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Kultur: Revolution im Entengang

Chuck Berry hat ein Leben lang über Teenager gesungen. Heute wird der Rock’n’Roll-Pionier 80 Jahre alt

Die fünfziger Jahre waren das Jahrzehnt, in dem die Teenager erfunden wurden. Sie waren jung, sie waren sexy, vor allem aber waren sie gelangweilt. Das Leben müsste jetzt endlich losgehen, aber das Einzige, was es vorerst zu bieten hatte, war das Läuten der Schulglocke. „School Days“, so heißt die Hymne, die dieses Dasein im Wartestand fünf Strophen lang zu einer hell perlenden Gitarre beschreibt. „Up in the mornin’ and out to school / The teacher is teachin’ the golden rule.“ Jeden Tag dieselbe Leier: Geschichte und Mathe, das zerkochte Essen in der Schulkantine, dann wieder über den Büchern sitzen. „Soon as three o’clock roll around / You finally lay your burden down.“ Noch einmal läutet die Glocke, diesmal ist es das Signal für den Aufbruch in die Freiheit. Raus aus der Schule und rein in die nächste Kneipe. In der Ecke steht eine Jukebox. „Drop the coin right into the slot / You gotta hear something that’s really hot: Hail, hail Rock’n’Roll.“

Der Mann, von dem dieser Schlachtruf stammte, war ein drahtiger Schwarzer, dessen Gesicht von buschigen Koteletten und einem Bleistiftbart akzentuiert wurde. Chuck Berry, geboren am 18. Oktober 1926 im kalifornischen San José, hat ein Leben lang über nichts anderes gesungen als über Teenager. Seine Songs klingen wie harmlose Romanzen, aber sie haben ihre Abgründe. Seinen Zynismus tarnt Berry mit Augenzwinkern.

„Sweet Little Sixteen“ handelt von dem Mädchen, mit dem jeder tanzen möchte, einer Sexbombe, die schon am „grown-up blues“, der Erwachsenendepression, leidet. „Roll Over Beethoven“ ist ein Lobgesang auf den Rhythm & Blues und – „Go get your lover, then reel and rock it“ – die körperliche Liebe. „You Never Can Tell“ erzählt von einer wilden Teenager-Hochzeit und spart nicht mit den entscheidenden Details: Das junge Paar kauft einen „cherry-red ’53“, eine kirschrote 1953er Limousine, ihr Kühlschrank ist gefüllt mit „TV Dinner“-Packungen und Ginger Ale.

Als der ehemalige Lagerarbeiter und Friseur im Mai 1955 in Chicago seine erste Platte aufnimmt, ist er beinahe 30, für einen Popmusiker ein biblisches Alter. Die Single heißt „Maybellene“, es geht um den 1955er Cadillac Coupe de Ville. Bei seiner ersten großen Tour 1956 kreiert Chuck Berry den „Duck Walk“, der fortan sein Markenzeichen sein soll. Er hockt sich nieder und hüpft auf den Hacken, die Gitarre fest gegen den zusammengekrümmten Körper gepresst.

„Chuck sang mit einer Stimme, genauso wellig und ölig wie sein Haar. Dann linste er verschämt über die Schulter und sah aus wie Sweet Little Sixteen selbst, nichts als große Augen und klimpernde Lider“, so schildert ihn der Schriftsteller Nik Cohn.

1962 wird Berry zu einer anderthalbjährigen Haftstrafe verurteilt, weil er eine Minderjährige ohne Zustimmung ihrer Eltern über eine Staatsgrenze gebracht hat. Als er das Gefängnis verlässt, ist die Rock’n’Roll-Begeisterung abgeflaut, aber nun machen die Beatles sein „Roll Over Beethoven“ zum Hit, und die Rolling Stones füllen mit seinen Nummern ihre frühen Alben. Es ist sein erstes Comeback, zahlreiche weitere sollen folgen. Als die Raumfähre „Voyager 1“ ins All geschickt wird, ist eine Aufnahme von „Johnny B. Goode“ an Bord. „Wenn man Rock’n’Roll umbenennen will, dann muss man ihn Chuck Berry nennen“, hat John Lennon gesagt.

Heute feiert der Pionier seinen 80. Geburtstag. „The beat of the drum is loud and bold / Long live Rock’n’Roll!“

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