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Kultur: Rohstoff Afrika

Der Schwarze Kontinent hat Konjunktur: als Leinwand für weiße, westliche Projektionen

Von Caroline Fetscher

Wo immer die German Fräuleins nach dem Krieg Besatzern begegneten, gab auch es Liebschaften. Kinder kamen zur Welt, unter anderem aus Verbindungen mit schwarzen amerikanischen Befreiern. Im „Westfälischen Anzeiger“ vom Januar 1955 las man dazu die ganz offensichtlich in aller Unschuld formulierte Aussage: „Der zweite Weltkrieg brachte mit seiner unseligen Erbschaft das Mischlingsproblem.“

Der Artikel entwarnte zugleich, denn das 1954 gegründete Albert-Schweitzer-Heim in Burgholz-Wermelskirchen bei Wuppertal wollte Abhilfe schaffen. Diese wohltätige Einrichtung nahm im Januar 1955 als Heimschule ausschließlich für „Mulattenkinder“ ihren Betrieb auf. Statistisch erfasst, stand da zu lesen, seien in Deutschland 3000 farbige Besatzungskinder. „Aber die, die sich um das Los dieser Geschöpfe kümmern, wissen, daß es noch viel mehr sind. 10 000 fast.“

Viele aus dieser neuen Nachkriegsminderheit fühlten sich an deutschen Schulen mit weißer Mehrheit nicht wohl. Darum sollte ihnen eine Ausbildung gegeben werden, „die eine Auswanderung nach Übersee erleichtert“. Eine andere Zeitung weist darauf hin, dass zwischen Schweitzers Spital zu Lambarene in Französisch-Kongo und der Mischlingskinderschule bei Wuppertal „direkte briefliche Verbindung“ besteht. Möglichst zu Missionaren sollten die Kinder ausgebildet werden. Wenige Jahre und einige Aufklärungsschübe später löste sich das prekäre Unterfangen jedoch klammheimlich auf.

Dass man im rührenden, benignen Rassismus jener Tage noch das Antidot zum malignen Rassismus der NS-Ideologie schaffen wollte – freundliche Aussiedlung des Nichtpassenden in rassisch homogene Territorien in Übersee –, wurde als Irrweg erkannt. Dennoch blieben latent gewaltige Altlasten zurück.

Antikoloniale Bewegungen und neue Staatsgründungen machten aus Afrikanern zumindest nominell politische Subjekte, die sich nicht als schwarze Wilde abtun ließen.Die so genannte Dritte Welt entstand und mit ihr das Pathos einer neuen Solidarität mit den „Armen in Afrika“, dazu eine neue Rhetorik der Menschenrechte. Aber bis heute flottieren die imaginären Bilderwelten der kolonialen Jahre in diesen Szenarien; immer noch dominieren sie die Ikonografie von Spendenkampagnen christlicher und anderer Hilfsorganisationen. Großäugige, dunkelhäutige Kleinkinder werben um Paten, Frauen in farbigen Gewändern, Krüge oder Stoffballen auf dem erhobenen Haupt balancierend, sollen die „Würde des schwarzen Kontinents“ repräsentieren, während die Wörter „Afrika und Hilfe“ weiterhin ein semantisches Paar bilden, ein so unzertrennliches wie „Afrika und Abenteuer", „Afrika und Armut/Krankheit“, „Afrika und Natur“.

Im Kalten Krieg, als Afrikas neu gegründete Staaten postkoloniale Allianzen mit den Machtblöcken in der Ferne eingingen, änderte sich an diesen Bildern kaum etwas. Bezeichnend dafür ist etwa die Tatsache, dass dem breiten, westlichen Publikum zu Afrika – mit Ausnahme von Nelson Mandela – kaum eine prominente Persönlichkeit einfällt, nicht einmal einer der Kriegsverbrecher, die am Ruanda-Tribunal der Vereinten Nationen in der Stadt Arusha in Tansania seit Jahren vor Gericht stehen.

Während die Abendnachrichten so gut wie jeden Palästinenser beim Namen nennen, der eine Rolle im Nahostkonflikt spielt, bleiben Afrikas Millionen Kriegstote und ihre Mörder im Sudan, in Somalia, Äthiopien, Ruanda, Kongo, Sierra Leone oder Liberia auf Dauer anonym, analog den namenlosen Naturgewalten. Westliche Korrespondenten finden sich fast nur in den modernen Metropolen Johannesburg oder Nairobi, von wo aus sie Abstecher in Krisengebiete unternehmen. Ansonsten liegt das reale Afrika im „interest gap“, wie die Angelsachsen sagen, mitten im Vakuum des Publikumsinteresses.

So kann das populäre, imaginäre Afrika sich treu bleiben, sich weitgehend homogen geben und dunkel monochrom. Von den Albert-Schweitzer-Legenden über Humphrey Bogart in „African Queen“ bis zu den „Blood Diamonds“, nach denen Hollywood jetzt sucht, tummeln sich weiterhin weiße Helfer oder Ausbeuter in einer schwarzen Landschaft. Sie bietet einen phantasmatischen Schauplatz für das Unbewusste und seine Gegenspieler: Trieb und Gier (Dschungel, Eros, Fehden, Edelsteine) finden sich im elementaren Konflikt mit dem Über-Ich (Mission, Gerechtigkeit, Solidarität).

Als 2005 der Bestseller „Die weiße Massai“ verfilmt wurde, trudelte die Geschichte der Urlauberin Corinne Hofmann – die auf einer Kenia-Safari das Herz eines so genannten Massai-Kriegers erlegte – in diesen postkolonialen Bilderkosmos hinein. Und wieder wucherte in den Köpfen der Zuschauer und Kritiker der romantische Gegensatz von Zivilisation und Wildnis. Malaria und Männergewalt, Vielehe und düstere Rituale, Angst und unhygienische Verhältnisse im Busch durften nicht fehlen.

Solche Konstellationen finden sich auch in jüngsten Produktionen der Unterhaltungsindustrie. Jetzt entdeckt Hollywood im aktuellen Afrika archaisch-apokalyptische Szenarien. Wenn Ende Januar das Action-Drama „Blood Diamond“ mit Leonardo DiCaprio in der Hauptrolle in Deutschland ins Kino kommt, werden wir DiCaprio als weißen Söldner im Bürgerkrieg des Sierra Leone der neunziger Jahre erleben, der einen „seltenen rosa Rohdiamanten aufspüren will“, einen Edelstein, der sein Leben verändern soll. DiCaprio wird markige Sätze rufen wie: „Der Diamant ist mein Ticket runter von diesem gottverdammten Kontinent.“ Wieder liefert der schwarze Kontinent ultimativen, märchenhaften Rohstoff für westliche Fantasiewelten.

Nach diesem Stoff graben zur Zeit auch die beiden deutschen öffentlichrechtlichen Fernsehanstalten, wenn auch eher bieder. Morgen Abend läuft in der ARD „Mein Traum von Afrika“, nächste Woche folgt im ZDF „Afrika, mon amour“, ein dreiteiliges Melodram aus der Kolonialzeit. Man schreibt das Jahr 1914, und Katharina von Strahlberg, dargestellt von Iris Berben, wird von ihrem Mann vernachlässigt, weil er wie Leonardo DiCaprio nichts anderes im Sinn hat als kostbare Edelsteine, als „die Erschließung von Diamantminen in den deutsch-ostafrikanischen Kolonien“. Auch Katharina eilt nach Afrika, an einen Ort namens Tanga (!) und steht dort einem deutschen Tropenarzt als Krankenschwester zur Seite. Es folgen schicksalhafte Konflikte, Intrigen, Weltkrieg, Krimistimmung und Romanze.

Im Süden also nichts Neues. Unter dem Rubrum „Afrika“ rangieren in den Medien und in der Unterhaltungsindustrie Hunderte diverser Gesellschaften: die des Maghreb, der Sahelzone, des Kongobeckens oder der moderat temperierten Landstriche im Süden, die eher klimatisch gegliedert sind als politisch oder kulturell. Und seit einiger Zeit gehen – zumindest in Amerika – mit dem Hollywood-Afrika etliche Aktionen Prominenter einher, die sogar von Afrikanern begrüßt werden. Etwa die Bildungsprojekte von Bill Gates und Oprah Winfrey oder Bill Clintons Kampagne für billigere HIV-Medikamente. Währenddessen adoptiert am Rand der Afrikaszene das Pop-Chamäleon Madonna einen kleinen David aus Malawi.

Befindet sich eine Gruppe in verunsichernden Wandlungsprozessen, wie derzeit „der Westen“, also die so genannte Erste Welt, hilft es, die eigene Identität am „Anderen“ fester zu konstituieren. Je differenter dabei der Andere, desto besser gelingt die seelische Bastelarbeit. Schwarz und Weiß, Gut und Böse, Arm und Reich: All diese Kategorien sind in unserem imaginären Afrika, in der Dritten Welt noch gut sortiert. Denn die Zweite Welt – mit China, Indien und den islamischen Staaten – bietet uns weniger Übersichtlichkeit. Auf der Suche nach sich selbst überspringt die Erste Welt die Zweite und spiegelt sich in der Dritten.

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