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Kultur: Retrospektive: Baumverständnis

Bäume, die aussehen wie Menschen. Ob mit Kreide, Kohle oder Mischtechnik gezeichnet: Immer wieder stößt der Betrachter auf die anthropomorphen Gewächse.

Bäume, die aussehen wie Menschen. Ob mit Kreide, Kohle oder Mischtechnik gezeichnet: Immer wieder stößt der Betrachter auf die anthropomorphen Gewächse. Baumdarstellungen sind ein bevorzugtes Motiv der Berliner Zeichnerin Lizzie Hosaeus. Ihre Identifikation mit diesem Symbol für Einsamkeit und Standfestigkeit springt dem Betrachter ins Auge. In dem jüngst im Eisenkorn Verlag erschienenen Buch zur Zeichnerin heißt es: "Bäume, die sterben oder bereits verdorrt sind? Sinn-Bild-Gedichte aufs Ende des menschlichen Lebens. - Jeder kann es verstehen."

In der Tat, jeder kann es verstehen. Genau hierin unterscheidet sich die hoch begabte Zeichnerin von zeitgenössischen Künstlern und somit auch von deren Kunst. Dem wesentlichen Kennzeichen moderner Kunst, dem Hermetischen, verweigert sich ihr sehr persönliches Werk. Ebenso wenig war sie bereit, sich auf die prägenden formalen Aspekte moderner Kunst einzulassen: der Negation handwerklicher Meisterschaft zu Gunsten der künstlerischen Idee. Stattdessen zeigt sie - ähnlich wie etwa Horst Janssen - auf jedem Blatt ihr zeichnerischeres Talent.

Lizzie Hosaeus wäre am 15. November vergangenen Jahres neunzig Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass ist für sie in der Ausstellungshalle des Rathaus Schöneberg eine Retrospektive eingerichtet. Ihre Arbeit brachte der 1998 verstorbenen Grafikerin zwar Anerkennung als Karikaturistin, aber kaum als Künstlerin. Dazu waren ihre Sujets zu plakativ, Technik und Stil zu konservativ. Einerseits verlässt sie das Feld der Zeichnung nie, andererseits schimmert ihre Ambition für anderes doch durch. Anstelle des Flüchtigen, das die Karikatur kennzeichnet, verrät ihr Strich immer wieder große Sorgfalt. Dann sind da die großen Themen: die Tragik des modernen Menschen, die zwischenmenschliche Entfremdung. Da wird die Karikatur immer wieder durch eklektizistische Anleihen aus der Avantgarde nobilitiert: expressionistische Linolschnitte, konstruktivistisch anmutende Skizzen, daneben düsterer Realismus. Aber genau diese Bezugnahmen auf Stile, die zum Zeitpunkt des Entstehens der Blätter in den 60er, 70er und 80er Jahren bereits altmodisch waren, trennen sie wiederum von der sich rastlos erneuernden modernen Kunst.

Während der 30er und 40er Jahre als Illustratorin tätig, wandte sich Lizzie Hosaeus nach dem Zweiten Weltkrieg der Karikatur zu und arbeitete für Satiremagazine wie den "Simplicissimus" und den "Deutschen Michel". Ihre Zeichnungen haben politische Konnotation, aber nur selten ist Parteinahme zu erkennen. Es bleibt bei der vordergründigen Kritik an "denen da oben" oder der modernen Zeit, versinnbildlicht in wuchernden Städten. Doch die Täter interessieren Hosaeus weniger. Im Mittelpunkt steht das Engagement für die Opfer: die Masse, der einzelne Mensch oder eben der Baum. Hämischer Zynismus, wie er typisch für das Genre der Karikatur ist, findet sich selten. Nur in den Zeichnungen zu Alkoholismus und von - offensichtlich unglücklichen - Liebespaaren wird der Blick kälter und distanzierter. Bezeichnenderweise lassen jene Blätter, in denen die Betroffenheit der Zeichnerin am schmerzhaftesten spürbar wird, jede Anteilnahme vermissen.

Nicholas Körber

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