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Rollenbilder: Mädchen sollen harmlose Prinzessinnen sein

Sei süß, sei lieb, sei rosa: Prinzessin Lillifee & Co. zementieren die Rollenbilder von gestern. In ihrem Erfolg zeigt sich ein neuer Konservatismus.

Ich seh Rosa! Den Eindruck bekommen heutzutage alle, die die Spielzeugabteilung eines Kaufhauses besuchen. Die Regale ächzen unter rosa Spielzeug und Puppen für die kleinen Mädchen: Hello Kitty, Barbie, Trixibelle und die Prinzessinnen des Disney-Imperiums. Über allen thront Lillifee, Prinzessin aus dem Feenreich mit dem programmatischen Namen Rosarien. Auf dem Einhorn Rosalie schwebt sie durch ihr Zauberland, begleitet vom Schweinchen Pupsi.

Die Figuren aus der Lillifee-Reihe wurden ursprünglich für eine Buchserie des deutschen Coppenrath-Verlages geschaffen. Doch längst sind die Bücher zweitrangig geworden. Wohl kaum eine Kinderfigur hat es geschafft, das Merchandising-Geschäft so zu perfektionieren wie Lillifee. Sie begleitet Kinder durch den ganzen Tag. Mädchen können Lillifee-DVDs gucken, während sie im Lillifee-Kleid auf ihrem Lillifee-Sofa sitzen, mit Lillifee-Glitzerschrift verzierte Törtchen naschen, bis sie ihre Zähne mit Lillifee-Zahnpasta auf der Lillifee-Zahnbürste putzen und im Lillifee-Bett schlafen gehen. Natürlich hat es Lillifee auch ins Kino geschafft. Der am Donnerstag startende Film „Prinzessin Lillifee und das kleine Einhorn“ ist schon das zweite Lillifee-Leinwandabenteuer.

Na und, könnte man jetzt sagen. Dürfen kleine Mädchen nicht auch einmal im Feenzauber schwelgen? Die Handlung scheint auf den ersten Blick nicht weiter der Rede wert, geht es doch darum, Lillifee bei der Verwirklichung ihres Lebensmottos zu sehen: „In Rosarot ist die Welt viel hübscher.“ Doch wer einmal einen Lillifee-Film gesehen hat, beginnt sich zu gruseln. Denn die zentrale Botschaft, die die Prinzessin verbreitet, lautet: Mädchen frisieren sich gerne und achten überhaupt auf ihr Aussehen. Mädchen backen, basteln und organisieren Feste. Mädchen sorgen sich um Harmonie. Kurzum: Das perfekte Mädchen ist angepasst und macht es allen recht. Gegen Lillifee waren die Figuren von Enid Blyton Feministinnen.

Fallen wir nach Jahrzehnten der Emanzipationsbewegungen bei unseren Kindern wieder in die traditionellen Rollenmuster zurück? Lesen Sie weiter.

Fallen wir nach Jahrzehnten der Emanzipationsbewegungen bei unseren Kindern wieder in die traditionellen Rollenmuster zurück?

Der Eindruck drängt sich auf, dass Lillifee die prominenteste Vertreterin einer großen Bewegung hin zu neuer alter Eindeutigkeit ist. Zwischentöne sind nicht mehr erlaubt, was offenbar in allen gesellschaftlichen Schichten gilt. Im Internetforum der sich eher an Akademiker richtenden Zeitschrift „Eltern“ schildert eine hochschwangere Frau, dass ihre Freunde „befremdet“ reagieren, als sie das Zimmer für ihre Tochter maigrün streicht: „So langsam bin ich total verunsichert. Wo steht eigentlich, dass man ein Mädchenzimmer immer rosa streichen muss?“

Wer Kinderfotos aus den Siebzigern mit Kinderfotos von heute vergleicht, mag auf jeden Fall kaum glauben, wie sehr sich die Zeiten geändert haben. Damals konnte man oft kaum sagen, wer da Mädchen und wer Junge ist. Alle trugen die gleichen Pullis in Orange oder Braun. Heute springen die Geschlechterunterschiede förmlich ins Auge, was auch an der sexualisierten Kleidung für die Mädchen liegt. Dreijährige hüpfen im Bikini am Strand herum, die Kleinsten tragen taillierte Shirts und Röhrenhosen, die knapp auf der Hüfte sitzen. Kitakinder identifizieren mühelos „Mädchenjeans“. Sex sells auch bei ansonsten harmlosen Prinzessinnen. An Lillifee verstören die Kürze ihrer Kleider und die Kussform ihres Mundes. Sie steht so am Anfang der Entwicklung, die zu Teenie-Stars wie Miley Cyrus oder den Kandidatinnen von „Germany’s Next Top Model“ führt. Es passt ins Bild, dass die „Vogue“ jüngst eine Zehnjährige als Vamp in einem tief ausgeschnittenen goldenen Kleid und auf High Heels posieren ließ.

Von einem „neuen Vormarsch der Puppen“ spricht die englische Publizistin Natasha Walter in ihrem vor kurzem auf Deutsch erschienen Buch „Living Dolls“. Walter hat eine Tochter, geboren 2001, und einen Sohn, geboren 2009. Sie habe früher gedacht, kleine Mädchen dürften ruhig Märchenprinzessinnen sein, wenn sie es wünschten. Mit den Emanzipationserfolgen ihrer eigenen Müttergeneration könne Weiblichkeit wieder als Alternative betrachtet werden, hatte sie geglaubt. Doch die Alternative habe sich in eine Falle verwandelt: „Die Freiheit, gelegentlich einen Tupfer Rosa zu tragen, hat sich fast in das Diktat verkehrt, in einem Meer von Rosa zu ertrinken.“ Walter diagnostiziert eine Rückkehr zu „ mittelalterlichen Werten“, die wir unseren Kindern überhelfen: Prinzessinnen gegen Kämpfer.

Zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt Rosa noch als Jungen-Farbe. Erfahren Sie mehr auf Seite 3.

Denn auch das Bild der Jungen folgt wieder alten Mustern, selbst wenn ihre Väter zunehmend Windeln wechseln. Prototypen sind hier Ritter oder Bob der Baumeister, der baggert, klempnert, repariert. Begleitet wird das von „Jungs sollen wieder Jungs sein“-Rufen, die den männlichen Nachwuchs mehr raufen sehen wollen. Die Kernthese dieser Kampagne: „Die Jungs“ geraten in der Schule ins Hintertreffen, weil die Lehrerinnenschaft ihre vermeintlich natürlichen männlichen Wesenszüge nicht angemessen berücksichtigt. Die Argumentation verfängt bei vielen. Dabei ist sie verlogen. „Die Jungs“ sind gar nicht die Verlierer. Die Verlierer sind Jungs und Mädchen, denn beiden Geschlechtern werden strikte Verhaltensmuster vorgegeben, die ihre individuellen Entfaltungsmöglichkeiten beschränken.

Nun ist die Erwachsenenwelt viel differenzierter, Frauen werden Ingenieurinnen oder Bundeskanzlerin. Dass Erwachsene Kindern dennoch eine rosa-blaue Eindeutigkeit verschreiben, wirkt eskapistisch. Darin spiegelt sich der Wunsch der Erwachsenen, aus dem eigenen, oft als Überforderung empfunden Alltag zu flüchten, in dem Frauen wie Männer gleichzeitig Job, Kinder und Beziehungen zu bewältigen haben.

Kinder wissen, was Erwachsene von ihnen als Mädchen oder als Junge erwarten. Das haben Entwicklungspsychologen oft festgestellt. Der rosa-blaue Wahnsinn wirkt früh, wie ein Vergleich der Berliner Pädagogik-Professorin Renate Valtin von hunderten Grundschulaufsätzen von 1980 und 2010 nahelegt. Heute heben Mädchen mehr als vor 30 Jahren in ihren Selbstbeschreibungen Attribute hervor, die mit Schönheit zusammenhängen: „Ich bin gern ein Mädchen, weil ich mich schminken kann“, „weil ich schöne Sachen anziehen kann“. Ihr Selbstwertgefühl hängt stärker von ihrem Aussehen ab. Die Folge: Sie haben weniger Vertrauen in ihre Leistungsfähigkeit als Jungen, selbst wenn sie bessere Noten bekommen.

Studien wie diese dringen öffentlich kaum mehr durch. Zu sehr stehen sie gegen den postemanzipatorischen Zeitgeist. Zu sehr stehen sie gegen Studien, in denen Neuro- und Verhaltensforscher angeblich immer neue Beweise finden, dass uns das „Frauen sind von der Venus, Männer sind vom Mars“-Prinzip in den Genen steckt. Dass die Ergebnisse oft gar nicht zu halten sind, wie etwa die Neurobiologin Lise Eliot nachgewiesen hat: geschenkt.

Ironischerweise kann man gerade am Beispiel der Farbe Rosa zeigen, dass die Codierung als Mädchenfarbe ein kulturelles, nicht naturgegebenes Phänomen ist. Noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts galt Rosa als Farbe für Jungen. Als stärkere Farbe wurde es da gedeutet, während das „feinere“ Blau hübscher für Mädchen schien. Als Prinzessin Astrid von Belgien 1927 zur Enttäuschung ihres Landes eine Tochter gebar, schrieb das Time-Magazine: „Die Wiege war optimistischerweise rosa gestrichen, der Farbe für den Jungen.“ Erst in den Dreißigern interpretierte die US-Spielzeugindustrie die Farben um.

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