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Rom: Auf dem Bauch durch die Cloaca Maxima

Schätze, Schutt und Löcher – der Untergrund Roms gilt als größtes archäologisches Museum der Welt.

Schluss. Hier geht’s nicht weiter. Immer enger ist der Stollen geworden in der letzten halben Stunde. Am Anfang sind noch zwei nebeneinander gegangen, dann nur noch einer, und der steckt jetzt auch fest. Sechshundert Meter hat er sich schon durch den Berg getastet, aber immer tiefer hat er sich bücken müssen, weil der Tunnel von Meter zu Meter niedriger geworden ist. Finster ist es; eine Luft zum Schneiden. Von hinten drängen die anderen nach, vorne verliert sich das Licht der Stirnlampe in einem schwarzen Loch. „Keine Angst“, haben sie draußen noch gewitzelt, „wo du durchkommst, kommst du durch“. Und wo nicht? Keine Antwort.

Basiskurs in Stadthöhlenforschung. Ihren ersten Praxistag haben die jungen Leute von „Roma Sotterranea“ vor die Stadt gelegt. In den Albaner Bergen, wo der Papst seinen Sommer verbringt, wollen sie testen, ob die Teilnehmer den Bedingungen im Untergrund auch gewachsen sind. Natürlich auch, um ihnen etwas beizubringen in diesem Stollen, den irgendwelche Völker – Römer? Etrusker? – vor 2600 Jahren quer durch die Lava und den Basalt des Kraterrandes getrieben haben, um den Wasserspiegel des Sees zu regulieren.

„Da“, sagt Führer Ivano Stranieri und zeigt auf ein paar faustgroße Nischen im Fels, „da zum Beispiel haben die Bergarbeiter ihre Öllämpchen aufgestellt. Und dort, wenn ihr genau hinschaut, seht ihr noch die Spuren der Pickel von damals. An der Schlagrichtung könnt ihr sogar Links- und Rechtshänder unterscheiden.“

„Roma Sotterranea“, das „Unterirdische Rom“, gibt es als „Kulturvereinigung“ seit nunmehr zehn Jahren. Gegründet haben sie Michele Concas und Adriano Morabito, Steuereintreiber beim Finanzamt der eine, Immobilienverwalter der andere – beide vereint durch Leidenschaft für Höhlen und Neugier für den römischen Untergrund. Archäologen, sagt Concas, „graben von oben. Das kostet viel Geld, das kann man gerade in einer dicht besiedelten Stadt nicht überall machen, und dann die ganzen Normen für die Sicherheit an der Arbeitsstelle … Kurz: Archäologen gehen nicht in den Untergrund. Wir dagegen sind ausgebildete Höhlenforscher. Wir haben die Ausrüstung, die Technik, das kleine Roboterfahrzeug notfalls; wir wissen, wie man sich da unten zu bewegen hat. Deshalb haben wir den Denkmalschutzbehörden angeboten, dass wir einspringen, wenn sie mal Sachen von unten anschauen müssen. Wir haben versprochen, dass wir das kostenlos machen. Und da das Wort ,gratis‘ bei Behörden immer gut ankommt …“

Basiskurs in Stadthöhlenforschung. Lektion in Theorie. Standesgemäß hat „Roma Sotterranea“ seinen Sitz direkt an der antiken Via Appia, der „Königin der Straßen“. Hohlräume im römischen Untergrund? Na klar: Aquädukte, Heiligtümer, hunderte von Kilometern an Katakomben, vor allem aber die in der Regel nur halb zerstörten Bauwerke von einst, auf deren Schutt Rom immer wieder neue gesetzt hat. „Da ist in den 2800 Jahren ununterbrochener Siedlungsgeschichte, für die Rom ein Unikum ist, eine teils mehr als zwanzig Meter dicke Schicht zustande gekommen“, sagt Concas. Und dann sind da noch die Tuffsteinbrüche unter den berühmten sieben Hügeln, aus denen Rom immer schon Baumaterial für Häuser und Palazzi geschürft hat – sorglos riesige Kavernen produzierend, die heute nicht nur ein theoretisches Stabilitätsrisiko darstellen, sondern immer wieder, ganz praktisch und ohne Vorwarnung, in sich zusammenkrachen. Zweihundert „Löcher“ hat Roma Sotterranea mittlerweile auf seiner Agenda. „Wenn uns wieder irgendjemand eines meldet, schauen wir die Sache an; mal ist da gar nix, mal entdecken wir ein Meer von Dingen“, sagt Michele Concas.

Basiskurs in Stadthöhlenforschung. Praktische Lektion: Vermessungstechnik. Ort: ein Bergwerk für Pozzuolan, aus dem die antiken Römer den „Zement“ für ihre Betonbauten holten. „Passt auf“, hat man den Schülern als Grundregel für alle unterirdischen Schritte mitgegeben: „Ihr stoßt womöglich auf Räume, die seit 2000 Jahren kein Mensch mehr betreten hat. Und wenn der erste nicht acht gibt, sieht schon der zweite die womöglich wichtigsten Sachen nicht mehr.“ Und jetzt sind sie in Dreiergruppen unterwegs, mit Overall und Helm und Stirnlampe, setzen Fixpunkte, messen Entfernungen, Höhen und Deckenschrägen, üben Dreiecksrechnung und den Umgang mit der Laser-Wasserwaage.

Dann zeichnen sie alles haarklein auf, so wie es die Behörden und die Archäologieprofessoren sehen wollen. Fast alle Jobs bleiben, wie immer schon, unbezahlt. So legen ehrenamtliche Vereinsmitglieder derzeit, seit Monaten und beinahe jedes freie Wochenende, die Untergründe einer römischen Landvilla frei. Andere haben mitten in Rom eine unterirdische Fahrstraße aus der Kaiserzeit aufgespürt und vermessen. Wieder andere – „die sind schon ein bisschen verrückt, aber wenigstens gegen alle Krankheiten dieser Welt geimpft“, sagt Ivano Stranieri – waten und robben in ihrer Freizeit seit fünf Jahren durch die Cloaca Maxima, jene 2600 Jahre alte römische Kanalisation, die noch immer in Funktion ist, über deren Verästelungen und System aber „die Archäologen bisher häufig nur fantasiert haben“.

Den größten Fisch indes hat Roma Sotterranea jetzt, beim Bau der dritten römischen U-Bahn, an Land gezogen. Da haben Höhlenforscher im Auftrag der Metro-Gesellschaft auf einem großen Teil der geplanten Innenstadttrasse alle unterirdischen Hohlräume vermessen, kartiert und – wie Michele Concas sagt – „in 3-D-Technik gefilmt“. Eineinhalb Jahre hat das gedauert, aber dieser Vollzeit-Auftrag war bezahlt, „und wir haben uns gefreut, mal einigen jungen Leuten von der Uni einen Arbeitsplatz geben zu können.“

Basiskurs in Stadthöhlenforschung. Praktische Lektion: Grillparty. Woher nehmen die etwa 50 aktiven Mitglieder eigentlich die Zeit für ihre zahlreichen Unternehmungen? „Wir haben schon alle unseren normalen Beruf. Aber Roma Sotterranea, als wir’s gegründet haben, das war Enthusiasmus pur, Neugier, Entdeckergeist, eine Art Utopie.“ Es ist daneben – nicht nur für den „harten Kern“ – längst auch ein gesellschaftliches Vergnügen. In Crustumerium beispielsweise, dieser rätselhaften, vorrömischen Stadt am Nordrand der Metropole, wartet auf die Teilnehmer des Basiskurses nicht nur ein geheimnisvoller unterirdischer Flusslauf, da glühen auch schon die Holzkohlen. Mittags ist’s, heiß, und weich das Gras der ungemähten Wiesen. Die antike Wassergrotte im Untergrund? Nun ja, heute kann sie mal warten.

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