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Übende Bundeswehrsoldaten: Auch in Isabelle Lehns Roman wird Krieg simuliert.

© Stefan Sauer/ dpa

Roman von Isabelle Lehn: Afghanistan in der Oberpfalz

Gespielter Krieg kann zu echten Traumata führen: Isabelle Lehns Roman "Binde zwei Vögel zusammen" ist das kunstvolle Protokoll einer Belastungsstörung.

Krieg spielen. Nichts anderes tun die Männer und Frauen im Dorf. Das Dorf soll in der Nähe von Masar-i-Scharif sein, liegt aber in der Oberpfalz. Macht nichts, denn sobald die Simulation mit Bundeswehr, Zivilisten und Taliban anläuft, wird aus der bayerischen Idylle harte afghanische Realität.

Mit diesem Dorf in der Oberpfalz hat die 1979 in Bonn geborene Autorin Isabelle Lehn einen begnadet ergiebigen Ausgangspunkt für ihren Debütroman gefunden. „Binde zwei Vögel zusammen“ erzählt von einem Trainingscamp, in dem Soldaten den Ernstfall proben. Solche Orte gibt es wirklich, und Lehn nutzt ihr poetisches wie politisches Potenzial: Albert hat eine Rolle als Cafébesitzer Aladdin ergattert, er will seine Journalistenkarriere mit einer Reportage ankurbeln. Doch Albert ist auch ein sensibler Feingeist, der die fremde Identität nicht abstreifen kann. Nach sechs Wochen im Camp begleitet sie ihn in den Alltag, und rasch zeigt sich, dass selbst gespielter Krieg zu echten Traumata führt.

Rückblick, Gegenwart und Wahnvorstellung wechseln sich ab

„Ich drehe den Schlüssel um, bloß, weil es möglich ist, und als Erstes nehme ich mir Aladdins Bart ab, um nicht länger wie sein Spiegelbild auszusehen“ – Isabelle Lehn lässt Albert in mühsam gefasster Sprache von seiner Rückkehr erzählen. Der ahnt, dass es mit einer Rasur nicht getan ist, weil „jeden Morgen (…) wieder ein Schatten auf meinem Gesicht liegen wird, als wollte Aladdin noch einmal Besitz von mir nehmen“. In konzentrierten, absatzlosen Passagen wechseln sich Rückblick, Gegenwart und beginnende Wahnvorstellung ab. Und fließen ineinander: Der Text bleibt nah an Alberts Wahrnehmung und beschreibt zugleich klar seine Dissoziation. Bis er sein ganzes Umfeld verschreckt hat und immer noch von Taliban-Überfällen träumt. Da hat sich Aladdin schon selbstständig gemacht und bittet die Bundesregierung in einer „Asylbewerbung“ um „unbefristeten Aufenthaltsstatus“: „Über ein persönliches Gespräch freue ich mich sehr.“

Eine handfestere Hauptfigur wäre die bessere Wahl gewesen

Das schräge Bewerbungsschreiben ist Höhepunkt einer konsequent vorangetriebenen Persönlichkeitsspaltung. In Albert treffen sich Orient und Okzident, stellvertretend für Konflikte, die den Westen medial wie durch Flüchtlingsströme erreichen. Als Sinnbild für die Situation, wie es der Klappentext oder die Klagenfurter Jury in ihrer Bewertung nach Lehns Lesung aus dem Roman beim diesjährigen Bachmann-Preislesen nahelegen, taugt „Binde zwei Vögel zusammen“ trotzdem nur bedingt. Albert ist keine Folie der Gesellschaft: Er lebt von vornherein zu prekär, ist von vornherein zu labil. Obwohl ihm seine Schöpferin auf diese Weise ein paar zerbrechlich-schöne Sätze in den Mund legen kann, wäre eine handfestere Hauptfigur die bessere Wahl gewesen.

Das kunstvolle Protokoll einer Belastungsstörung gelingt Lehn allemal, verwoben mit Motiven gar nicht nicht mehr so fernöstlicher Kultur. Nicht zuletzt rührt der Titel von einem Sprichwort aus der islamischen Mystik, das Alberts/Aladdins Fall beschreibt: „Binde zwei Vögel zusammen“, heißt es darin, „sie werden nicht fliegen können, obwohl sie nun vier Flügel haben.“

Isabelle Lehn: Binde zwei Vögel zusammen. Roman. Eichborn Verlag, Köln 2016. 190 Seiten, 18 €.

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