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Kultur: Revolutionäre Ansichten

Bilderzyklen von Fernando Bryce in der Berliner Galerie Barbara Thumm

219 Blätter mit Zeitungsseiten, Anzeigen, Filmplakaten und politischen Karikaturen stürzen auf den Betrachter ein. Ein Wort sticht dabei immer wieder hervor, verbindet die vielfältigen Blätter miteinander, zieht ein unsichtbares Netz über die beiden Wände über Eck voller großer, kleiner, hoch- und querformatiger Blätter: „Revolución“!

Ein Jahr lang hat sich der in Peru geborene und in Berlin lebende 40-jährige Künstler Fernando Bryce mit der kubanischen Revolution beschäftigt. Mit seinem historiografisch-künstlerischen Verfahren, das er selbst „mimetische Analyse“ nennt: Er wühlt sich durch Archive, studiert Zeitschriften, Flugblätter, politische Dokumente, wählt exemplarische Seiten aus und kopiert sie penibel per Hand. Präzise zeichnet er mit schwarzer Tusche Bilder, Illustrationen, Logos, Karikaturen und Texte ab. So entstehen umfangreiche Zyklen mit einen zeithistorischen und dokumentarischen Charakter. Durch Auswahl und Arrangement setzt Bryce subjektive Akzente, interpretiert Geschichtsverläufe und nimmt sich zudem die künstlerische Freiheit, der ästhetischen Dimension der Dokumente ein Gewicht zu geben, das ihnen in der konventionellen Geschichtsschreibung in der Regel verwehrt bleibt.

Das gilt auch für die beiden neuen Zyklen. „Americas“, der bereits an einen amerikanischen Sammler verkauft ist, und der Kuba-Zyklus „Revolución“ (160000 Euro), der auf seiner Ausstellungstournee zwischen Pittsburgh, Barcelona und Turin einen Stoppover in Berlin einlegt. Das chronologisch angelegte Werk hangelt sich entlang markanter Titelblätter des kubanischen KP-Organs „Revolución“ durch die Jahrzehnte. Ereignisse wie der wachsende Konflikt mit den USA, Alphabetisierungskampagnen oder der Zuckerhandel mit der Sowjetunion lassen sich ablesen und werden von Anzeigen aus „Newsweek“ kontrastiert. Ikonen der Sechziger tauchen auf, darunter Porträts von Lumumba, Che oder Sartre. Pamphlete und Artikel belegen die Zerfaserung des linken Diskurses, von Ernest Mandel und Charles Bettelheim bis zum Einbruch des Poststrukturalismus. Alle Blätter sind gleichermaßen in Tusche auf Papier ausgeführt und so auf eine gleichwertige ästhetische Ebene gehoben. Eine Weise der Distanzierung und Verfremdung, durch die sich unterschiedliche Bildsprachen verknüpfen: Der Yankee-Macher und seine Art, wie er sich in Pose setzte. Die Folklorisierung, die mit der Festschreibung postkolonialer Machtverhältnisse Hand in Hand ging.

Galerie Barbara Thumm, Dircksenstraße 41, bis 22. Oktober, Dienstag bis Freitag 11–18 Uhr, Sonnabend 13–18 Uhr.

Johannes Wendland

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