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Led Zeppelin

© dpa

Rock-Band: Led Zeppelin: Weit unterm Himmel

Led Zeppelin haben 300 Millionen Platten verkauft und das stählerne Gitarrenriff, das Stadionkonzert, die Platin-LP, die Lightshow und die Pose des breitbeinigen Headbangings erfunden: Heute kommt sie in London noch einmal zusammen. Ein Wunschkonzert.

Sie sind ein Mythos der Rock-Geschichte: Led Zeppelin. Mit dem Drogentod von Drummer John Bonham 1980 zerbrach das englische Quartett. Seither traten Gitarrist Jimmy Page, Sänger Robert Plant und Bassist John Paul Jones noch zweimal auf – ein Fiasko. Bei Live-Aid versagte dem Sänger Robert Plant die Stimme, und bei einem Jubiläumskonzert der Plattenfirma Atlantic Records kam es noch schlimmer: Plant weigerte sich, den größten Hit „Stairway to Heaven“ zu singen. Trotzdem bemühten sich 20 Millionen Fans um die 20 000 verfügbaren Karten für das heutige Benefiz-Konzert in der Londoner O2-Arena. Ticketpreise rangieren auf dem Schwarzmarkt bei mindestens 6000 Euro. Welche Songs die Band bei ihrem Reunion-Auftritt spielen wird, ist ein Geheimnis. Wir haben eine Wunschliste.

TANGERINE

Nach sieben Sekunden ist schon wieder Schluss. Die Akustikgitarren verstummen. Leise wird neu eingezählt. „Ich bin heute nicht mehr sicher, ob das eine gute Idee war. Alle fragen, was da eigentlich vor sich geht“, sagt Jimmy Page, der das Stück geschrieben hat. Es geht zurück auf ein Yardbirds-Stück mit dem Titel „Knowing That I’m Losing You“, das es nie auf eine Platte schaffte. Auf „Led Zeppelin III“ befindet es sich als „Tangerine“ auf der folkigen zweiten Platten-Seite. Eine wunderschöne, zweistrophige Ballade, die schon die Dramaturgie von „Stairway to Heaven“ vorwegnimmt. Nach dem ruhigen Akustik-Beginn legen im Refrain Bonham und Jones an Schlagzeug und Bass los. Sehr sachlich begleiten sie den zweistimmig aufgenommenen Gesang von Robert Plant bei seiner sehnsuchtsvollen Erinnerung an eine vergangene Liebe, die jetzt nur noch eine 1000 Jahre entfernte Traum-Reflexion ist. Besonders schön: dass Plant hier mal nicht kreischt und quäkt, sondern angenehm tief singt. Seltsam ist allerdings der Titel. Tangerine heißt Mandarine – ein eher abwegiger Kosename für eine Geliebte. Aber er reimt sich auf „dream“, „queen“ und „between“. Nadine Lange

GALLOWS POLE

Eine Gitarrenunterrichtsstunde in den frühen neunziger Jahren, Süddeutschland, bei einem langhaarigen Gitarrenlehrer – alle Gitarrenlehrer davor und danach in all den anderen Teilen Deutschlands hatten ebenfalls lange Haare, dieser hier aber unterschied sich noch dadurch, dass er erstens weltläufig, weil Engländer und ein Cousin Chris de Burghs war, und zweitens nicht nur Robert-Schumann-Etüden und Paco-de-Lucia-Stücke lehrte, klassischen Fingerhaltungsmist also, sondern auch klassische Charakterhaltung. An diesem Tag war Demut dran. Als Hausaufgabe hatte es „Gallows Pole“ gegeben, einen Folksong, ein Traditional, auch von Led Zeppelin eingespielt, 1970. Sie ist leichter gewesen als alle Hausaufgaben in den Monaten zuvor. Fehlerfreies Spiel, zum ersten Mal überhaupt, nach nur ein paar Tagen Üben. Und der Trugschluss, spätestens jetzt ein besseres Instrument verdient zu haben. De Burgh hörte also der Hausaufgabe zu, und er sah dabei auf seinen hybriden Schüler und eine neue Gitarre, gebaut von einem Meister aus Dortmund. Sie war teuer und hatte vor allem schöne Perlmuttmechaniken am Kopf. De Burgh hatte immer vor einer Neuanschaffung gewarnt, zu früh, zu eitel, den Unterschied hörst du doch eh’ nicht. De Burgh sagte: „Ich hab immer noch recht damit. Bis an dein Lebensende werde ich recht haben damit.“

Was blieb? Ein irritierend ernsthaft zerrüttetes Lehrer-Schüler-Verhältnis, und ein revidiertes Gitarrenkaufverhalten. Seitdem nie eine dieser teuren Gibson-Gitarren gekauft, dieses Jimmy-Page-Handwerkszeug, nur Billigeres, Passenderes. Fender. Fernost-Kopien. Doch davon ein halbes Dutzend. Torsten Hampel

BRING IT ON HOME

In rascher Folge erschienen 1969 die beiden ersten LPs. Die zweite, im Unterschied zur ersten ganz Eigengewächs, zeigt eine Verschleifung, Verknüpfung der Stücke, wie sie mit „Sgt. Pepper’s“ von dem Beatles geradezu Standard für ernsthafte Rock-Musiker geworden war. Der mit solchen Übergängen forcierte Wechsel von harten, lauten, getriebenen Stücken – und den Urschreien von Robert Plant – zu Blues- und Folk-Elementen fasziniert bis heute. Vor allem „Bring It On Home“ vereint die beiden Seiten des „bleiernen Zeppelins“. Schwermütiger Beginn, nur Bass und Mundharmonika, dann gemurmelter, gedrückter Gesang – und mit einem Mal Rhythmuswechsel, aufjaulende Gitarre, hartes Schlagzeug und Schreigesang. Die Songwriter Plant und Page wussten, dass der klassische Blues an Dramatik nicht zu überbieten war – wohl aber mit den Mitteln des Rock. So auch hier. Erst zum Schluss geht es wieder zurück in die schwermütigen Melodik der Blues-Wurzeln. Das Stück und mit ihm die ganze Platte verklingen einfach. Diese Zweigesichtigkeit ist es, mit der sich die Zeppeline von seinerzeitigen Supergroups wie Cream, Ten Years After oder gar Jimi Hendrix Experience unterschieden – bis heute. Bernhard Schulz

DAZED AND CONFUSED

Ein Lieblingssong von Led Zeppelin? Schwierig. Schon wegen des vielfältigen Repertoires dieser wegweisenden Band. Ein Paradestück der Konzerte war von Anfang an „Dazed And Confused“. Sie hatten den Song aus Asche und Nachglut der Yardbirds rausgestochert und zu neuem Feuer angefacht, nachdem Jimmy Page aus der komplett umbesetzten Vorgängerband die New Yardbirds geformt hatte, aus denen schließlich Led Zeppelin wurden. John Paul Jones spielt einen trockenen Bass, chromatisch absteigende Linie, ganz langsam, schwere Schritte. Jimmy Page lässt kurz hintereinander zwei Quinten aufsteigen wie einen leichten Luftballon, elektrische Flageolett-Töne. Plang-Pling. Und drückt gleich auf die Saite hinter dem Sattelbund, um den Ton ein wenig höher zu ziehen. Dann Robert Plants Stimme, schneidend und ein bisschen hysterisch: „Been dazed and confused for so long it’s not true, wanted a woman never bargained for you.“

Vergessen wir jetzt mal den ganzen Macho-Text-Kitsch, Text ist nicht so wichtig, aber die Musik, der Song: Nach der ersten Strophe knallt John Bonham in seine Trommeln, und Page lässt die Gitarre langsam und gefährlich stöhnen, ächzen, schnaufen, mit gefühlvollem Finger-Tremolo, parallel zum Bass. Schweres Blues-Stampfen läuft in ein heftiges Gitarrenriff mit verdoppeltem Tempo. Plant gurgelt, lässt die Stimme flattern, bis sie nur noch wortlos heult und wimmert: „aaaaah!“ Im Dialog mit klopfendem Schlagzeug, Bass, und Jimmy Page, der einen Violinbogen über die Saiten seiner aufgerissenen Gitarre schrubbt, schabt und quietscht. „Aaaah!“ Dann Bogen weg und rein in ein schnelles Gitarrensolo, verzerrt gehendrixt. Und noch ein Dreh in eine Folge wilder Power Chords. Im Hintergrund Bonhams Donnergrollen. Schicht um Schicht wird aufgetürmt in diesem Stück, bis es ächzt in diesem schweren, langsamen Erkennungs-Riff, und stöhnt, „aaah“, und mündet in einen langen auflösenden, erlösenden Schluss-Akkord. Was für ein Song! H. P. Daniels

GOING TO CALIFORNIA

Es gibt Schmeicheleien, die einem die Haut aufkratzen, ohne dass man es spürt. „Going To California“ ist so ein Fall – zum Kuscheln im ansonsten wuchtig-schroffen Led-Zeppelin-Kosmos. Besungen wird eine Frau, die den Helden nach Kalifornien lockt. „Someone told me there’s a girl out there with love in her eyes and flowers in her hair“, krächzt Jimmy Page, während Robert Plant die Akustik-Gitarre zupft. Man erfährt, dass die Schöne selbst Gitarre spielt und Lalalalala singt. Gemeint ist Joni Mitchell, mit der Jimmy Page was hatte; Robert Plant angeblich auch.

Doch es geht um mehr als eine Frau. Für diejenigen, die glaubten, dass sie immer noch in den sechziger Jahren lebten, war dieser Song 1971 genau das, was sie nicht hören wollten – ein Abgesang. Led Zeppelin hatten keine Ideale. Sie sangen von Liebe und meinten Sex. Sie tranken viel und protzten mit ihrem Reichtum. Doch in „Going To California“ liebäugeln sie unverholen mit Scott McKenzies Summer-of-Love-Hymne „San Francisco“ und beschwören noch einmal all die Bilder des einträchtig tanzenden, singenden, sich an sich selbst berauschenden Hippie-Volks herauf. Und man glaubt es ihnen sogar, für einen kleinen, bezaubernden Moment. So besudeln Led Zeppelin den Traum. Denn natürlich gerät der Held, nachdem er dem Lockruf des Blumenmädchens folgend aus dem Privatjet purzelt, nur in Schwierigkeiten. Jemand schlägt ihm auf die Nase, Blut tropft, und er zieht sich Koks durch den lädierten Riecher. Zum Schluss beißt sich Plant hysterisch an der Hoffnung fest, dass alles doch nicht so schlimm sei. „It’s not as hard, hard, hard as it seems“, kreischt er außer sich, so dass nur „hard, hard, hard“ im Ohr hängen bleibt.
Wieder eine Ballade ruiniert. Eine Blume zerrupft. Sie liebt mich nicht. Kai Müller

STAIRWAY TO HEAVEN

Es war auf einer Fahrt von Heidelberg nach Oberhausen. Im D-Zug-Abteil lehnte sich ein Junge in Wildlederjacke mit Fellbesatz an die roten Kunstlederpolster. Über seine Ohren hatte er billige Walkman-Kopfhörer der ersten Generation gestülpt. Und er hörte nur ein einziges Lied: „Stairway to Heaven“. In Endlosschleife. 40, 50 Mal acht Minuten.

Was ist das Geheimnis dieses Songs, in dessen ersten vier Minuten sich der teilnehmende Schlagzeuger mühelos ein Bier holen gehen kann? Es versetzt einen in Trance, wie den Jungen im Zug. Wahrscheinlich ist „Stairway to Heaven“ eher vergleichbar mit einer Achterbahn- als mit einer Zugfahrt: Ist man einmal eingestiegen, muss man bis zum Ende dabei bleiben, selbst wenn einem irgendwann schlecht wird. Denn die Gitarren sind Kitsch. Jimmy Page bedient eine Doubleneck – mit zwölf Saiten am oberen Hals! Der Mann muss über eine dritte, unsichtbare Hand Gottes verfügen. Oder eine Teufelshand: Rückwärts gespielt spricht aus „Stairway to Heaven“ Satan. Zum Teufel: Das stimmt. Esther Kogelboom

THANK YOU

Anfang der Achtziger war Led Zeppelins schlicht „II“ betiteltes zweites Album bereits ein Oldie, der als leicht abgeschabter Flohmarktfund mit schöner Klappcover-Optik zwischen spröden Wave- und Disco-Platten die erwachende Sammlerneugier erregte. Gekauft vor allem wegen „Whole Lotta Love“, in seiner erotisierenden Heavyness unverzichtbarer Teeniefeten-Hit, war es das am Ende der ersten LP-Seite versteckte „Thank you“, das die folkige Ader von Led Zeppelin offenbarte. Es schleicht sich zu glockenhellen Gitarrenakkorden heran, John Bonham setzt wuchtige Paukenschläge, der Bass federt, bis Robert Plant mit kehlenzuschnürender Zärtlichkeit unvergessliche Zeilen singt: „If the sun refused to shine, I would still be loving you/ When mountains crumble to the sea, there will still be you and me.“ So hat man adoleszentes Liebeswerben auch gerne bedichtet. Und dazu Gitarre gespielt wie Jimmy Page, der das Stück mit einem beseelten Solo auf der Akustischen aufmöbelt. „Thank you“ gehört nicht zum Kanon kultisch verehrter Led-Zeppelin-Songs. Auf der aktuellen Best-of-Kompilation „Mothership“ ist er jedenfalls übergangen worden. Typisch. Jörg Wunder

BLACK DOG

7. Juli 1980. Eissporthalle Berlin. Der letzte Auftritt der vier apokalyptischen Reiter. 20 Mark das Ticket, aber damals hieß es wohl noch Eintrittskarte. Und was ist ein ausgewachsener Rocksong anderes als eine Einfallsschneise für schweres Wetter, himmlische Gefühle und höllische Schmerzen! „I don't know, but I've been told / Big legged woman ain't got no soul.“ Am 7. Juli 1980 spielen Plant & Co. auf ihrer eigenen Beerdigung, alles aussteigen, der schwere Vogel sinkt, und niemand konnte das wissen an jenem Abend, der in der eigenen Vorzeit verschwimmt; eine Einladung zur Mythenerfindung. Die Zeppelin-Alben wurden erst später gekauft, als die Neue Deutsche Welle und das ganze Synthie- Zeug der Achtziger schnell nicht mehr zu ertragen waren. Der Zeppelin ist Klassik, und Klassik lässt sich nur nachholend begreifen. „Oh yeah, oh yeah, ah, ah, ah/ Oh yeah, oh yeah, ah, ah, ah.“ Robert Plants Refrain in „Black Dog“, vom vierten Album. Call and response, wie bei den Gospeln. Der Sänger lehnt sich weit aus dem Fenster, eine Stimme wie ein Rohdiamant, mit archaischen Einschlüssen – die Band stampft und hämmert, formt den Stahl, fängt den Sturz ab.

Habe mich immer gefragt, was Heavy Metal heißen soll. Mit anderen Bands dieser industriellen Bezeichnung kann man brüllen, tanzen, Luftgitarre spielen, sich den Nacken ausrenken. Ein glühendes Werkstück wie „Black Dog“ brennt und schneidet in die Seele. „Oh yeah, oh yeah, ah, ah, ah ....“

7. Juli 1980. Bei „Stairway to Heaven“ die Finger am hochgehaltenen Feuerzeug verbrannt. Den Namen des Mädchens lange vergessen, sie mochte auch diese göttliche Hymne nicht. „Rock’n’Roll“ und „Whole Lotta Love“ – die allerletzten Zugaben. Vermächtnis einer Band, die den alten Alchimistentraum erfüllte und aus Blei Gold machte. Gemessen an den Platten, fand ich das Konzert etwas routiniert. 2001 wurde die Halle in der Jafféstraße abgerissen. Rüdiger Schaper

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