaft

Die Liste klingt skurril: ein römischer Kindersarkophag, ein altägyptisches Opferbecken und ein Eingeweidekrug, zwei Windhunde aus Marmor, zwei altchinesische Löwen und ein weiterer Löwe jüngeren Datums aus der Alten Nationalgalerie. Keine Gemälde. Die fanden sich in Kunsthallen in Karlsruhe, Köln, Darmstadt und anderswo. Die Berliner Museen haben keines der nun restituierten Objekte direkt in den Auktionen 1934 gekauft. Zum Glück, möchte man sagen. Wie aber sind sie dort gelandet? Und was wollen sie uns erzählen?

Rudolf Mosse, oft als sparsam, ja geizig verschrien, konnte das Geld mit vollen Händen ausgeben, wenn es um die Kunst ging. Sein Stadtpalais an der Leipziger Straße 15 war Wohnhaus und Privatmuseum zugleich. In den Räumen hingen Gemälde von Malern wie Arnold Böcklin, Lovis Corinth, Wilhelm Leibl, Max Liebermann, Adolph Menzel oder dem Wiener Hans Makart. Mosse sammelte Zeitgenossen, aber er besaß auch wertvolle Handschriften und seltene Bücher. Und er ließ die Öffentlichkeit dran teilhaben. Das Mosse-Palais war ein Zentrum des kulturellen Lebens in Berlin.

Abends rollten noble Kutschen und schicke Automobile heran. Mosse lud die Haute Volée der aufstrebenden Kaiserstadt zu sich ein. Kunst verkörperte für den Geschäftsmann auch Lebensfreude. Im Hof des Palais befand sich ein Brunnen, auf dem leichtfüßig drei Mädchen aus Bronze tanzten. Ihren Schöpfer, den Künstler Walter Schott, soll Mosse fürstlich entlohnt haben. Und er geizte sicher auch nicht, als er vom Tierbildhauer August Gaul eine Skulptur erwarb. Einen liegenden Löwen von 1903. Gaul hatte schon vorher zwei kraftstrotzende Bronzelöwen geschaffen, sie waren ursprünglich für das Kaiser-Wilhelm-Denkmal von Reinhold Begas gedacht und sind heute im Tierpark Friedrichsfelde. Wo mag Mosses Löwe seinen Platz gefunden haben. Im Garten des Hauses? Oder im Eingangsbereich, um Gästen die Kraft des Hausherrn zu demonstrieren?

Der Löwe aus den Trümmern

„Im Garten der Vosstrasse gefunden“, notierten die Kulturbeauftragten der Alliierten, als sie nach Kriegsende durch die Stadt marschierten, um zu erfassen, was übrig geblieben war. Mosses Stadtpalais lag in Trümmern, es war 1945 bei einem Luftangriff völlig zerstört worden. Auf dem Gelände fand sich jedoch eine Löwenskulptur. Sie wurde in die Alte Nationalgalerie transportiert. Dort landete sie im Depot. Der stehende Löwe, den Gaul 1904, also ein Jahr nach Mosses Exemplar geschaffen hatte, steht heute im Kolonadenhof des Museums. Wurde der Mosse-Löwe gleich doppelt betrogen? Und hat er jetzt die wichtigere Geschichte zu erzählen? Die Mosse-Objekte sind wie fehlende Puzzleteile, die viele verschiedene Themen miteinander verbinden. Sie spannen ein Netz aus Verweisen, das vom Alten Ägypten bis nach Brandenburg reicht.

Folgt man dem Weg der Objekte, landet man in Schloss Schenkendorf in Mittenwalde, dem ehemaligen Sommersitz der Familie Mosse. Rudolf Mosse ließ das Anwesen 1896 erbauen. 1920 erlitt er dort einen Herzschlag und starb. Die Asiatika seiner Sammlung, die Marmor-Windhunde und die Löwen auf Lotossockeln, wurden in den 48 Räumen wohl schlicht vergessen. Die Nationalsozialisten enteigneten das Schloss 1933. Während der DDR-Zeit nutzte die NVA das Gebäude. Vielleicht wussten die Offiziere nichts mit Windhund und Löwe anzufangen, vielleicht standen sie im Weg. Jedenfalls gelangten die Gegenstände in den 1970er Jahren ins Asiatische Museum.

Als das Gut nach der Wende an die Mosse-Erben zurückgegeben wurde, war die Kunst schon weg. 1995 erwarb Ottomar Rodolphe Vlad Dracula Prinz Kretzulesco, bürgerlich Ottomar Berbig, das Anwesen. Um die Jahrtausendwende wurde es zwangsversteigert. Heute teilt das Anwesen das Schicksal vieler alter Schlösser und Gutshäuser in Brandenburg: Sie sind schön, teuer im Unterhalt und niemand macht etwas daraus. Einem Visionär wie Rudolf Mosse wäre dazu sicher etwas eingefallen. Seine wiederentdeckten Kunstwerke bleiben Berlin erhalten, als Leihgabe.

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