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Freiheitsdrang unterm Kopftuch: Eine Demonstrantin lässt sich in Kairo vor einem Panzer fotografieren.

© dapd

Revolution in Ägypten: Sturm der Bilder

Auch wenn es seit Mittwoch nicht mehr friedlich ist: Der 1. Februar in Kairo war mehr als nur ein Wimpernschlag der Geschichte. Er hat dem Westen gezeigt, dass Demokratie und Freiheit auch ohne ihn obsiegen können. Das erinnert an 1989.

Ein Traum, ein Alptraum. Jetzt erlebt man die arabische Welt als Zeitbeschleunigungsmaschine. Verkrustete Strukturen, auf eine halbe Ewigkeit berechnet, brechen wie morsches Holz. Historische Kategorien, festgetretene Geschichtsbilder erweisen sich als Trugbilder unseres engen Denkens. Verblüffung, Beschämung, Begeisterung und Besorgnis, dass der Aufbruch in eine Tragödie umschlägt. Die Gefühlslage westlicher Beobachter könnte nicht komplexer sein. Wobei dringend zu empfehlen ist, BBC, Al Dschasira oder CNN einzuschalten. Diese Sender sind live und leidenschaftlich dabei. Bei unseren Öffentlich-Rechtlichen schmeckt Kairo wie Konserve. Als wollten ARD und ZDF nicht wahrhaben, was sie da senden.

Was genau spielt sich in Tunis und Kairo ab, demnächst vielleicht in Amman und Damaskus? Ist es ein Aufstand, eine Revolution, den sich am Ende Islamisten zunutze machen? Tage, die in die Geschichtsbücher katapultiert werden. Die wichtigste Erkenntnis: Und sie bewegt sich doch, die arabische Welt. Das Geschehen hat Galileische Dimensionen.

Islamische Kultur und Religion als Zivilisationsbremse, das gehört zum Kanon der politischen Argumentation. Der Glaube an Allah und ein Leben in Freiheit: unmöglich. Die Bilder aus Kairo und anderen Hauptstädten aber zeigen: Muslime können nicht nur gegen die USA oder Karikaturen demonstrieren, sie demonstrieren friedlich. Eine Million Menschen oder mehr auf dem Tahrir-Platz, das hat es gegeben, das hat Mubarak dazu gebracht, seinen Rückzug anzukündigen. Sie können Demokratie!

Auch wenn am gestrigen Mittwoch die Lage kippte, auch wenn es nicht mehr friedlich ist, Mubarak-Anhänger brutal zurückschlagen und niemand weiß, was das Jahr bringt in Ägypten und seinen Nachbarländern: Die Bilder vom 1. Februar sind mehr als nur ein Lidschlag. Es lohnt sich, sie festzuhalten im Strudel der dramatischen Ereignisse. Eine Frau mit Kopftuch fordert Freiheit, geht auf einen Panzer zu, umarmt Soldaten. Eine andere Frau, von Kopf bis Fuß verschleiert, formt mit ihren – mit schwarzem Stoff bedeckten – Händen das Victory-Zeichen.

Bilder, die daran erinnern, dass der ägyptische Beitrag zur Zivilisation sich nicht allein in dreitausend Jahre alten Artefakten erschöpft. Die Faszination für Tutanchamun, Echnaton und Nofretete – der Westen hat sie als Ikonen der Weltkultur vereinnahmt – wird frisch belebt von Menschen des 21. Jahrhunderts, von einer namenlosen Dynastie junger Menschen, die man hilfsweise als arabische Twitter- und Facebook-Generation bezeichnet. Sie schwingen drohend ihre Schuhe gegen Mubarak, eine traditionelle Geste der Verachtung. Das Regime dreht das Internet ab? Die Menschen fotografieren mit dem Handy. Weder der analoge noch der digitale Protest sind dauerhaft aufzuhalten. Eine junge Frau mit modisch grünem Schador lässt sich vor einem Panzer ablichten. Über Nacht ist Ägypten in westlichen Augen in der Jetzt-Zeit angekommen.

Ur-Szenen der Demokratie. Menschen versammeln sich, tauschen sich aus. Am 1. Februar ist das Zentrum von Kairo kein Bürgerkriegsschauplatz, sondern ein Platz der Redner, der Geschichtenerzähler, wie der Djamaa el Fna in Marrakesch. Mythos trifft Moderne. Hier ein Megafon, dort ein Lagerfeuer gegen die Kälte, man schreibt Sätze auf Pappschilder, einfache Sätze, die jeder versteht: „Game over“, „Go home“, „The End“. Parolen werden erprobt. Einer skandiert einen Vers, die Menge antwortet mit dem nächsten. „Once and for all/Mubarak must fall.“ Wenn es sich reimt, geht es besser. Ähnlich hatten sich 1989, in den Tagen und Wochen vor dem 9. November, die Menschen in Ost-Berlin verständigt. Rufe und Gegenrufe, Buhs und Akklamation, wenn ein Demonstrationszug sich in Bewegung setzte und erst mal nicht wusste, wohin. Re-for-men, das Wort ließ sich nur schwer skandieren. Vor dem Palast-Hotel, in dem Gorbatschow sich am 7. Oktober 1989 nachmittags aufhielt, probierte die Menge es aus – um es aus Gründen des Rhythmus schnell zu verwerfen.

Momente der Selbstbefreiung und Selbstermächtigung, am Dienstag in Kairo. Eine junge Ägypterin kontrolliert Demonstranten, die auf den Tahrir-Platz in Kairo strömen. Eine Zivilistin, sie steht neben den Soldaten, arbeitet mit ihnen zusammen, will Ausschreitungen und Provokationen verhindern. Die Rolle des ägyptischen Militärs erinnert an Portugal 1974, an die Nelkenrevolution, als die Menschen Blumen in Panzerrohre steckten und die jahrzehntelange Salazar-Diktatur implodierte. Auch an das Ende des Franco-Regimes in Spanien kann man denken – vor allem aber an das Jahr 1989, an Glasnost und Perestroika. Kairo evoziert den Bildersturm, den Ansturm der Bilder unserer eigenen Geschichte.

Geschichte lebt von diesen herausgehobenen, plastischen, überwältigenden Momenten. Auch wenn sie flüchtig sind, sie werden nicht in Vergessenheit geraten. Viel zu lange hat man die ja keineswegs einheitliche arabische Welt in quälend dauerhaften Perioden betrachtet, als statische Größe. Das iranische Exempel überschattet die Euphorie, mahnt zu Nüchternheit. Aber das Mullah-Menetekel verblasst. Im Gaza-Streifen gab es bereits Solidaritätsbekundungen für die Ägypter. Die proiranische, radikalislamische Hamas fürchtet sich vor dem eigenen Volk, ein weiteres Hoffnungszeichen.

Ein heilsamer Schock. Diese Menschen brauchen den Westen nicht, um sich zu erheben. Erledigt hat sich die Idee des gewaltsamen Demokratie-Exports, des Diktatorensturzes durch die Invasion fremder Truppen, wie im Irak. Die von den Amerikanern angeführten Golfkriege funktionierten noch wie zu Zeiten eines Lawrence von Arabien, der den Arabern beibringen wollte, wie Krieg geht, wie man Politik macht – nur um die arabischen Stämme über den Tisch zu ziehen und die Landmasse unter den Kolonialmächten neu aufzuteilen. Ohne fremde Anführer geht es besser, es geht schneller aus eigener Kraft.

Peter O’Toole als wahnsinniger Wüstensohn beim Sturm auf Akaba: Das ist das alte Bild. Erbe eines romantisierenden Orientalismus, wie er gerade in einer großen Münchner Ausstellung präsentiert wird. David Lean drehte den monumentalen „Lawrence“-Film 1962 im Wadi Rum, in der jordanischen Wüste. Sechs Jahre zuvor, während der Suez-Krise, griffen England, Frankreich und Israel militärisch in Ägypten ein, um die Wasserstraße zu sichern. Der Westen hat jahrzehntelang Mubaraks Regime akzeptiert und gestützt. Wenn es dafür gute Gründe gab, sind sie nun obsolet. Vielleicht ist das Ende des kolonialistischen Einflusses gekommen.

Plötzlich schaut der in seinen demokratischen Verfassungen ermüdete Westen nach Ägypten und stellt staunend fest, dass Freiheit und Demokratie und Menschenrechte nichts von ihrer Anziehungskraft verloren haben, im Gegenteil. Die Sehnsucht danach ist global. Über Nacht verändert sich die Welt, wo man es am wenigsten erwartet hätte.

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