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Kultur: Robert Zemeckis: Mit seinem neuen Film "Schatten der Wahrheit" wandelt er auf Hitchcocks Spuren - erzählerisch plakativ, handwerklich perfekt

Wenn das latent puritanische Hollywoodkino darauf verfällt, Erotik-Passagen in der Ehe zu inszenieren, dann können die Zuschauer den Abgrund unter der Oberfläche gar nicht tief genug einschätzen. Glück ist immer nur als verdorbenes, verlorenes, verlogenes abzubilden.

Wenn das latent puritanische Hollywoodkino darauf verfällt, Erotik-Passagen in der Ehe zu inszenieren, dann können die Zuschauer den Abgrund unter der Oberfläche gar nicht tief genug einschätzen. Glück ist immer nur als verdorbenes, verlorenes, verlogenes abzubilden. So weit, so absehbar. Dann besetze man noch mit Michelle Pfeiffer und Harrison Ford zwei Stars, die ein Inbegriff von ungebrochener amerikanischer Unkompliziertheit sind - Ikonologie light sozusagen - und entscheide: Ein Thriller soll es sein! Fertig ist der sich selbst abspulende Horrorfilm.

Robert Zemeckis ("Forrest Gump") hatte nach eigenen Angaben den Ehrgeiz, eine Art Hitchcock-Film mit modernsten technischen Mitteln zu drehen. Hitchcock, das muss leider gesagt sein, ist für Zemeckis laut, plump, plakativ und mit selbstredend blonder Hauptrolle. Ferner mit "Suspense" natürlich, oder dem, was Zemecki dafür hält: grob falsch gelegten Spuren. Folglich beginnt der Film sanft, kühl und suggestiv mit einem stereotypen Alltag der amerikanischen Upper-Class. Claire (Michelle Pfeiffer), die schöne Gattin eines erfolgreichen Wissenschaftlers, verliert ihre Tochter an das College und muss nach neuem Lebenssinn suchen. Zumal sie einst für Tochter und Gatten (Harrison Ford) ihre Cellistinnen-Karriere geopfert hat.

Wohin also mit all der ungebundenen Leidenschaft und Sensibilität? Investieren in die Einrichtung des neuen, einsam gelegenen Anwesens im Herzen Vermonts? Was Wunder, dass sie beginnt, Stimmen zu hören, dass hysterische Schreckensvisionen allmählich ihre Phantasie besetzen. Tote in der Badewanne. Ihr eigenes Gesicht als Leiche im Spiegel. Übernatürliches Türenschlagen. Und die Überzeugung, dass im Nebenhaus bei den Nachbarn ein Mord stattgefunden hat. Ihr Mann spricht von überspannten Nerven, und auch ihr Psychiater hält sich zunächst bedeckt.

Während man hier noch drehbuchgemäß darüber nachsinnt, ob man nun Zeuge von Claires überspanntem Innenleben oder doch einer sie umgebenden bösen Realität wird, macht Zemeckis - nach seinem sensibel gestalteten Anfang - schnell die ersten Fehler. Der inszenierte Schrecken wird nicht allmählich in die Realität eingeführt, sondern gleichsam überpointiert: mit erhobenem Zeigefinger. Man braucht die von Kameramann Don Burgess, Licht-Designern, Visual Effects Supervisoren und Produktionsdesignern sorgfältig komponierten Bilder auf der Leinwand gar nicht erst nach Ungewöhnlichem abzusuchen: Es wird einem ohnehin immer von der Tonspur aufs akustische Silbertablett geknallt: Achtung, übernatürlich! Gerade so, wie beim Zirkus jeder Trick am Seil mit einem Trommelschlag annonciert wird.

Statt dass der Schrecken also, wie bei Hitchcock, zunächst unmerklich in unserer Phantasie entsteht, parallelisiert der Ton das stets in Großaufnahme abgebildete Geschehen - und wenn es nur eine zufallende Tür ist. Der Zuschauer darf seine Sinne nicht schärfen, sondern muss sie gegen den Overkill abschirmen. Und so spult sich der Film schematisch ab. Wenn die naive Blonde von hysterischen Wahnvorstellungen heimgesucht wird, ist der Grund vermutlich am ehesten in der Ehe zu suchen. Und was ist in der Ehe mit einem ambitionierten und attraktiven Universitätsprofessor wohl der Super-Gau? Setzen Sie sich hin, schreiben Sie das Drehbuch zu Ende, und gehen Sie zum Vergleich in den Film. - In der technischen Umsetzung ist Zemeckis allerdings perfekt. Lange, komplexe Kamerafahrten, ausgeklügelte Bildkompositionen, schräge Perspektiven illustrieren expressiv das Geschehen. Die Kamera siedelt ihren Blickwinkel mit fortschreitendem Horror-Quotienten immer tiefer an, Licht-Design und Kostüme werden dunkler, auf dass wir atmosphärisch bloß nichts mißverstehen. Harrison Ford hält seinen Part als undurchsichtiger Gatte musterhaft durch, Michelle Pfeiffer kultiviert erneut ihre Standardrolle als das erwachsene kleine Mädchen in einer großen, unverständlich bösen Welt. Eine Kim Novak, eine Grace Kelly ist sie deswegen noch lange nicht. Keine kühle, verstört-verstörende Projektionsfläche männlicher Ängste und Phantasien. Eher, wie Kollegin Andie McDowell, der Typ liebe ambitionierte Hausfrau.

So fehlt es nicht nur an der Hitchcockschen atmosphärischen Subtilität, auch von seiner Psychologie ist nichts zu spüren. Die Beweggründe der Handelnden sind schematisch und frei von irrationalen Abgründen. Scharfsinnig aufzudecken ist hier nichts, nur bloße Informationen sind einzuholen. Und am Ende ist kaum mehr gewonnen, als dass die US-amerikanische Durchschnittsseele in ihrer latenten, filminduzierten Paranoia-Bereitschaft bestärkt wird: Hinter der schönsten Fassade steckt latent das größte Übel, und die Realität ist stets perfider und trivialer, als es die kühnste Phantasie erlaubt.

Simone Mahrenholz

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