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Das Thema der Stiftung ist heute so aktuell wie damals.

© Wolfgang Kumm/dpa

Richtfest bei der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung: Arbeit an der nationalen Identität

Kritik, nicht Destruktion: Die Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung ist auf gutem Weg - und was in ihren neuen Räumen einmal zu sehen sein wird, ist bedeutendes Stück unserer nationalen Identität. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Bernhard Schulz

Wenn’s erst einmal dasteht, werden die Leute es mögen: Diesen Satz hat man in Berlin schon immer sagen können, und noch immer hat er zugetroffen. So wird es auch im Falle der Stiftung Flucht, Vertreibung, Versöhnung (SFVV) gehen: Wird das Dokumentationszentrum am Askanischen Platz, nahe der Mitte Berlins, erst einmal eröffnet sein, werden die Besucher strömen und die Kritiker in gleichem Maße abnehmen. Kritik ist notwendig – um nicht missverstanden zu werden –, und es war und bleibt richtig, die Stiftung kritisch zu begleiten. Kritisch, doch nicht destruktiv: Denn dass das Thema der Vertreibung von zwölf bis 14 Millionen (ethnischen) Deutschen aus dem mittleren und östlichen Europa im und nach dem Zweiten Weltkrieg ein großes, ein nationales Thema ist, kann nur bestreiten, wer eine nationale Identität, ein kollektives Gedächtnis und auch eine gemeinschaftlich geteilte Trauer rundheraus ablehnt und zum bloßen Hirngespinst erklärt.

In der Ausstellung „Erinnerungen einer Nation“, die der britische Deutschland-Kenner Neil MacGregor im Britischen Museum London zeigte und nun im Martin-Gropius-Bau in Berlin vorstellt, steht gegen Ende des knappen, ungemein einprägsamen Rundgangs anhand von 200 Objekten ein schlichter Handkarren. Dergleichen kennt kaum noch ein heutiger Besucher. Dieser unscheinbare Leiterwagen trug alles, was eine Familie aus dem Osten Deutschlands materiell retten konnte. Millionen von Flüchtlingen sind dergestalt nach Westen gezogen, in einen Teil ihres vermeintlichen Vaterlandes, der sich für viele nur als „kalte Heimat“ entpuppte. Ihre Nachkommen leben in zweiter, dritter, bisweilen schon vierter Generation in einer längst eigenen Heimat. Gibt es ein Thema, das hier und heute aktueller sein könnte, in Deutschland, in Europa, der Welt?
Mit dem Richtfest beim Dokumentationszentrum der SFVV ist das Vorhaben in die Zielgerade eingebogen, bald kann über Inhalt und Aufbau der Dauerausstellung gesprochen und gestritten werden. Berater und Kenner aus dem Ausland waren von Anfang an in die Arbeit der Stiftung einbezogen, ihr Rat ist wichtig und erforderlich, um die Sichtweisen „von außen“ einzubeziehen. Dass es derzeit unmöglich ist, einen polnischen Historiker zu gewinnen, ist betrüblich; dies aber von polnischer Seite auf die nach wie vor gewichtige Rolle der deutschen Vertriebenenverbände zu schieben, als ob wir immer noch in Zeiten des kaltkriegerischen „Dreigeteilt – niemals!“ lebten, ist ein allzu durchsichtiger Vorwand. Die frühere Verbandsvorsitzende Erika Steinbach hat mit ihren kantigen Äußerungen allen Unmut bis hin zu blankem Hass auf sich gelenkt; dass sie sich zurückgezogen hat, war notwendig, aber auch nobel, und die jetzige Verbandsposition ist aller Ehren wert.
Es wird sich niemals ein einheitliches Bild der Geschichte herstellen lassen, noch weniger ein einvernehmliches Urteil. Was aber möglich sein sollte und mit der neuen Stiftungs-Leiterin Gundula Bavendamm auf bestmöglichen Weg gebracht ist, ist der Aufbau einer facettenreichen, gehaltvollen Darstellung der Geschichte – in der Mitte der Gesellschaft.
Denn was künftig am Askanischen Platz zu sehen sein wird, ist ein Stück, ein bedeutendes Stück unserer nationalen Identität.

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