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Kultur: Robbie Williams: Wollt ihr tanzen oder lieber Marschmusik?

Als Robbie Williams gegen 23 Uhr zu den letzten Takten seiner Version des Queen-Klassikers "We Are The Champions" die Bühne im Müngersdorfer Stadion verließ, da hätte der Gegensatz größer nicht sein können zu dem, was drei Stunden zuvor an gleicher Stelle passiert war: die Selbstentzauberung eines Mythos, auch wenn der bloß als Vorgruppe daherkam. Nun ist es das übliche Schicksal von Publikumsaufwärmern, dass Konzertbesucher sie als Zeitüberbrücker vor der eigentlichen Hauptattraktion ansehen.

Als Robbie Williams gegen 23 Uhr zu den letzten Takten seiner Version des Queen-Klassikers "We Are The Champions" die Bühne im Müngersdorfer Stadion verließ, da hätte der Gegensatz größer nicht sein können zu dem, was drei Stunden zuvor an gleicher Stelle passiert war: die Selbstentzauberung eines Mythos, auch wenn der bloß als Vorgruppe daherkam. Nun ist es das übliche Schicksal von Publikumsaufwärmern, dass Konzertbesucher sie als Zeitüberbrücker vor der eigentlichen Hauptattraktion ansehen. Dass es aber tatsächlich so kam, dass New Order bei ihrem gut eine Stunde lang währenden ersten Auftritt auf deutschem Boden seit mehr als zehn Jahren, wenn auch nur als Vorgruppe von Williams von den Zuschauern schlichtweg ignoriert wurden, das erstaunte dann doch. Angesichts der anhaltenden Beifallsverweigerung ging dem Sänger Bernard Sumner der Sinn für subtile Ironie aus. Anders vermag man seinen Zwischenruf "Mögt ihr Tanzmusik oder mögt ihr lieber Marschmusik?" kaum zu deuten.

Tatsächlich gelten New Order weithin als Pioniere der elektronischen Tanzmusik. Wenig spricht dagegen, sie in eine Reihe mit der deutschen Gruppe Kraftwerk zu stellen, die in den 70er Jahren die musikalischen Grundlagen für bald sämtliche heute verbreiteten Spielarten elektronischer Musik schufen, von Techno bis House; als den Düsseldorfer Menschmaschinen in den 80-ern die Ideen ausgingen, da übernahmen New Order, etwa mit ihrem bis heute größten Hit "Blue Monday" (1983), deren Stelle. Auch außerhalb ihrer eigentlichen Profession setzten New Order, die 1981 aus den Ruinen der Gothic-Band Joy Division enstanden waren, nachdem sich deren Frontmann Ian Curtis das Leben genommen hatte, neue Standards: Sie waren eine der ersten Bands überhaupt, die für ihre Veröffentlichungen eine eigenePlattenfirma gründete; die Band-Mitglieder betrieben mit der "Hacienda" in Manchester eine der ersten englischen Großdiskotheken, die Ende der 80-er zum Geburtsort der britischen Acid-House- und Rave-Bewegung wurde. Beides, Plattenfirma wie Club, sind längst Geschichte, Konkursgeschichte. Nachdem die Mitglieder von New Orderdie 90er Jahre mit verschiedenen, meist mittelmäßig erfolgreichen Solo-Projekten vertrödelten, hat sich die Gruppe nun wieder formiert: Am heutigen Montag erscheint die neue Single "Crystal", Ende des Monats folgt das sechste Studioalbum in zwanzig Jahren Band-Geschichte.

"Get Ready" ist eine gute Pop-Platte; mithin übererfüllt sie die Erwartungen, die man an ein "Alterswerk" einer Gruppe von Mittvierzigern haben kann, die ihren Beitrag zum popmusikalischen Fortschritt längst geleistet haben. Eben jene Legende von den ewigen Erneuerern aber, und das eint New Order mit ihren Vorläufern Kraftwerk, lastet schwer auf jeder neuen Produktion. Mag sein, dass die Entzauberung des Mythos New Order an diesem Abend in Köln deshalb umso tragischer erscheint: Am Ende standen dort bloß drei ältere Herren in Jeans und Turnschuhen, die zusammen eine berühmte Rock-Band mimten. Und genau so, als Schimäre einer irgendwie großen, aber nicht mehr in die Gegenwart hineinreichenden Vergangenheit, wurden sie dann auch von der Menge behandelt die ihrem Altersdurchnitt zufolge New Order wohl nur aus Erzählungen älterer Geschwister kannte.

Ganz anders die Reaktion auf Robbie Williams: Schiere Raserei brach unter den 60 000 Anwesenden aus, als der mit seinem gewohnheitsmäßigen Opener "Let Me Entertain You" die Bühne betrat. Knapp zwei Stunden, ein paar einstudierte Zoten und 17 Lieder später hatte das einstige Take That-Mitglied erneut bewiesen, dass er nicht zufällig als Einziger künstlerisch wie kommerziell die Boyband-Hausse der 90-er überlebt hat. Bei seinem ersten und auf Sicht einzigen Stadionkonzert in Deutschland überhaupt demonstrierte der 27-Jährige, weshalb man ihn getrost das größte musikalische Unterhaltungstalent seiner Generation nennen darf: Robbie Williams und seine junge Band sind problemlos im Stande, ein voll besetztes Fußballstadion ganz buchstäblich an den Rand der Massenekstase zu rocken. Wie das geht, das werden New Order vermutlich nicht mehr lernen.

Dirk Peitz

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