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Immer auf der wilden Seite. Lou Reed.

© dapd

Rock: Lou Reed: In Bausch und Drogen

Das intelligente Tier der Rockmusik: Der Sänger und Gitarrist Lou Reed feiert seinen 70. Geburtstag - allen Unkenrufen zum Trotz.

Als er im Jahre 2008 die Ehre hatte, Leonard Cohen in die „Hall of Fame“ des Rock’n’Roll einzuführen, meinte Lou Reed: „We are so lucky to be alive ...“. Dazu passt ein Wort des Pop-Journalisten Lester Bangs, der 1982 im Alter von 33 Jahren nach wildem Tablettenkonsum starb und der Lou Reed liebevoll als einen „erbärmlichen Todeszwerg“ bezeichnet hat: „Lou Reed ist vor allem deswegen mein Held, weil er für alles Abgefuckte steht, was ich mir vorstellen kann. Was aber wahrscheinlich nur zeigt, wie eingeschränkt meine Vorstellungskraft ist.“ Und noch einmal Lou Reed im Original, weil die Popkultur doch am allerbesten für sich selbst spricht: „Ich habe versucht, mit Alkohol meinen Drogenkonsum zu bekämpfen“, oder: „Alles, was mehr als drei Akkorde hat, ist Jazz“. Oder auch: „Das Leben ist ein Sanskrit-Text, den man einem Pony vorliest.“ Da wäre man gern mal dabei, hörte gebannt zu ...

Sanskrit im Vollrausch im Pferdestall, aber sparsam orchestriert, mit New Yorker Straßengeräuschen im Hintergrund: In diesen knappen, eines Entertainers würdigen Sentenzen steckt der ganze Lou. Sein Zynismus, sein Humor, seine brutale Offenheit. Tatsächlich ist es ein Wunder, was er alles überlebt hat, seit er 1966 zusammen mit John Cale (der nächste Woche ebenfalls 70 wird) im Dunstkreis von Andy Warhol die Rockband Velvet Underground gründete. Wenn man vom Einfluss spricht, den ein Musiker ausübt, dann war der auf Long Island geborene Lou Reed mit seinem schlecht gelaunten Sprechgesang eine finster strahlende Stilikone. Auch andere haben von Sex und Drogen gesungen, aber bei ihm klang das immer direkter, unverschämter, schmutziger, aber auch ironischer, wie bei „Walk on the Wild Side“ vom Glamour-Album „Transformer“ (1973).

Lou Reed stand für die Verbindung von Rock und Bildender Kunst und Design; was die Briten später mächtig ausbauen würden. In den frühen Siebzigern hatte er engen Kontakt zu David Bowie. Aber vor allem auch das Unstete, Quecksilbrige, das was Lester Bangs als „abgefuckt“ bezeichnet, charakterisiert Lou Reed in seiner langen Karriere, die er als angestellter Songwriter begann, wie auch Neil Diamond oder Carole King.

Ihn einen Überlebenskünstler zu nennen, ist mit Sicherheit eine Untertreibung. Dabei hat er einen ausgeprägten Hang zum künstlerischen Selbstmord, oder positiv gesagt: Er hat sich immer wieder neu erfunden. Zum Beispiel Mitte der Siebziger. Da nahm er erst „Berlin“ auf, was bis heute als depressivstes Album aller Zeiten gelten darf, mit seinen S&M- und Suizid- und Mauer-Fantasien und einer magischen Zeitlupenmusik; vermutlich lebt dieses „Berlin“ von zweieinhalb ins Unermessliche gedehnten Teufelsakkorden. Und wenig später warf er seine „Metal Machine Music“ unter das entgeisterte Volk, eine atonale Hölle voller Rückkopplungen, gegen die Neil Youngs Gitarrenexzesse wohltemperiert wirken. Schließlich landete er mit „Coney Island Baby“ in ruhigeren Gewässern.

Man hat sich angewöhnt, von Lou Reed in Tierbildern zu sprechen. Er ist ein Chamäleon, weil er blitzschnell seine Erscheinungsform wechselt, oder ein Dinosaurier, der sich allerdings strikt weigert, auszusterben. Heutzutage macht er auch einfach schöne Dinge. Mit seiner Gattin Laurie Anderson organisierte er in der Oper von Sidney ein Konzert für Hunde, das wegen der Hochfrequenztöne für Menschen nicht hörbar war. Mit dem Regisseur Robert Wilson hat er mehrfach zusammengearbeitet, wie 1996 bei dem Musical „Time Rocker“ am Hamburger Thalia Theater. Das Melodramatische zieht sich durch sein Werk.

Zuletzt schrieb er die Musik für Wilsons und Frank Wedekinds „Lulu“ am Berliner Ensemble – und nahm die Songs später mit Metallica auf. Wahrscheinlich hat er nur mit einer gewissen Intellektualität all den plüschigen Untergrund, den „Street Hassle“ und die Mörderjahre als „Rock ’n’ Roll Animal“ überstanden. So merkwürdig es klingt, aber am heutigen Freitag wird Lou Reed 70 Jahre alt. Am 20. Juni spielt er auch mal wieder in Berlin, in der Zitadelle. Rüdiger Schaper

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