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Kultur: Rettet die Aura!

Eine Polemik gegen die Virtualisierung und Technisierung der Museen

Museen moderner Kunst, per definitionem zur Erneuerung verdammt, versuchen seit ihrer Entstehung immer wieder fundamentale Veränderungen in der Alltagskultur zu reflektieren. War es einmal die Einbeziehung neuer Sammelbereiche wie Mode, Design oder Architektur, ist es heute die multimediale Belebung und Vernetzung des Ausstellungsortes. Die wichtige Frage, wie man mit dem internettrainierten Wahrnehmungsvermögen der durch permanentes multimediales Signalbombardement abgestumpften Menschen im Museumskontext umzugehen hat, kann dabei allerdings zu unsäglichen Antworten führen.

Die Nutzung der neuen Technik mag zu spektakulären Architekturkonzepten führen, zu Räumen, deren Dimensionen in permanenter Bewegung sind oder zu Institutionen, die sich als zugängliche Dauerlager entpuppen. Doch wir können noch so viele Internetterminals in den Sammlungs und Ausstellungsräumen aufstellen, die uns erlauben, die mit Zusatzinformation verlinkten Objekte nach Lust und Laune heranzuzoomen oder in einem Radius von 360 Grad zu betrachten. Wir können auch noch ausgefeiltere Wireless-LAN-Audiotouren ersinnen sowie begehbare interaktive Sammlungsdatenbanken entwickeln oder ausgeklügeltere, für die Öffentlichkeit begehbare Depoträume ersinnen. Wir können schließlich noch eine Unmenge von – neben einem Kunstwerk immer deplatziert wirkenden – Flachbildschirmen mit Touchscreen-Funktion aufhängen. Den auf „limited attention span“ eingestellten Besuchern nähern wir uns dadurch nicht. Und schon gar nicht kommen wir der Rasanz der Informationsverarbeitung in der Wirklichkeit nahe.

Und das sollen wir auch gar nicht. Das Museum muss ein asynchroner Raum sein. Es ist ein Ort des Innehaltens, des Stehenbleibens. Das Museum muss sich deutlich vom Außen unterscheiden, von der Ästhetik, der Beliebigkeit und insbesondere auch der Geschwindigkeit der Straße. Es muss sich absetzen von der Welt, die Marc Augé beschreibt als eine Welt, „die der Durchreise, dem Provisorischen und Ephemeren überantwortet ist“ und in der sich im Fluss der Datenströme und der Telekommunikation jede Wahrnehmung von festen Orten verliert, die man bewohnen oder verlassen und bei der Rückkehr wiederfinden kann.

Das Museum als symbolischer Ort mit einem alternativen Zeit- und Realtitätsbegriff hat die Möglichkeit, ja die Verpflichtung, der Auflösung der realen Orte gegenüber resistent zu bleiben und die Erfahrung des Ortes neu zu begründen. Gerade darin liegt eine der großen Chancen der Museen. Parallel zu den Orten gehen in der Informationsgesellschaft auch die physischen Dinge mit ihrer Aura zunehmend verloren. Dennoch ist das Bedürfnis nach der Aura geblieben, da wir es offensichtlich im täglichen Medienkonsum nicht befriedigen können.

Das Museum ist jener Ort, an dem ein Kunstwerk physisch im Hier und Jetzt erfahrbar ist. Eine Erfahrung, die uns in der Gegenwart der virtuellen Welten, die unnachgiebig unsere Wirklichkeit durchdringen, zunehmend abhanden kommt.

Die Zukunft der Museen kann demnach weder in der Idee des Virtuellen liegen noch in dem multimedialen Bombardement von Zusatzinformationen und verspielten Hightech-Animationen Wange an Wange mit dem Kunstwerk selbst. Die unmittelbare, ästhetisch reine und von der Zeitdauer möglichst offene Begegnung mit dem Kunstwerk muss immer noch im Zentrum der Museumsarbeit stehen. Das ist auch das, was das Kunstwerk in der Regel selbst verlangt. Das Museum und natürlich auch Kunstinstitutionen ohne eigene Sammlung wie Kunsthallen oder Kunstvereine haben die Aufgabe, dazu den entsprechenden Rahmen zu bieten.

Das bezieht sich einerseits auf den räumlichen, anderseits auf den inhaltlichen Kontext. Diese Institutionen verkörpern in der Gesellschaft kulturelle Kompetenz. Insofern sind sie dazu prädestiniert, ein Ort des Diskurses wie auch der Alternative zu sein. Die Fähigkeit zum Diskurs und zur Differenzierung, die der konsumptiven Fetischisierung einen anderen, vielleicht sogar anachronistischen Weg entgegenhält, wird auch in den nächsten Jahrzehnten ein wesentlicher Faktor für die Zukunftsfähigkeit der Museen sein.

Max Hollein ist Direktor der Schirn Kunsthalle Frankfurt. Foto: dpa

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