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Die amerikanische Schriftstellerin Dana Spiotta, 48.

© Stewart Cairns/The New York Time

Roman "Glorreiche Tage" von Dana Spiotta: Von der Krise in der Freiheit

Verschwinden ist Pop: Die amerikanische Schriftstellerin Dana Spiotta erzählt in ihrem klugen Mittellebenskrisenroman "Glorreiche Tage" über das Älterwerden im Allgemeinen und die Erinnerung im Besonderen.

Schön ist sie, die deutsche Verpackung dieses jüngsten Romans der US-Schriftstellerin Dana Spiotta: „Glorreiche Tage“ heißt der Roman (im Original von 2011 „Stone Arabia“). Das spielt auf einen Song von Bruce Springsteen an, in dem es um gute alte Zeiten und die Vergänglichkeit des Ruhms geht. Vom Cover leuchten die Sterne und Streifen der US-Flagge vor rot-blauem Hintergrund, dazwischen schiebt sich in Weiß der Hals einer Gitarre. Und auf dem Cover versichert Ex-Sonic-Youth-Mastermind Thurston Moore: „Purer Rock’ n’ Roll“.

Diese Verpackung führt aber auf Abwege. Ein schneller, schmutziger Pop- oder Rock’n’Roll-Roman ist „Glorreiche Tage“ mitnichten, auch das Springsteen-Bild ist schief. Immerhin: Eine der Hauptfiguren steht der Popkultur nahe, der alternde kalifornische Musiker Nik Wrong; seine Künstlerbiografie ist Teil dieses komplexen Romans. Nur hat diese Biografie den Haken, auch auf der Erzählebene eine zumeist fiktive zu sein. Wrong ist seit 1973 nicht mehr öffentlich in Erscheinung getreten. Nach der Auflösung seiner Bands Demonics und Fakes hat er nurmehr im stillen Kämmerlein Musik produziert, etwa die 20-teilige Konzept-CD-Reihe „The Ontology of Worth“.

Freiheit schützt nicht vor dem Alter

Überdies schreibt Wrong, dieser Name ist natürlich wie der Bandname Fakes Programm, seine ganz eigenen „Chroniken“, mit deren Hilfe er seine Musik, seine Alben, die (natürlich von ihm selbst verfassten) Besprechungen und Interviews dazu dokumentiert. Eine gefakte Biografie, ein gefakter Popstar, eine Art Autofiktion. „Stell dir vor“, so Nik über sein Musikerleben fern der Öffentlichkeit „von der Sinnproduktion befreit und nur dem reinen Sound verpflichtet zu sein. Stell dir vor, mit Erklärungen, Fehlinterpretationen, Kommerzialiät und Rezeption nichts mehr am Hut zu haben. (...). Stell dir absolute Freiheit vor.“

Nur schützt diese Freiheit nicht vor dem Alter: Nik ist Trinker und Kettenraucher, mithin körperlich ziemlich kaputt; auch der Tod eines seiner alten Demonics-Mitstreiter macht ihm zu schaffen. Kurz nach seinem 50. Geburtstag im Jahr 2004 verschwindet er spurlos. Das bringt seine Schwester Denise auf den Plan, die Erzählerin dieses Romans. Sie schreibt Niks Geschichte und zieht dafür die Chroniken zu Rate. Vor allem aber berichtet sie von den paar Monaten vor Niks Verschwinden. „Anti-Chroniken“ nennt Denise diese Berichte, manchmal auch „Hüllenbrüche“, weil sie darin ihre „dünnhäutigsten Momente“ dokumentiert.

Erinnerung verzerrt Erinnerung

Das wirkt zunächst etwas verwirrend, zumal Denise gleich zu Beginn aus Niks Chroniken einen Brief von ihr an ihre Tochter Ada zitiert, einen Fake-Brief also, eine „faszininierend-peinliche Kopie“ ihrer Person, wie sie meint. Man fragt sich: Wer steht hier im Mittelpunkt? Denn Denise erzählt nicht nur von der Mittelschichtsvergangenheit und -gegenwart der Geschwister, sondern auch davon, als Frau in die Jahre zu kommen: mit erwachsener Tochter, dementer Mutter, einem seltsamen Lover und trotz oder gerade wegen eines Eigenheims auch mit einem Haufen Schulden. Ein Durchschnittsschicksal in den USA der nuller Jahre, das nicht mal durch den Bruder und seine Musik glamouröser wird, so konsequent dieser sich dem Pop-Zirkus verweigert. Kein Wunder, dass Denise vor diesem Hintergrund des Öfteren darüber sinniert, wie sich die Erinnerung zu Vergangenheit und Gegenwart und dem Erzählen darüber verhält: „Es ist nicht nur so, dass Emotionen die Erinnerung verzerren. Auch die Erinnerung verzerrt die Erinnerung, falls das irgendwie nachvollziehbar ist.“

Cover von Dana Spiottas "Glorreiche Tage".
Cover von Dana Spiottas "Glorreiche Tage".

© promo

Dana Spiotta hat einen klugen Mittellebenskrisenroman geschrieben

Nichts könnte demnach weiter entfernt sein vom „puren Rock’n’ Roll“, diesem fiesen Gegenwartsmonster. „Glorreiche Tage“ ist alles andere als das: ein kleiner, schöner Familienroman, ein kluger Mittellebenskrisenroman, eine mitunter einen Tick zu trickreich geratene Reflexion über das Älterwerden im Allgemeinen und die Erinnerung im Besonderen. Und, im Fall von Nik, ein Roman über das Konstruieren von Identitäten, über ein Versteckspiel.

Dieses erinnert an Spiottas Roman „Eat The Document“ über die Gegenkulturen der sechziger und neunziger Jahre, ist in „Glorreiche Tage“ aber ganz und gar freiwillig. Und hat so eine gewisse Pop-Immanenz. Man denke an Musikertypen wie Robert Pollard, Bill Callahan oder Daniel Johnston, die ähnlich wie Nik Wrong unermüdlich weitermachen in ihren Garagen und Wohnzimmern, allerdings nicht ganz von der Bildfläche verschwinden wollen. Und man denke vor allem an die realen, berühmten Verschwinder des Pops, an Syd Barrett oder Richey James etwa; ganz zu schweigen von den großen, früh verstorbenen Musikern, die nach ihrem Tod noch viel größer wurden. Nik Wrong ist da auf einem guten Weg.

Dana Spiotta:  Glorreiche Tage. Roman. Aus dem amerikanischen Englisch von Clara Drechsler und Harald Hellmann. Berlin Verlag, Berlin 2014. 254 Seiten, 19, 99 €.

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