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Und Abschlag. Der Star und sein Stecken.

© Davids/David Darmer

Robbie Williams in Berlin: Er trägt 'nen Faltenrock, er schwenkt 'nen Stock

Robbie Williams dreht in der Berliner Waldbühne am glitzernden Pop-Rad: Dienstagabend lief die erste von zwei "Heavy Entertainment Shows". Richtig "heavy" war sie nicht.

Sie scheinen zeitig Abendbrot zu essen bei den Williams zu Hause. Gerade mal 22 Uhr und schon ist bei Papa Robbie in der Waldbühne Schicht im Schacht. "Deutschland, I love getting old with you ", hat der britische Superstar der Neunziger gerade noch die Seelen der 22.000 in der Freiluftarena massiert. Lieb von dir, Robbie, aber ich zumindest muss nicht schon um zehn Uhr abends zu Bett.

"Das war keine Heavy- sondern eine Little-Entertainment-Show", spricht auf dem Weg zur S-Bahn dann auch prompt eine Sächsin zu ihrem eifrig zustimmenden Ehemann und ergänzt kein bisschen verärgert. "Aber die Uschis haben super getanzt". Und nicht nur das: Auch der Robbie hat mehr als ordentlich gesungen und gute Stimmung gemacht. Nur, dass ihm mit 43 Lebensjahren halt die irre Energie seiner früheren Konzerte fehlt.

Sogar bei der Swing-Show vor drei Jahren in der Mehrzweckhalle am Ostbahnhof hat er sich in der ersten Hälfte mehr ins Zeug gelegt. Dickere Gockelposen gepflegt, raumgreifender die Bühne durchmessen. Und nun will er mit der Tour zum im vergangenen November erschienenen soundsatten Album, das ebenfalls „The Heavy Entertainment Show“ heißt, wieder das ganz große Pop-Rad drehen und macht dann live nur Halbdampf.

Bereit zu rauschendem Exzess

Und dass, obwohl alles so verheißungsvoll begonnen hat. Mit viel Vorfreude auf Robbie Williams, der es nach seiner Boy-Group-Zeit bei Take That und einer ebenso glanzvollen, auch schon wieder 20 Jahre währenden Solokarriere zu Fans aus zwei Generationen gebracht hat. Und mit jeder Menge dankbarer Blicke, die zu Beginn des Abends immer wieder den zwischen fünfzig Schattierungen von Grau wechselnden Himmel prüfen, aus dem doch tatsächlich kein nennenswerter Tropfen auf die vorsorglich übergestülpten Plastikpellerinen fällt.

Als dann als Zubereitung auf den Auftritt des Meisters Eminems einpeitschender Rap "Lose yourself" mit der Zeile "You better lose yourself in the music, the moment" vom Band erklingt, sind alle bereit zu seliger Hingabe und rauschendem Exzess.

Our Robbie, the King of Song

Super ist auch die theatralische "Nationalhymne", mit der "Our Robbie, the King of Song" in Karaoke-Manier begrüßt werden soll. Nicht schlecht für einen einstigen Schulabbrecher aus Stoke-on-Trent. Obwohl in Berlin kaum einer den bis dato hierzulande unbekannten Text mitsingt. Der auf Edward Elgars pompöses "Land of Hope and Glory" gedichtete Song veräppelt Robbie Williams Drogenexzesse ebenso wie seine notorische Erfolglosigkeit in den USA und kündet von Williams herrlichem Größenwahn und der ihn gleichfalls auszeichnenden Selbstironie.

Dann betritt der ein wenig pummelige Preisboxer selber die Bühne, streift den Satinmantel ab und steht in Muscleshirt und Faltenrock da. Ein falscher Schotte vom alten Schlag: Tattoos, dicke Ketten, Stock. Eine Achsel- oder gar Beinrasur hat dieser Pop-Arbeiter ganz bestimmt noch nie erwogen.

Sein Opener ist derselbe wie auf dem Album, "The Heavy Entertainment Show", dicht gefolgt vom Klassiker "Let me entertain you". Schon das zweite Lied ein bekanntes? Das bleibt Programm. Sein neues Album stellt der risikoscheue Robbie nur noch mit der musikalisch wie inhaltlich tumben Bombast-Nummer „Party Like A Russian“ und der „allen Daddys und Mummys“ gewidmeten Feelgood-Ballade „Love My Life“ vor. Sonst erklingt ein Best-of aus seinen geliebten Swingstandards („Minnie the Moocher“), Coverversionen („Freedom 90“ ist seinem Idol George Michael gewidmet, „Sweet Caroline“ von Neil Diamond singt er im Duett mit Vater Pete) und natürlich einer alte Perle nach der anderen. Nummern wie „Come Undone“, „Rock DJ“ oder „Feel“ sind dann auch die, die am meisten gefeiert werden.

Sexgott? Nö. Familienmensch!

Auch der Künstler selbst vertraut ihnen, so stolz und liebevoll wie er sie präsentiert. Die Lichtdramaturgie zu „Feel“, die die Laserspots so über eine Wolke aus Bühnennebel legt, dass sie die einfallende Dämmerung mit tausend grünen Nadeln aufspießt, ist toll. Und der von Williams auf der abgedunkelten Bühne dargebotene Song eine ewig gültige Nummer. „Come and hold my hand/I wanna contact the living/Not sure I understand/ This role I’ve been given.“ Hach ja. Nur die Zeile „Cause I got too much life running through my veins“, die den Gernegroß, die Suchtpersönlichkeit charakterisierte, stimmt wehmütig. Menno, nicht mal Popstars haben sieben Leben.

Unnötig zu sagen, dass die erstklassig produzierte Show eine achtköpfige Band aufbietet, deren Vorzüge allerdings gelegentlich im zu breiigen Sound versinken. Die drei souligen Backgroundsängerinnen taugen spielend als Solistinnen, wie sie in einem Duett mit Robbie Williams zeigen. Und sowohl die Videoprojektionen wie die Lightshow und die Kostüme der sechs schnittigen Tänzerinnen sind erste Sahne. Und bei den Zugaben setzt sich sein langjähriger Hitgarant Guy Chambers ans Klavier. Robbie Williams selbst hat in dieser Phase seines Lebens und seiner Bühnenexistenz mehr das Modell Familienmensch als die Rolle eines Sexgotts im Sinn. Das hält ihn aber nicht davon ab, auch mal seinen schwarzen Schlüpper herzuzeigen – hu! Nur eine Sache geht in den im Fluge vergehenden anderthalb Showstunden schwer auf den Keks: die obligatorische Frau-aus-dem-Publikum- auf-die-Bühne-hol-Einlage. Da muss nämlich eine gewisse Franziska eine Maske aufsetzen und mit Robbie ein Duett „singen“. Genauer gesagt, erledigt das eine aus dem Off eingespielte, Blödsinn verzapfende Stimme für sie.

Franziska ist verdattert von so viel Tuchfühlung

Zwar bekommt Franziska hinterher zum Dank die Chance auf ein Selfie mit ihrem Star – trotzdem ist die Nummer geschmacklos, um nicht zu sagen gemein und noch dazu entsetzlich gestrig. Übel nimmt den Ausrutscher dem frechen Gassenjungen dann aber niemand. Wie es scheint, noch nicht mal die ob der plötzlichen Tuchfühlung verdatterte Frau. Dass der derbe Posen liebt, „Scheiße“ ruft und sich ans Gemächt langt, sieht schließlich jede und jeder. Bei einem Charismatiker wie Williams ist das der erwartbar unberechenbare Teil der Aura. So einem kann offensichtlich keiner böse sein.
Auch nicht, wenn er als letzte Zugabe mal wieder das elende „My Way“ bringt. Und, als die Leute weiterklatschen, noch mal mit seinem bereits zuvor gesungenen Hit „Angels“ vom 1997er Solodebüt „Life Thru A Lens“ kommt, gemeinsam mit dem als gemeinsamen Abschied von Künstler und Publikum antäuscht gesungen. Kaum, dass die Fans verliebt in den Refrain einstimmen, verschwindet Williams der auf Nimmerwiedersehen von der Bühne. Schlaf schön, Robbie, und erhol dich, morgen ist schließlich wieder Konzert.

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