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Polanski 2013 beim Filmfest in Cannes, wo er sein jüngstes Werk "Venus im Pelz" präsentierte.

© AFP

Roman Polanski: Nach politischen Protesten kommt Polanski nicht zum Filmfest Locarno

Hintergrund ist die Festnahme des Filmemachers in der Schweiz 2009 und der Auslieferungsantrag der USA wegen einer Pädophilie-Anklage in den 70er Jahren.

Der Filmemacher Roman Polanski hat dem Filmfestival von Locarno eine Absage erteilt. Er sollte dort mit einem Ehrenpreis für sein Lebenswerk ausgezeichnet werden und ein Seminar geben, schickte am Dienstag jedoch folgende Mitteilung: „Liebe Freunde, es tut mir sehr leid, Euch mitteilen zu müssen, dass ich meine Teilnahme absagen muss. Ich habe festgestellt, dass mein geplantes Erscheinen bei gewissen Personen, deren Haltung ich respektiere, zu Spannungen und Kontroversen führt. Ich bedaure, dass ich Euch damit enttäuschen muss.“ Die Festivalleitung respektiert Polanskis Entscheidung mit großem Bedauern, spricht von einem Rückschlag und von „wiederholten inakzeptablen Einmischungen in die künstlerischen Entscheidungen des Festivals“. Man bedaure sehr, dass das Publikum nun auf eine wichtige kulturelle Bereicherung verzichten müsse und fühle sich auch weiterhin der künstlerischen Freiheit verpflichtet. Das Festival habe dieses Grundprinzip „immer gegen Einmischung und Druck verteidigt und wird das auch in Zukunft mit aller Entschiedenheit tun“, heißt es in einer Mitteilung der Festivalleitung.

Der christdemokratische Politiker Dadò hält die Einladung für nicht tolerierbar

Im Vorfeld des 66. Filmfests Locarno hatte es Kritik an der Einladung Polanskis gegeben, der 2009 ebenfalls in der Schweiz auf dem Weg zum Zürcher Filmfestival verhaftet worden war – wegen eines alten US-Haftbefehls und eines Auslieferungsabkommens der Schweiz mit Amerika. Es ist eine bis heute nicht restlos geklärte Geschichte. Roman Polanski war Ende 1977 in den USA angeklagt worden, weil er Sex mit der 13-jährigen Samantha Gailey gehabt haben soll, im Haus von Jack Nicholson. Polanski saß damals 42 Tage in Untersuchungshaft, gab das Vergehen zu, setzte sich vor dem Prozess nach Europa ab und lebt seitdem mit französischen (und polnischem) Pass in Frankreich. Es soll damals zu unzulässigen Absprachen zwischen den Parteien gekommen sein, in einem Showprozess mit einem geltungssüchtigen Richter. Dies legt jedenfalls der Dokumentarfilm „Wanted and Desired“ von 2008 nahe. 1978 wurde ein Haftbefehl gegen ihn ausgestellt; seitdem kann Polanski zwar unbehelligt in EU-Staaten reisen (die keine Auslieferungsabkommen mit den USA unterhalten), aber nicht in die USA. So konnte er 2003 den Oscar für sein NS-Drama „Der Pianist“ nicht persönlich in Hollywood entgegen nehmen, aber 2013 unbehelligt in Cannes auftreten, anlässlich der Premiere seines jüngsten Films "Venus im Pelz".

Das Opfer selbst, die in Hawaii lebende Samantha Gailey, fordert seit vielen Jahren die Einstellung des Missbrauchsverfahrens; 2009 war es gleichwohl in Los Angeles wieder aufgenommen worden.

Festivalpräsident Solari: Polanski darf nicht zur Symbolfigur für das Problem des Kindesmissbrauchs werden

Die Schweizer Episode von 2009 war für Polanski, den heute 80-jährigen Regisseur von Albtraum- und Genreklassikern wie „Ekel“, „Tanz der Vampire“, „Rosemaries Baby“ und „Chinatown“, glimpflich ausgegangen. Es gab internationale Proteste, das Eidgenössische Justizdepartement konnte keine Schuld feststellen und setzte ihn auf freien Fuß.
Auslöser der jetzigen Aufregung in Locarno ist die harsche Kritik der Tessiner Christdemokraten an der Einladung. Fiorenzo Dadò, Chef der CVP-Fraktion im Kantonsparlament, wollte einen Auftritt Polanskisin der Schweiz trotz dessen künstlerischer Verdienste nicht tolerieren. Es sei dem Regisseur gelungen, sich „kleinmütig dem Gesetz und dem Gefängnis dank seinem Geld und mächtigen Freunden zu entziehen“, schrieb er in einem Offenen Brief. Polanski verkörpere die Ungerechtigkeit der Justiz. Er müsse entweder ausgeladen werden oder sich auf dem Festival bei allen Pädophilie-Opfern öffentlich entschuldigen.
Festivalpräsident Marco Solari hatte dagegen allen Opfern pädophiler Übergriffe sein „tiefstes Mitgefühl“ ausgesprochen, aber gleichzeitig darum gebeten, Polanski und Pädophilie als „zwei gesonderte Themen“ anzusehen. Wegen einer einzelnen Episode dürfe der Filmemacher nicht zur Symbolfigur für das allgemeine Problem des Kindsmissbrauchs abgestempelt werden, sagte Solari der „Neuen Zürcher Zeitung“. Der künstlerische Leiter Carlo Chatrian hofft wiederum, dass die Absage „nicht wie ein Sieg für jene klingt, die das Festival einschränken wollen“. Chatrian wünscht sich das Filmfest, das am Sonnabend mit der Verleihung der Leoparden zu Ende geht, als „Plattform für Gastfreundschaft und Freiheit“. Chatrians vollständige Erklärung findet sich als Videobotschaft auf der Festivalwebsite: www.pardolive.ch.

Polanski, der Verfolgte, der Entkommene, der Gejagte: 1933 in Frankreich geboren, wanderte die jüdische Familie nach Polen aus, die Mutter stirbt in Auschwitz, der Sohn wird mit 15 beinahe erschlagen. Polanski lernte Regie in Lodz, ging nach Amerika und stellte sich mit der Kamera seinen Traumata. Kurz nach der Premiere von „Rosemaries Baby“ (1968) wurde seine hochschwangere zweite Frau, die Schauspielerin Sharon Tate, von Mitgliedern der Sekte Charles Mansons ermordet. „So weit ich zurückdenken kann, ist in meinem Leben die Grenze zwischen Fantasie und Wirklichkeit hoffnungslos verwischt gewesen“: Diesen Eingangssatz seiner Autobiografie hat Polanski selbst als Schlüssel zu seinem Dasein bezeichnet.

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