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Verbeaten verboten. Das Franke-Echo-Quintett aus Grünau half, den Beat in der DDR populär zu machen. Auf diesem Plattencover von 1964 ist Bandleader Dieter Franke mit seiner selbst gebauten dreihalsigen Gitarre zu sehen.

© Thilo Rückeis

Rock-Geschichte: Von Blauhemden und Bluejeans

Beat-Fans in der DDR waren Staatsfeinde. Viele protestierten, andere arrangierten sich. Eine Musikgeschichte aus der Zeit des Mauerbaus.

Einst nannten sich die Jungs die „furchtlosen Fünf“, nun sitzen sie stumm auf der Anklagebank und schauen ungläubig zum Staatsanwalt hinüber. Soeben hat der die Todesstrafe gegen zwei von ihnen beantragt. Dabei sind sie gerade mal 17, 18 Jahre alt. Ihre Verbrechen: Aus Protest gegen den Bau der Berliner Mauer haben sie mit weißer Farbe Sprüche an Hauswände geschrieben: „Macht das Tor auf!“ und „SED-Nee!“. Und sie haben eine freistehende Scheune angezündet, Sachschaden: 50 000 Mark. Der Staatsanwalt nennt es „Diversion in Tateinheit mit staatsgefährdenden Gewaltakten sowie staatsgefährdender Propaganda und Hetze“.

Nach drei Tagen, am 15. September 1961, endet der Schauprozess im Kulturhaus der Nationalen Volksarmee in Strausberg bei Berlin. Michael Gartenschläger und Gerd Resag werden letztlich zu lebenslangen Freiheitsstrafen verurteilt. Ihre drei Freunde bekommen sechs, zwölf und 15 Jahre Zuchthaus.

„Vom Rias-Hörer und Herold-Fan zum Staatsverbrecher“ titelt die in Ost-Berlin erscheinende „Deutsche Lehrerzeitung“. Aus der Perspektive der DDR-Ideologie ein durchaus logisches Fazit. Schon seit Mitte der fünfziger Jahre gilt Rock ’n’ Roll im Osten als „seelenlose“ Musik, die junge Menschen auf gefährliche Abwege bringen kann. Über Elvis Presley schreibt die „Junge Welt“: „Sein ,Gesang’ glich seinem Gesicht: dümmlich, stumpfsinnig und brutal.“ Für die SED ist der Rock ’n’ Roll Teil des kulturellen Kalten Krieges.

Und so legt die Parteiführung im Januar 1958 fest, dass 60 Prozent aller Musikstücke, die zu Tanzabenden aufgeführt werden, von Komponisten stammen müssen, die in der DDR oder im sozialistischen Ausland leben. Bestimmte Westtitel werden ganz verboten. „Wenn wir uns daran gehalten hätte, wäre nach zwei Auftritten keiner mehr gekommen“, sagt Dieter Franke, der 1959 in Grünau das Franke-Echo-Quintett gründete. Wie die meisten anderen Bands spielt er fast nur Westmusik: von Little Richard bis The Shadows. Zu flächendeckenden Kontrollen in den Tanzsälen sind die Behörden nicht in der Lage. Und wenn doch mal ein Prüfer im Publikum sitzt, gibt der Wirt ein Zeichen: „Dann haben wir eben Osttitel gespielt, bis denen schlecht war“, sagt der heute 74-Jährige.

Dabei ist der Staatsratsvorsitzende Walter Ulbricht überzeugt, „dass wir bessere Schlager komponieren können als der Westen“. Im Januar 1959 präsentiert die Partei voller Stolz den passenden Tanz dazu. Der „Lipsi“, ein Tanz im Sechs-Viertel-Takt, soll den Rock ’n’ Roll verdrängen. Doch die groß angelegte Kampagne in Presse, Funk und Fernsehen verpufft. Die Jugend macht sich lustig: „Wir haben uns hingeschmissen“, erinnert sich Franke.

Blauhemd statt Bluejeans, Altherrenmusik statt Rock ’n’Roll – die Versuche der DDR-Regierung, Einfluss auf die Jugend zu nehmen, sind von politischer Ahnungs- und Hilflosigkeit geprägt. Und spätestens zu Beginn der sechziger Jahre ist klar, dass sie gescheitert sind. Allein 1960 flüchten fast 200 000 Menschen aus der DDR – fast die Hälfte sind Jugendliche unter 25 Jahren. Der Bau der Mauer am 13. August 1961 stoppt zwar die Ausreisewelle, aber verschärft den Konflikt zwischen den Generationen. Für die SED ist es an der Zeit, Exempel zu statuieren.

Protest. 1965 demonstrierten 2500 junge Rock'n'Roll-Anhänger in Leipzig gegen Repressionen durch den Staat. Hier ein Graffiti an einer Litfasssäule: "Freiheit für alle Beat-Fans".
Protest. 1965 demonstrierten 2500 junge Rock'n'Roll-Anhänger in Leipzig gegen Repressionen durch den Staat. Hier ein Graffiti an einer Litfasssäule: "Freiheit für alle Beat-Fans".

© Staatsarchiv Leipzig

Michael Gartenschläger und seine Freunde kommen dafür gerade recht. Die fünf Strausberger Rockfans, die so manche FDJ-Versammlung mit Stinkbomben gestört haben, stehen schon lange auf dem Zettel der Sicherheitskräfte. Zumal Gartenschläger bereits 1960 in einem Schuppen hinter der Gaststätte seiner Eltern einen Fanclub des „deutschen Elvis“ Ted Herold gegründet hat. Jetzt unterstellt der Staatsanwalt den Jungs, sie hätten, aufgeputscht durch das „Hören von Feindsendern“ und Fahrten nach West-Berlin, eine konterrevolutionäre Gruppe gebildet, die Anschläge auf Armee und Polizei plante. Das Ziel des Prozesses hat die Stasi bereits vorformuliert: zu zeigen, wie junge Menschen durch die „amerikanische Lebensweise und Unkultur“ zu „willfährigen Werkzeugen der Kriegspolitik“ werden.

Auch die Bands spüren nun den Druck der Partei. Zwei Jahre lang versteckt sich die Musikszene in den Vororten. Das Franke-Echo-Quintett spielt im Bohnsdorfer Volkshaus und gründet später im Treptower Kulturhaus den „Twistkeller“. Bei ihren Auftritten ist der Raum mit 80, 90 Leuten völlig überfüllt. „Ich hatte das Gefühl, dass mit unserer Musik ein Ventil geöffnet wurde“, sagt Dieter Franke.

Und dann scheint sich plötzlich alles zum Guten zu wenden. Um dem schwindenden Einfluss auf die Jugend zu begegnen, ändert das Politbüro im September 1963 seinen Kurs. „Der Jugend Vertrauen und Verantwortung“, heißt die Parole nun. Und Ulbricht verkündet: „Welchen Takt die Jugend wählt, ist ihr überlassen: Hauptsache, sie bleibt taktvoll!“

Allein in Ost-Berlin gründen sich in einem knappen Jahr mehr als 250 Twist- und Beatbands. Doch die DDR-Planwirtschaft ist mit der Nachfrage an Instrumenten überfordert. Wer Musik machen will, muss auf den Schwarzmarkt. Oder macht es wie Dieter Franke: „Da kennt man einen Tischler, der einem die Körper zufräst, da schleift und poliert man Klaviersaiten und wickelt sich mit der Nähmaschine aus Draht seine eigenen Tonabnehmer.“ Und nach einem halben Jahr ist die Gitarre mit den drei Hälsen fertig.

Im Mai 1964 erreicht die musikalische Liberalisierung ihren Höhepunkt: Eine halbe Million Jugendliche aus der DDR und 25 000 aus der BRD treffen sich in Ost-Berlin. Das „Deutschlandtreffen“ soll zeigen, wie fortschrittlich und tolerant der Sozialismus ist. Der Berliner Rundfunk richtet am Alex ein Sonderstudio ein und sendet 99 Stunden am Stück Agitprop-Lieder, aber auch die Beatles. Wenig später beginnt der Musikverlag Amiga, Beat-Platten zu veröffentlichen.

Doch der Frieden ist brüchig. Passanten ärgern sich über langhaarige „Gammler“. Die Polizei stellt auf Konzerten immer wieder Verstöße gegen den Jugendschutz und andere Gesetze fest. Und den alternden Partei-Funktionären bleibt der Beat noch immer suspekt. Im September 1965 spielen die Rolling Stones in West-Berlin, und das Publikum zerlegt die Waldbühne. Das „Neue Deutschland“, Zentralorgan der SED, schreibt: „Die Schlacht in der Waldbühne soll auf lebensgefährliche Schlachten vorbereiten. Vernebelte Köpfe und nackte Gewalt waren schon immer die besten Bundesgenossen derer, die Deutschlands Jugend in zwei Weltkriege trieben.“

Über Nacht ist die ideologische Rhetorik zurück. Nun werden die Beat-Musiker und ihr Umfeld kriminalisiert. Die Partei beschließt einen neuen Richtungswechsel: Gruppen, die Westmusik spielen, soll die Lizenz entzogen werden; ebenso bei Verdacht auf Steuerhinterziehung oder „Arbeitsbummelei“ der Musiker. Die entsprechende Überprüfung hat etwa in Leipzig zur Folge, dass 54 von 58 registrierten Bands ihre Spielerlaubnis verlieren. Aus Protest versammeln sich dort am 31. Oktober 1965 etwa 2500 jugendliche Beat- Fans auf dem Wilhelm-Leuschner-Platz. Es ist die größte nicht genehmigte Demonstration seit dem 17. Juni 1953. Die Polizei setzt Wasserwerfer, Hunde und Gummiknüppel ein. Mehr als 250 Jugendliche werden festgenommen, viele zu mehrwöchiger Zwangsarbeit in den umliegenden Braunkohlegruben verurteilt.

Wenig später, im Dezember 1965, räumt auch die FDJ auf dem 11. Plenum des ZK der SED ein, dass sie die Beat-Musik zu positiv eingeschätzt hat. Und Ulbricht fragt, ob man denn „jeden Dreck, der aus dem Westen kommt“, kopieren müsse. „Genossen, mit der Monotonie des Yeah-yeah-yeah und wie das alles heißt, sollte man doch Schluss machen.“ Kurz darauf wird auch das Franke-Echo- Quintett verboten. Um sicherzugehen, dass die Band nicht mehr spielt, werden zwei Mitglieder zur Armee gezogen. Doch nach einem halben Jahr hat Dieter Franke neue Musiker eingearbeitet.

Während das Echo-Quintett wieder auftritt, sitzt Michael Gartenschläger noch immer im Knast. Erst 1971wird er von der BRD freigekauft. Doch Gartenschläger, nun in Hamburg ansässig, ist nicht fertig mit der DDR. In den folgenden Jahren verhilft er 31 Menschen zur Flucht aus der DDR. 1976 baut er an der innerdeutschen Grenze zwei Selbstschussanlagen ab und präsentiert sie im „Spiegel“ der Öffentlichkeit. Beim Versuch, eine dritte Anlage abzubauen, wird er am 30. April 1976 von einem Sonderkommando erschossen. Da ist aus dem Beat längst Rockmusik geworden.

In Kooperation mit dem Tagesspiegel sendete Radio eins vom RBB am Freitag, den 12. August das Hörspiel „Rolli und die Rockonauten“. Es erzählt die Geschichte des 17-jährigen Roland, der Mofa fährt, Partys feiert – und Musik macht. Durch ihre Rock-’n’-Roll-Begeisterung geraten Rolli und seine Rockonauten mit dem Regime in Konflikt – ihre Welt beginnt plötzlich, politisch zu werden. Die fiktive Geschichte von Rolli und seinen Freunden ist inspiriert von der realen Biografie des Ost- Berliner Beat-Fans Michael Gartenschläger - die insgesamt zwölf sechs- bis achtminütige Episoden können unter www.rockonauten.de nachgehört werden.

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