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Kultur: Rheinischer Höhenrausch

Von Francis Bacon bis Bruce Nauman: Das wohlhabende Düsseldorf gönnt sich die erste Folge seiner Kunst-Quadriennale

Eine Geste, die überrascht, ein Oberbürgermeister, der erstaunt: Fünf Millionen Euro steckt das Düsseldorfer Stadtoberhaupt in die Kunst, genauer: ein Kunstfestival, die Quadriennale. Die Museen und Kunsthäuser feuern darauf ein Feuerwerk hochkarätiger Ausstellungen ab, die sich eine Stadt ansonsten nur gestottert, über Jahre leisten kann: als Böllerschüsse des Bewährten Caravaggio, Francis Bacon und Bruce Nauman, als Kracher junger Kunst Teresa Margolles, Berlinde de Bruyckere, Martin Honert und später Juan Munoz. Zwei Wochenenden hintereinander reißen die glanzvollen Vernissagen nicht ab. Die allgemeine Aufmerksamkeit ist gewiss, nicht zuletzt der Neid der ewigen Rivalin Köln, wo die Kultur gerade Sparkurs fährt, damit garantiert.

Die Kapitale Nordrhein-Westfalens kann sich diese Prachtentfaltung leisten, denn sie ist als einzige Stadt in Deutschland schuldenfrei. Ihr Kulturhaushalt übersteigt mit 122 Millionen Euro bei weitem den des Landes NRW (72,5 Millionen). Zum Glück des wirtschaftlichen Erfolgs fehlte nur noch das Strahlen der Künste. Der ehrgeizige OB Joachim Erwin hat es mit seiner Fünf-Millionen-Gabe möglich gemacht. Zwar heißt es, aus Enttäuschung kam der Geldsegen für die Kunst, weil die WM Düsseldorf als Austragungsort überging, ja nicht einmal das Pressezentrum dort platzierte. Ein kluger Schachzug bleibt die Finanzspritze dennoch, denn im kommenden Jahr ist Kommunalwahl, bei der es auch um die Besetzung des OB-Postens geht. Das amtierende Stadtoberhaupt hat sich mit der Erfindung der Quadriennale nicht nur als Wirtschafts-, sondern auch als Kulturankurbler empfohlen. Das „Q“ vor goldenem Hintergrund mit dem schlängelnden Strich, das den Rhein auf dem Veranstaltungslogo symbolisiert, darf er sich ans Revers heften.

Bleibt nur die Frage nach der Nachhaltigkeit eines solchen Kunsthöhenrausches, der – wie der Name Quadriennale verrät – nur alle vier Jahre auf dem Kalender steht. Nach einer so langen Pause könnte es der heute prosperierenden Stadt durchaus wieder schlechter gehen und ein weniger kunstsinniger OB die Geschicke leiten. In Düsseldorf selbst fragt zurzeit keiner nach der Quadriennale 2010. Die Institutsleiter fühlen sich in diesem Spätsommer im Glück. Für ihr Vertrauen in die anhaltende Liebe zur Kunst sprechen die langfristig geplanten Investitionen in die Häuser selbst.

Die Kunsthalle, die auch den Kunstverein beherbergt, wird gerade von außen saniert; in die frühere Schmuddelecke am Rand zur Altstadt, seitlich des Betonkomplexes, zieht anschließend die Buchhandlung Walther König ein, während das Innere bereits in neuem Glanz erstahlt. Das vis-à-vis am Grabbeplatz gelegene K 20, das Stammhaus der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen für die Moderne, hat ihren Anbau zugesagt bekommen, nachdem die Umwandlung des früheren Landtagsgebäudes in den Außenborder K 21 für aktuelle Kunst mit Bravour gelang. Die Galeristen, Stimmungsbarometer für die Vitalität einer Kunstszene, zeigen sich zufrieden. Sie wagen im April nächsten Jahres die Gründung einer neuen Messe, der „Düsseldorf Contemporary“, nachdem Berlin in den letzten Jahren alle Kräfte zu binden schien.

Mit der Quadriennale feiert sich Düsseldorf nun selbst – ganz in der Tradition von jenem „Klein-Paris am Rhein“, wie Napoleon 1811 die Stadt bezeichnete. Knapp 200 Jahre später hat sie sich selbst den Titel „Art City“ verliehen, ähnlich wie damals ein Marketingprodukt. Man schwelgt zwar in Kunst, doch die erweist sich als widerspenstig, zumal beim Thema „Körper“, mit dem diese Quadriennale überschrieben ist. Bei den ersten Vorgesprächen war die Caravaggio-Ausstellung im Museum Kunst-Palast schon geplant (s. Tagesspiegel vom 11. September). So suchte man nach dem größten gemeinsamen Nenner in der Kunst vom Barock bis zur Gegenwart. „Körper“ stimmt immer; ebenso hätte man die Oberbegriffe Zeit, Raum, Tod wählen können. Doch fügen sich Caravaggio und mit ihm Francis Bacon in ein anhaltendes Interesse an figürlicher Malerei ein. Das Nachdenken über den Körper passt wiederum in eine Zeit zunehmender Virtualisierung. Umso machtvoller behaupten die bildhauerischen Positionen von Margolles, de Bruyckere, Honert und Munoz ihre physische Präsenz.

Auf diese Ebene verbinden sich tatsächlich die höchst verschiedenen Quadriennale-Ableger. Wer die große Bacon-Ausstellung in der Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen gesehen hat, erkennt die gleichen gewaltsam verdrehten Leiber auch in den Skulpturen von Berlinde de Bruyckere in der Kunsthalle. Die belgische Bildhauerin formt aus Polyester, Wachs und Decken höchst realistische menschliche Unterkörper, die sich an meterhohe rostige Stahlsäulen schmiegen. Auf der Berlin-Biennale, ihrem ersten wichtigen Deutschland-Auftritt, ist sie bekannt geworden mit einem eigentümlich verformten Pferdetorso im Lapidarium des Garnisonsfriedhofs. In der Kunsthalle Düsseldorf hängt nun ein ähnlicher Kadaver mit zwei zusammengeschnürten Beinen an einem Haken. Inspiriert wurde die Künstlerin dazu durch Fotografien des Flandern-Feldzugs, auf denen verendete Tier zu sehen waren – für sie eine Metapher des Leidens schlechthin.

Daran knüpft auch die meterlange Schnur aus Autopsiefäden von 137 gewaltsam in Mexiko zu Tode gekommenen Menschen an, die Teresa Margolles im Kunstverein quer durch den ganzen Ausstellungssaal spannt. Wo de Bruyckere den zerquälten Körper in eine expressive Form gebracht hat, arbeitet ihre mexikanische Kollegin mit minimalistischen Setzungen, die jedoch eine ungeheure Sprengkraft besitzen, ja schocken. Margolles’ Material stammt tatsächlich aus Leichenhäusern. Unvergessen ist ihr Auftritt in Berlin bei der großen Mexiko-Ausstellung im Haus der Kulturen der Welt, wo sie in einen gesonderten Raum gereinigtes Leichenwaschwasser in Form von Dampf blasen ließ und damit den Besucher umnebelte.

Nur die stillen Erinnerungsbilder der Kindheit, die Martin Honert ins Dreidimensionale überträgt – den kleinen Jungen am Küchentisch mit karierter Decke, das Lagerfeuer, die Linde –, wollen zu all dem überwältigenden Leiden, Schmerz und Tod nicht passen, noch viel weniger zum Thema Körper. Trotzdem führt eine Spur wiederum zurück zu Francis Bacon, dessen Gemälde ebenfalls unbestimmte Gefühle, zurückliegende Ereignisse heraufbeschwören. Mit sechzig Werken ist die Retrospektive opulent bestückt, auch wenn sie nach der großartigen Ausstellung im vergangenen Jahr in der Kunsthalle Hamburg nicht wirklich mit neuen Erkenntnissen über den britischen Maler aufwartet. Direktor Armin Zweite hat sich mit Hilfe der Quadriennale-Mittel einen Lebenswunsch erfüllt, wie er gesteht: einmal den ganzen Bacon und nicht nur ein einzelnes Bild. Dabei erweist sich, dass der Künstler Zeit seines Lebens eigentlich immer nur ein einziges Motiv variiert: die Gefangenheit des Menschen in seinen physischen Grenzen, und wie sich seine psychischen Deformationen ins Körperliche übertragen.

Vom Lustvollen eines Festes ist Bacon weit entfernt. Aber gerade darin besteht die Freiheit der Kunst und letztlich einer Quadriennale: dass sie sich ihre Ausdrucksformen selber wählt, wer auch immer sie alimentiert. Die Chancen, dass in vier Jahren wieder Gelder fließen, stehen dabei gar nicht schlecht. Denn dann trägt Essen den Titel „Kulturhauptstadt Europas“, und dagegen will sich eine „Art City“ Düsseldorf gewiss ebenfalls behaupten.

Erstmals präsentiert die Landeshauptstadt Düsseldorf in diesem Jahr eine Quadriennale, bei der acht Institute parallel zum Thema Der Körper in der Kunst Ausstellungen zeigen. Die Stadt stellt fünf Millionen Euro zur Verfügung. Für 2010 ist die zweite Quadriennale geplant.

Nachdem am vergangenen Wochenende

Caravaggio im Museum Kunstpalast (bis 7. 1.) und Bruce Nauman (Abb. oben) im Kunstforum NRW (bis 14. 1.) eröffnet wurden, sind seit Sonnabend Francis Bacon in der Kunstsammlung NRW, Berlinde de Bruyckere (Abb. unten) und Martin Honert in der Kunsthalle sowie

Teresa Margolles im Kunstverein zu sehen (bis 7. 1.). Mehr Informationen: www.quadriennale-duesseldorf.de

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