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Fälscher im Roggen. Der 1977 in Erlangen geborene Schriftsteller Thomas Klupp.

© Andreas Hornoff/Berlin Verlag

Roman von Thomas Klupp: Lügen lieben

Das Leben in der oberpfälzischen Provinz als einziger Fake: Thomas Klupps famos witziger Roman „Wie ich fälschte, log und Gutes tat“.

Mit den Grafenwöhrer Tennisspielern stimmt was nicht. Sie sind extrem unterwürfig, allen voran ihr Trainer, haben die „Schleimregler bis zum Anschlag hochgedreht“, bemerkt der 15-jährige Benedikt Jäger, Held von Thomas Klupps neuem Roman „Wie ich fälschte, log und Gutes tat“. Doch müssen Benedikt und sein hoch favorisiertes Weidener Team nach und nach feststellen, dass die Grafenwöhrer sie beschummeln, ja, sie mit allen Mitteln ablinken wollen, um das Spiel zu gewinnen. Vom Spucken auf dem Platz über das übertriebene Gejohle einer Cheerleadergruppe und dem unsportlichen Beifall für die Fehler des Gegners bis hin zu falschen Schiedsrichterentscheidungen.

Irgendwie kommen Jäger und die Seinen aus der Grafenwöhrer Hölle raus, gleichermaßen ungeschlagen (Spiel gewonnen) wie geschlagen (es gab Prügeleien), und kehren in ihren Hometurf zurück: „Ins grandiose, zivilisierte Weiden. Weiden, echt eine super Stadt!“ Wobei an dieser Stelle wohl die Frage gestellt werden muss: Schon mal von Weiden gehört? So heißt ein 40 000-Einwohner-Städtchen in der nördlichen Oberpfalz, nicht weit von der tschechischen Grenze gelegen, ein Ort, an dem sich also Fuchs und Hase gute Nacht sagen. Thomas Klupp brachte diesen Ort 2009 mit seinem Debütroman „Paradiso“ zumindest auf die Landkarte der deutschsprachigen Gegenwartsliteratur. Damals führten alle Wege nach Weiden. Der Held von „Paradiso“, Alex Böhm, will zwar von Berlin nach München trampen und von dort nach Portugal fliegen, landet aber in seiner ungeliebten Heimatstadt.

Seine Freunde nennen Klupps Helden nur "Dschägga"

Dieses Mal ist es so, dass aus dieser Stadt, die „so spektakulär wie ein Taubenschiss“ ist, zunächst so gar kein Weg herausführt, allein der Jugendlichkeit von Klupps Icherzähler wegen. Er muss, anders als seine Zwillingsschwestern, die schon in den USA studieren, noch ein paar Jahre im Elternhaus bleiben: beim Vater, einem Chefarzt, und der Mutter, die vor allem Chefarztfrau ist. Selbst die Ballonfahrt, die Jäger zu Beginn des Romans macht, lässt ihn keinen Abstand gewinnen. Seine Welt wird von da oben noch kleiner, schrumpft auf die Größe einer Ansichtskarte. Sie lässt ihn aber auch zu einer seiner seltenen Einsichten kommen über „diese aus der Tiefe emporwuchernde Fälschung, dieses Trugbild, das mein Leben war“.

Tatsächlich ist Jäger, den seine Freunde nur „Dschägga“ nennen, ein notorischer Lügner und Betrüger, ein geradezu passionierter Fälscher. Noch jede seiner Klassenarbeiten wird von ihm nachbearbeitet, Unterschrift der Eltern, Note, Lehrerbemerkungen. Und nicht nur die schlechten in Mathe und Physik, nein, auch die Arbeiten in den Fächern, in denen er auf gute Noten abonniert ist, so wie die über den „Großen Gatsby“, „der linkt ja auch alle ab“, für die er aber nur eine Drei bekam.

Auch Lügen können Gutes bewirken

Doch ist nicht nur sein eigenes Leben ein Trugbild, auch das seiner Umgebung. Ganz Weiden übt sich im Faken und Blenden von Beziehungen, Stimmungen, Fakten, Biografien. Das fängt bei Jägers Mutter an, die sich, wenn ihre Freundinnen vom Lions Club oder Literaturzirkel da sind, von ihrem Sohn gern mal anrufen lässt, damit sie auf Französisch oder Italienisch die Dame von Welt spielen kann. Das geht weiter mit Crystal-Mäx, Weidens wichtigstem Clubbetreiber und auch Drogendealer, der sich gern als gemeinnütziger Gutmensch ausgibt, um an öffentliche Gelder heranzukommen. Und das hört nicht auf bei den schummelnden Grafenwöhrern ein paar Kilometer entfernt. Da ist Marietta, eine Mitschülerin, die Dschägga auffordert, mit ihr so zu tun, als seien sie zusammen. Da ist die Schulleiterin, die alles tut, um ihrer Schule zu Auszeichnungen zu verhelfen. Oder Benedikts Großmutter, die sich ein Kind „weggefälscht“ und quasi inkognito ausgetragen hat: „In Sachen Lügen und Täuschen und Fälschen ist sie nämlich die krasseste Person, die ich kenne.“

Die Provinz, die tiefe, oberpfälzische, sie ist nicht nur die reinste Hölle, sondern ein einziger Fake, um ebendiese Hölle ertragen zu können. Im Gegensatz zu Klupps handfest lustigem Roman. Dieser spielt sein Motiv unterhaltsam in immer wieder neuen Varianten durch. Und versteht es, den Dschägga-Ton ohne Aussetzer bis zum Ende zu halten. Thomas Klupp hat für seinen Erzähler einen Jargon gefunden, der einerseits sehr glaubwürdig ist. Ein Teenager könnte dann und wann so sprechen, so schnoddrig und drauflos, wie der Erzähler das tut. Andererseits ist Jägers Sprache ein Kunstprodukt, in ihr scheint auch der smarte, coole Mittdreißiger, Mitvierziger durch.

Nicht jede Lüge, nicht jede Fälschung, lernt man hier, muss schlecht sein. Sie kann gar Gutes hervorbringen – wie zum Beispiel diesen vorzüglichen, überdies witzigen und alle Altersgruppen ansprechenden Roman. So langsam müsste Weiden in der Oberpfalz mindestens eine Literaturreise wert sein.

Thomas Klupp: Wie ich fälschte, log und Gutes tat. Roman. Berlin Verlag, Berlin 2018. 255 Seiten, 20 €.

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