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Kultur: Rolf Hochhuth: Triumph des Willens

Die Aufführung soll der große Triumph eines ehrgeizigen Mannes werden: Rolf Hochhuth inszeniert in seinem eigenen Theater sein eigenes Stück, die "Hebamme". Ein Sieg des Autorentheaters, eine persönliche Genugtuung für einen Moralisten und, noch immer, eine Abrechnung mit dem politischen System.

Die Aufführung soll der große Triumph eines ehrgeizigen Mannes werden: Rolf Hochhuth inszeniert in seinem eigenen Theater sein eigenes Stück, die "Hebamme". Ein Sieg des Autorentheaters, eine persönliche Genugtuung für einen Moralisten und, noch immer, eine Abrechnung mit dem politischen System. Doch fünf Tage vor der Premiere sitzt der Dramatiker dichtgedrängt in einem kleinen Büro des Berliner Ensemble, zum Hof sind es nur ein paar Stufen, und brüllt den Schauspieler Horst Jüssen an: "Du hättest den Kerl rausschmeissen müssen." Der brüllt zurück: "Das mit Kleist war doch ein Witz!" Ursel, Hochhuths Freundin, geht dazwischen. "Aber Rolf", mahnt sie. Jüssen, der Mann aus der Fernsehserie Klimbim, hatte Hochhuth in einem Interview bitter kritisiert. Draußen nieselt es, auch auf den eleganten, durchsichtigen Fahrstuhl, mit dem Claus Peymann, der Intendant dieses Theaters, neuerdings in sein Büro fährt. Doch Peymann ist im Urlaub, und es ist mehr als unwahrscheinlich, dass er zur Premiere der "Hebamme" am Samstagabend erscheinen wird.

Die Schauspieler warten auf der Bühne. Geprobt wird die Gerichtsszene, das letzte Bild des Stücks: Das Bühnenbild ist schlicht, stahlblaue Wände mit einem großer Bundesadler, rechts die Zuschauerstühle, links das Richterpult und ein Tisch für den Staatsanwalt. Das Lübke-Porträt fehlt noch. Einer ruft: "Was, Effenberg, du hast Geburtstag?" und schon schallt ein Marsch durch das Theater. Alle singen "Zum Geburtstag viel Glück" und klatschen. Schließlich erscheint Rolf Hochhuth. "Ich begrüße Sie, meine Damen und Herren. Entschuldigen Sie, dass ich Sie habe warten lassen. Es gab Probleme mit der Organisation". Dabei schwenkt er seine rotlederne Aktentasche. Er trägt Jeans, die blaue Krawatte hängt ihm locker am Hals. Hochhuth, der im nächsten Jahr 70 Jahre alt wird, zerrt den Tisch des Staatsanwalts weiter nach vorn auf dei Bühne und zwar mit solcher Gewalt, dass eine Holz-Verstrebung runterfällt. Dann setzt er sich und verkündet, aus der zweiten Reihe: "Wir sind guter Stimmung und fangen an."

Mit dem "Stellvertreter" war Hochhuth 1963 zu Weltruhm gekommen. Und noch immer reitet dieser Don Quixote des Dokumentartheaters auf der ältlichen Mähre Sozialkritik durchs Land. Nach dem Nazi-Papst kam der Nazi-Politiker ("Juristen", 1979), die faschistische Pharmaindustrie ("Ärztinnen", 1980) und vor wenigen Jahren die ebenso faschistische Treuhandanstalt ("Wessis in Weimar", 1993). Immer wieder wurde Hochhuth verrissen, aufgeführt wird er dennoch. Der Kritiker Benjamin Henrichs schrieb schon vor fast dreißig Jahren über sein dramatisches Talent: "Sprechbar ist diese Sprache nicht; noch weniger ist sie spielbar: Hochhuts Texte lassen sich nur aufsagen, runterreden, sie sind nicht ins Gestische übersetzbar."

Was Hochhuth "Probleme mit der Organisation" nennt, sind: ein funktionsunfähiges Kassenhaus, abgestellte Telefonleitungen, Plakate, die nur auf die nächste Spielzeit verweisen. Karten kann man zur Zeit nicht bestellen. Er sei von Peymann enttäuscht, "unfair" nennt er das Vorgehen und kneift dabei seine kleinen Augen zusammen. Dabei soll es auch nicht bleiben: "Selbstverständlich werde ich durch den Gregor Gysi die Sache anzeigen - das ist glatter Vertragsbruch." Der Vertrag selbst ist eine monströse Konstruktion und die Konsequenz eines genialen Schachzugs des Dramatikers: Anfang der neunziger Jahre war er nach New York gereist und hatte die Alteigentümer überredet, der Ilse-Holzapfel-Stiftung (benannt nach seiner Mutter) die Immobilie am Bertolt-Brecht-Platz zu überlassen. Die Stiftung setze sich schließlich "für mildtätige Zwecke" ein, darunter die Pflege der Hochhuthschen Familiengräber. Die Enkel des Erbauers, schrieb Hochhuth damals in dieser Zeitung, hätten eingewilligt, weil sie "als Juden" wünschten, dass dort einmal im Jahr sein "Stellvertreter" aufgeführt werde. Der Deal düpierte den damaligen Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, seitdem muss das Land Berlin das Brecht-Theater von Rolf Hochhuth mieten. So erklärt sich der Streit: Zehneinhalb Monate Peymann, sechs Wochen Hochhuth, zwei Monomanen unter sich. Jeden Sommer darf Hochhuth auf fast unheimliche Weise wahr machen, was Brecht einst über sich selbst sagte: dass "ich dadurch, dass ich ein Theater leite, meine Stücke aufgeführt bekomme". Bei Brecht haben die Leute noch gelacht.

In diesem Sommer inszeniert also Rolf Hochhuth im Theater am Schiffbauerdamm - wie es für diese Zeit heißt - die "Hebamme". Bezahlt wird das Unternehmen von der Stiftung zur Förderung von Kultur und Zivilisation in München, der Ilse-Holzapfel-Stiftung und der Stiftung Deutsche Klassenlotterie. Die Hauptrolle der alten Hebamme Sophie spielt Regine Lutz. Im Stück ermuntert sie eine Schar von Obdachlosen, eine Bundeswehrkaserne zu besetzen und die eigenen Hütten abzufackeln. Im letzten Bild wird Sophie der Prozess gemacht, in Wirklichkeit sitzen aber bei Hochhuth die üblichen Verdächtigen der Bundesrepublik auf der Anklagebank: Juristen, Politiker, Soldaten, Pfarrer. Dass jemand die "Hebamme" ein sozialkritisches Rührstück nannte, sieht er als Kompliment: "Ich weiß gar nicht, warum eine Komödie nicht auch rührende Züge haben soll." Ohne Sozialkritik, sagt der Autor, sei das Theater am Ende.

Immer wieder setzt sich Hochhuth während der Probe um. Erste Reihe, siebte Reihe, mal in der Mitte, mal am Rand. Er ist schnell erregt, ungeduldig, dann wieder kumpelhaft. Den Text, den er vor so vielen Jahren geschrieben hat, kann er auswendig. "Soll er dir den Text erklären?", fragt er, als Regine Lutz "willentlich" statt "wissentlich" sagt. Sie lehnt dankend ab. Hochhuth ist rastlos und sprunghaft. Zwischendurch begrüßt er Werner, den alten Bühnentechniker, und winkt seiner Freundin Ursel zu. Irgendwann ist wieder von Gysi die Rede und dem blockierten Telefon: "Das ist die schlimmste Sabotage meiner Bemühung, hier auch ein paar Zuschauer zu finden." Hochhuth spricht wie er schreibt: theatralisch.

Zum Ende der Probe fangen die Schauspieler grundlos an, zu lachen. Der Druck, ein Missverständnis, warum auch immer. "Frau Haase, warum lachen sie?", fragt Hochhuth aus dem Zuschauerraum. "Wir haben einen Lachanfall", antwortet Regine Lutz weise, "Du musst sie lachen lassen". Hochhuth versteht das nicht. Er schickt Nicole Haase zur Strafe von der Bühne. Hilflos sagt er: "Ich würde ja gerne mitlachen. Aber was war denn daran so komisch?" Dass Autoren Regie führen sollen, sagt Hochhuth, sei ein Rat von Erwin Piscator: "Man sieht, wieviel von dem, was man schreibt, entbehrlich ist." Es ist wohl auch der Versuch über die Schauspieler an die Information heranzukommen: Wie spricht, was fühlt der Mensch. Wahrscheinlich ahnt Hochhut, dass seine wütenden, anklägerischen Stücken ohne echtes Leben sind. "Hochhuth hat zu Menschen", schrieb Benjamin Henrichs nach der Uraufführung der "Hebamme" 1972, "nur zwei Beziehungen: den Hass und die Verklärung. Folglich hat er auch nur zwei dramatische Ausdrucksmittel: die Denunziation und den Kitsch."

"Warum waren Sie nicht an meiner Seite?" schnauzt Hochhuth seine Regieassistentin an. "Ich hatte Anmerkungen." "Das ist ja albern", sagt die daraufhin und verläßt den Saal. Den Hochhut, das scheinen alle hier gelernt zu haben, darf man ignorieren, ihn einfach machen lassen. Ein anderer hat schon vor der Premiere zu Protokoll gegeben, nie mehr mit ihm arbeiten zu wollen. Was die Truppe noch zusammenhält, ist die Autorität seiner Macht oder - wie von manchen unterstellt wird - schlicht das Geld. Von Respekt, oder gar Lust, ist nicht viel zu spüren. Hochhuth scheint das nicht zu stören. Er ist nicht nachtragend, er lebt schlicht in einer Welt, in der sich Regisseur und Autor genug sind. Er ist längst sein eigenes ästhetisches System. Nur mit "kleinsten Kleinigkeiten", wie er sich ausdrückt, "behelligt" er nach der Probe seine Schauspieler. Dass das letzte Bild sieben Minuten kürzer dauert als noch vor einer Woche, stellt ihn endgültig zufrieden: "Genau so machen wir es." Das Provisorische und Handgestrickte dieser Inszenierung lässt ihn kalt. Er weiß wohl, dass der wahre Triumph allein darin liegt, dass sein Stück in diesem Theater auf die Bühne kommt. Und diesen Triumph kann ihm, trotz aller widrigen Umstände, keiner nehmen.

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