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Kultur: Richard Wherlocks Berliner Ballett-Debüt in der Komischen Oper

Bislang war das BerlinBallett nicht viel mehr als ein Hätschelkind der Kulturpolitik, doch nun hat es laufen gelernt. Seit Beginn der neuen Spielzeit tritt das Ballettensemble der Komischen Oper unter neuem Namen an, bildet die Vorhut des künftigen Ballett-Kolosses.

Von Sandra Luzina

Bislang war das BerlinBallett nicht viel mehr als ein Hätschelkind der Kulturpolitik, doch nun hat es laufen gelernt. Seit Beginn der neuen Spielzeit tritt das Ballettensemble der Komischen Oper unter neuem Namen an, bildet die Vorhut des künftigen Ballett-Kolosses. Richard Wherlock, der neue Chefchoreograph der Komischen Oper, geht als erster ins Rennen. Für sein Berlin-Debüt wählte der Engländer eines der frühesten Handlungsballette aus. "Die schlecht behütete Tochter" führte vor 210 Jahren erstmals eine realistische Handlung und bürgerliches Personal ein. Wherlock hat dem alten Mädchen enorm auf die Sprünge geholfen, mit seiner putzmunteren "Fille" konnte er in Luzern einen großen Erfolg feiern.

Lise, die Tochter der reichen Bäuerin Simone, ist in den armen Colas verliebt, gegen ihren Willen soll sie den wohlhabenden Alain aus der Stadt heiraten. Doch wahre Liebe siegt über die Ökonomie. Das Sujet wirkt reichlich verstaubt, seine Konflikte historisch. Vorgeführt wird eine ironische Bilderbuch-Idylle mit schmucken Kühen und adretten Bauern - man wartet nur darauf, dass ein Schweinchen Babe seine rührselige Erzählung beginnt. Die Inszenierung, in der possierliche Vierbeiner das Fliegen lernen, kokettiert mit ihrer Naivität.

Bruno Guilloré als Colas - das ist ein Beau von einem Bauernburschen, der durch seine tänzerische Lässigkeit becirct. Jane Hopper in blütenweißem Kleid ist ein anmutiges Trotzköpfchen - sobald es den Fängen des gestrengen Muttertiers entwischt ist, tändelt und tobt sie über die Bühne. Die junge Liebe feiert sich in ausgelassen-schwärmerischen Pas de deux und mit ausdauernden Kuss-Szenen. Das Burleske und Sentimentale hält sich meist die Waage. Gregor Seyffert, im Anschluss an die Premiere zum Berliner Kammertänzer gekürt, darf sein komödiantisches Talent ausstellen. Als Alain auf Freiersfüßen absolviert er einen nicht gerade testosterongeschwängerten Balztanz.

Wenn er sich an seinem Achselschweiß berauscht, dann ist das natürlich bei der englischen Filmkomödie "Ein Fisch namens Wanda" abgeschaut. Doch Wherlock tut zuviel des Guten, um den Slapstick seines Solisten zur Bravournummer aufzumotzen. Nett ist allerdings, wie der Kindskopf sich mit einem Lolly darüber tröstet, dass ein anderer ihm die Frau wegschnappt. Den Holzschuh-Tanz und ähnlich Rustikales erspart uns Wherlock, aus der Konfrontation von Städtern und Bauern bezieht die Inszenierung kraftvollen Witz. Da scheppern die Milchkannen, wenn sich in einem Tanz-Turnier naturbelassene Maiden und Burschen mit aufgerüschten Tussis und blasierten Gecken wie aus der Vorstadtdisco messen. Bei Uwe Küßner mit seinen Mörder-Koteletten wird auch die spinnengleiche Mutter Simone (Anne de Vos) schwach. Die Choreographie wartet mit hübschen Einfällen auf, die Ensembletänze haben Tempo, Drive und einen schönen Fluss. Durchaus gekonnt verbindet Wherlock das klassische und moderne Idiom, er reichert den Tanz mit populären Einflüssen an, injiziert ihm eine zeitgenössische Energie, bleibt dabei aber immer moderat. Doch in der Aneinanderreihung von Tänzen wirkt der Abend dennoch ein wenig eintönig.

Das Orchester der Komischen Oper unter Tetsuro Ban spielt gut aufgelegt, doch die Musik von Louis J. F. Hérold, in der Bearbeitung von John Lanchbery zu hören, tendiert ins Seichte und Süßliche, ihre zwitschernde Munterkeit ist auf die Dauer kaum auszuhalten. Mit einer quirligen "Fille" hat Richard Wherlock nun seine Visitenkarte abgegeben. Der Brite, der sich zuerst in Hagen und dann in Luzern ein enthusiasmiertes Publikum erobert hat, führt sich ein als ein Choreograph, der durchaus populäre Werke schaffen will, der in guter englischer Tradition unterhalten will und ein Faible für das Komödiantische hat. Mit der vertanzten Landliebe liefert er zunächst ein heiteres Familienprogramm ab - ein Debüt, das nicht begeistert, aber doch neugierig macht auf die folgenden Produktionen, die für Januar und Mai angekündigt sind. Das neu formierte Ballettensemble demonstriert eine mitreißende Tanzlust. Und beim Schlussapplaus präsentierten sich die Kompagnie und ihr neuer Chef auf offensive Weise gut gelaunt. Am Elan für den Neuanfang scheint es nicht zu mangeln.Wieder am 8., 15., 21. und 29. Oktober, 19 Uhr.

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