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Kultur: Rettungsaktionen am Erbe

Die Kulturstiftung der Länder feiert ihren 10.Geburtstag.

Die Kulturstiftung der Länder feiert ihren 10.Geburtstag.Die "Einkaufsgenossenschaft" bewahrt nationale Kulturgüter vor AbwanderungVON BERNHARD SCHULZVor reichlich acht Jahren fand in Bonn eine breit angelegte Ausstellung statt, die Rechenschaft über die Kunstankäufe des Bundes geben sollte.Sie fand wegen der dramatischen Ereignisse in der zusammenbrechenden DDR nicht die gebotene Aufmerksamkeit; aus dem doch kurzen Abstand von acht Jahren wirkt sie rückblickend ganz der Vergangenheit zugehörig.Bei den Erwerbungen national wertvollen Kulturgutes war eine systematische Handlungsweise nicht zu erkennen.Sie konnte es seinerzeit auch nicht geben.Dramatische Aktionen verbargen sich hinter manchen der gezeigten Objekte, vom Rückkauf des Berliner Botticelli-Rundbildes 1954 bis zum Erwerb des Evangeliars Heinrichs des Löwen - beides aus der Not eines drohenden, unwiederbringlichen Verlustes.Acht Jahre später nun wird am heutigen Freitag eine vergleichbare Ausstellung in der Stuttgarter Staatsgalerie eröffnet."Glanzlichter" hieß die Veranstaltung damals in Bonn, "Sternstunden" heißt sie heute in Stuttgart.Mit der Ausstellung eines "deutschen imaginären Pantheons" von rund 150 Objekten aus Malerei, Skulptur, Kunstgewerbe, Fotografie, Musik und Literatur begeht die Kulturstiftung der Länder das noch junge, aber schon bedeutsame Jubiläum ihres zehnjährigen Bestehens.Die Kulturstiftung steckte also bereits in den Anfängen ihrer Tätigkeit, als der Bund sich zu seinem vierzigsten Geburtstag im Bonner Kunstmuseum feierte - und damit zugleich das Ende des bisherigen Vorgehens markierte.Denn dem Jubiläum der Bundesrepublik ging die vierzigste Wiederkehr der gesamtdeutschen Länderministerpräsidenten-Konferenz von 1947 voran, zu deren nostalgischer Beschwörung im Jahre 1987 die bundesdeutschen Ministerpräsidenten die Kulturstiftung der Länder besiegelten.Der Bund trat ihr im Rahmen eines "Mitwirkungsabkommens" bei, und zum Jahresbeginn 1988 wurde sie mit Sitz in Berlin - damals und nicht unumstritten West-Berlin - errichtet.Zweck der Kulturstiftung ist satzungsgemäß "die Förderung und Bewahrung von Kunst und Kultur nationalen Ranges".Verwirklicht wird der Stiftungszweck "insbesondere durch die Förderung des Erwerbs für die deutsche Kultur besonders wichtiger und bewahrungswürdiger Zeugnisse, vor allem, wenn deren Abwanderung ins Ausland verhindert werden soll oder wenn sie aus dem Ausland zurückerworben werden sollen".Dafür stellen die Bundesländer jährlich 15 (nach anfänglich 10) Millionen Mark zur Verfügung.Das ist keine berauschende Summe und nicht im entferntesten zu vergleichen mit den Möglichkeiten, die den Nationalstiftungen anderer Staaten zu Gebote stehen.Ach ja, Nationalstiftung: sie schwebt als inspirierende Vision in der Kulturstiftung mit.Die Gründung im Jahre 1987 war der Schlußstrich unter eine quälende Debatte, in deren Verlauf die große Idee, von Willy Brandt im Schwung der frühsiebziger Jahre benannt, zu einem häßlichen Gespenst kleingeredet wurde.Am Ende ging es nur noch um die heilige Kuh der Länderkulturhoheit.Die dringende Aufgabe, dem Verlust von Kulturgütern nationalen Ranges entgegenzuarbeiten, war aus dem Blickfeld verschwunden.Was damals in Bonn als "Glanzlichter" eine fehlende Politik überdeckte, präsentiert sich ab heute in Stuttgart als "Sternstunden" planvoller Ankaufspolitik.Alle Erwartungen sind erfüllt, ja überboten worden.Was sich anfangs bescheiden mit Lothar Späths Wort als "Einkaufsgenossenschaft der Länder" gab, darf sich heute stolz als eine der Institutionen bezeichnen, in denen Fragen des nationalen Kulturerbes und des nationalen Ranges mit größter Selbstverständlichkeit behandelt werden.Im Kern ist hier die Nationalstiftung entstanden.Die von Museen, Archiven und Kulturinstitutionen zu stellenden und von dem Stiftungsrat als dem Leitungsgremium entschiedenen Förderanträge spiegeln das Verständnis von Nationalkultur in einem föderalen Staat.Nicht zu vergessen ist, daß der Stiftungsrat unter Vorsitz des jeweiligen Bundesratspräsidenten tagt.Derzeit ist Baden-Württemberg an der Reihe - daher die Jubiläumsausstellung in Stuttgart.Ausgewogenheit nach Bundesländern ist im übrigen kein Kriterium der Fördertätigkeit, mag sich aber im Laufe des Jahrzehnts als statistisches Mittel eingependelt haben.Denn nicht die Museen oder die einzelnen Bundesländer planen Anträge, sondern die oft zu Eile zwingenden Geschehnisse auf dem internationalen Kunstmarkt diktieren die Erwerbungswünsche.Ein besonderes Engagement der Stiftung gilt den neuen Ländern.Es reicht zurück bis in die Zeit vor der Wende.Angesichts der kulturpolitischen Quarantänebemühungen der DDR ist das eine mehr als erstaunliche Tatsache.Denn der Weitblick, der sich in den ersten Überlegungen zur Hilfe für DDR-Einrichtungen spiegelt, nahm diese Aufbauhilfe in der Übergangszeit und den Jahren nach der Wiedervereinigung ganz selbstverständlich vorweg.Daß etwa der in den USA aufgetauchte Quedlinburger Domschatz bereits vor dem Fall der DDR in den Blick rückte, dann erworben sowie in München restauriert werden konnte und bei der Heimführung nach Quedlinburg gleichwohl im vereinten Deutschland verblieb, gab diesem Ankauf "eine politische Dimension, die die Rückführung als geradezu symbolträchtig erscheinen läßt", wie es im entsprechenden Heft der Reihe "Patrimonia" heißt, die - als einzige, kleine Bedingung der Kulturstiftung - zu jeder Erwerbung vom glücklichen Begünstigten zu publizieren ist.Auf über 130 ist die Zahl der "Patrimonia"-Hefte mittlerweile angewachsen.150 Millionen Mark an Ländermitteln hat die Kulturstiftung verwendet und ein Mehrfaches dieser Summe bewegt; denn mehr und mehr rückt die Funktion der finanziellen Clearing-Stelle in den Mittelpunkt, bei der die Stiftung Zuwendungen verschiedener und mehr und mehr auch privater Geldgeber zusammenführt.Ohne den Sachverstand und das diplomatische Geschick des kleinen, effektiven Berliner Stiftungsteams, an der Spitze der seinerzeit vom Deutschen Museum München gekommene Generalsekretär Klaus Maurice, wäre diese Vermittlungsfunktion ebensowenig denkbar wie der finanzielle Erfolg bei der Mäßigung anfänglicher Forderungen von Veräußerern.Mit der Einheit ist - wie überall - eine spezielle Eigentumsproblematik virulent geworden.So erheben adelige Alteigentümer auf ihrer Meinung nach unrechtmäßig enteignete Kunstwerke Ansprüche, die oft seit Jahrzehnten in ostdeutschen Museen gezeigt werden.Ihre fallweise Erwerbung, nur um sie an derselben Wand, in derselben Vitrine belassen zu können, stellt auch das Rechtsverständnis der Öffentlichkeit auf die Probe.Unterschiedliche Eigentumswechsel spielen ineinander: die Ausgleichsregelungen der zwanziger Jahre nach der Aufhebung des Adelsbesitzes 1918, die Enteignungen unter sowjetischer Herrschaft vor 1949 und schließlich die Verstaatlichungen durch die DDR.Das Modell einer geglückten Einigung hat Leipzig erfahren, wo die preislose Holztafel der "Heimsuchung" von Rogier van der Weyden für zwanzig Millionen Mark angekauft wurde, während die Erben des Alteigentümers Speck von Sternburg eine Stiftung errichteten und dieser rund zweihundert Kunstwerke übertrugen, die als unbefristete Leihgabe gleichfalls weiterhin im Museum verbleiben.Daß die ostdeutschen Kommunen nicht überall so glücklich agieren, bereitet der von Anfang an kulturpolitisch denkenden Stiftung Sorgen.Die Zersplitterung der Zuständigkeiten unter dem Schlachtruf der Länderkulturhoheit ist die Kehrseite der außerordentlich vielfältigen Kulturlandschaft, die der deutsche Föderalismus hegt und in der Weite des Begriffs des nationalen Ranges als einer Summe identitätsstiftender Merkmale gespiegelt findet.Davon muß der Besucher der Stuttgarter Ausstellung nur den sinnlichen Abglanz wahrnehmen.Das heterogene Material findet sich nach Gattungen und Epochen verteilt, von deutscher Malerei - vieles zählt zu der von den Nazis als "entartet" verschleuderten und insbesondere für ostdeutsche Museen mühsam zurückzuerwerbenden Moderne - über die "Schatzkammer" mit mittelalterlichen Kostbarkeiten, ferner einen Raum mit kunsthandwerklichen Objekten aus Renaissance und Barock bis hin zur Fotografie und zu den Autographen aus Literatur und Musik, von Brecht, Kafka, Schiller ebenso wie Beethoven, Offenbach oder Wagner.Wenn es je eines Beweises für Sinn und Notwendigkeit der Kulturstiftung der Länder bedurft hätte, so wird er in der Staatsgalerie eindrucksvoll geliefert.Es ist vielmehr an der Zeit, das Instrumentarium der Stiftung - und nicht allein in finanzieller Hinsicht - zu verbessern und zu verstärken, um der Konkurrenz mit potenten Einrichtungen jenseits der Landesgrenzen wenigstens halbwegs gewachsen zu sein.Einer wird an solchen Überlegungen allerdings nicht mehr teilnehmen: Klaus Maurice.Der Generalsekretär verabschiedet sich heute nach einem Jahrzehnt von seinem Amt.Ob er sich bereithält für andere Aufgaben? Die Vision der Nationalstiftung ist nicht verflogen - sie erhält vielmehr in Stuttgart ein überzeugendes Unterfutter. Stuttgart, Staatsgalerie, Konrad-Adenauer-Straße 30-32, bis 1.Juni.Katalog 39 DM.

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