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Kultur: Risikoflug in mystischer Dämmerung

Schaubühnenpremiere in der Cuvrystraße: Andrea Breth inszeniert "Die Sprache der Vögel" nach Farid Uddin Attars Poem VON GÜNTHER GRACKMit den Schlangen möchten wir Menschen, aus dem Paradies vertrieben, uns nicht gemein machen.Auch als Wölfe oder Schafe wollen wir, obwohl manches dafür spräche, nicht erscheinen.

Schaubühnenpremiere in der Cuvrystraße: Andrea Breth inszeniert "Die Sprache der Vögel" nach Farid Uddin Attars Poem VON GÜNTHER GRACK

Mit den Schlangen möchten wir Menschen, aus dem Paradies vertrieben, uns nicht gemein machen.Auch als Wölfe oder Schafe wollen wir, obwohl manches dafür spräche, nicht erscheinen.Aber Vögel, diese Fußgänger der Luft, sind uns sympathisch! Seit Aristophanes geistern wir immer wieder gern einmal als gefiederte Wesen über die Bühne - wie jetzt in einem Kreuzberger Schuppen, in dem unversehens die "Sprache der Vögel" erklingt.Der Nebenschauplatz der Schaubühne dient Andrea Breth dazu, ihr Ensemble auf eine abenteuerliche Reise zu schicken, durch sieben Täler in eine überirdische Ferne: dort soll der König der Vögel wohnen, der da heißt Simurgh. Das Unternehmen hat eine Vorlage und dazu auch noch ein Vorbild.Die Vorlage ist ein Poem des persischen Dichters Farid Uddin Attar aus dem 12.Jahrhundert, das Vorbild eine szenische Adaptation, die Peter Brook mit seinem Centre International des Creations Theatrales aus Paris 1979 bei den Berliner Festwochen vorgezeigt hat.Hier wie dort ist schon der Weg das Ziel: ein beschwerlicher Weg, auf dem der Reisende, sei es zu Lande oder in der Luft, am Ende sich selbst erkennen soll. Am Anfang aber ist das Dunkel.Ein nachtschwarzer Raum, in dem aus unsichtbaren Mündern der Schöpfergott beschworen wird: "Wenn er über den Lehm bläst, schafft er den Menschen, und aus ein wenig Dampf formt er die Welt." Allmählich erhellt sich die Szene, und vor kalkweißem Mauerwerk heben sich sieben Gestalten in schwarzen Mänteln mit schwarzen Hüten ab, die bärtigen Gesichter schwarzweiß geschminkt - nur ein Mann blickt hellen Auges aus bartlos-rosigem Antlitz in die Runde.Er verwaltet das Herrschaftswissen, er weiß seinen Vogelgenossen den rechtmäßigen König zu weisen, wohnhaft hinter dem Berg Caf: "Er ist uns nah, und wir sind fern von ihm." Während er, auf dem Boden kniend, die Erde mit einer unlesbaren Schrift bedeckt, beginnen sich die Gefährten nach Art des Federviehs zu regen: Hälse rucken, Arme werden zu Flügeln, Hände verschränken sich auf dem Rücken zum Schwanz, und zu alledem pfeift und gurrt, quakt und zwitschert es.Zum Führer, der sie zum König Simurgh geleiten soll, wird der Wiedehopf gewählt, eben jener Schriftgelehrte - und siehe da, statt des schwarzen Hutes trägt er eine weiße Krone und belehrt seine Gefährten, wie man zu leben hat: "Wer liebt, denkt nicht an sein eigenes Leben; wer wahrhaft liebt, muß auf sein Leben verzichten..." Der so spricht, der Herr Wiedehopf, ist uns als Schauspieler wohlbekannt: Wolf Redl, schon mit platonischen Dialogen hervorgetreten, hat die wuchtige Persönlichkeit dazu, solch autoritäre Reden zu führen.Auch hier geriert er sich wieder als Guru, erforderlichenfalls die Lesebrille auf der Nase, indes seine Schaubühnenkolleginnen und -kollegen sich mal nach Vogel-, mal nach Menschenart verhalten.In kaltem Licht, das ihre Gesichter zu Masken stilisiert, erstarren sie zu ferner Musik in der Pose von Adoranten, die ein höheres Wesen anbeten; dann wiederum bewegen sie sich zeitlupenartig langsam durch eine fahle Dämmerung, in die plötzlich ein gleißender Blitz fährt: Vogel Phönix stirbt seinen Flammentod, um sich aus der Asche zu erheben.Ist er es, dem jene große grausilberne Schwinge gehört, die sich da draußen, in einem Torbogen nur halb sichtbar, wie von ungefähr spreitet? Die zweistündige Aufführung, für die Wolf Redl die kahle Bühne, Andrea Schmidt-Futterer die archaisch-phantastischen Kostüme entworfen hat, wirft eine Menge Fragen auf, nicht zuletzt solche nach der Angemessenheit der theatralischen Mittel.Attars Dichtung ist uns als Ausdruck des Sufismus, der persischen Mystik, sehr fern: kann und darf man sie derart veranschaulichen? Der Mitteleuropäer des späten 20.Jahrhunderts, ein Büschel Vogelfedern auf dem Kopf, im Kampf mit einer fauchenden Windmaschine; als Sklave eines großen Fisches, den er, feierlich schreitend, von rechts nach links über die Szene trägt; als Ankömmling im siebenten Himmel, zu dem ihm ein Zerberus, von Kopf bis Fuß in Schwarz gehüllt, den Eintritt verwehrt: es ist schwer, in diesem Brimborium etwas anderes zu sehen als einen Humbug, der ärgerlicherweise mit dem Anspruch tiefer Bedeutsamkeit auftritt.Da wabern Geigen, pimpelt ein Klavier, fallen - plopp, plopp, plopp - Tropfen wer weiß wie reinen Wassers. Für den Zerberus hat die Schaubühne übrigens keinen Geringeren als Traugott Buhre gewonnen; nachdem er sich den schwarzen Schleier abgestreift hat, bildet er zusammen mit Wolf Redl ein schönes altes Guru-Paar.Auf das Eingeständnis des einen, noch nie sei ein Mensch imstande gewesen, "vom Tode oder von der Unsterblichkeit angemessen zu sprechen", kommt der andere - geradezu aufmüpfig - zu dem Schluß, das höchste Wesen betreffend: "Da Er mich umsonst geschaffen hat, muß Er mir auch umsonst vergeben." Sein Wort in Gottes Ohr! Wieder am 12., 15., 16., 19., 21., 23., 28.und 29.1., werktags 20, sonntags 18 Uhr.

GÜNTHER GRACK

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