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Mit Geschichten aufgewachsen. Burkhart Klaußners Eltern betrieben ein Lokal in der Grolmanstraße.

© picture alliance / dpa

Romandebüt von Burghart Klaußner: Die Nacht, bei Tag gesehen

Berliner Sittengemälde: Burghart Klaußner hat einen Roman über das Kriegsende 1945 geschrieben.

Dass sein Vater das Wirtshaus „Zum Klaußner“ in der Grolmanstraße betrieb, hat der Schauspieler Burghart Klaußner schon häufig erzählt. Auch dass dort Theaterleute und Politiker verkehrten; nach dem Krieg verewigten sich Romy Schneider, Willy Brandt oder Theodor Heuss im Gästebuch. Und dass die guten Beziehungen des Vaters zum Offizierskasino in der Friesenstraße dann doch nicht geholfen haben und er bei den allerletzten Kämpfen der Wehrmacht in Wannsee mitmachen musste. Eben dort, wo auch sein Segelboot lag.

Burghart Klaußner, Jahrgang 1949, hat sich nach seiner Bühnenkarriere mit Filmen wie „Das weiße Band“, „Die fetten Jahre sind vorbei“ und zuletzt als Staatsanwalt in „Der Staat gegen Fritz Bauer“ einen Namen gemacht. Schon länger wollte er aus den Familienerinnerungen eine Erzählung machen. Nun liegt sie vor, „Vor dem Anfang“ heißt sie, nennt sich Roman, ist aber tatsächlich eher eine Skizze geworden, eine kurze Geschichte vom Krieg.

Die Stunde Null gab es nicht

Berlin, Ende April 1945. Fritz und Schultz haben sich rausgehalten aus dem Krieg, bis jetzt. Sie sitzen draußen auf der Bank in Johannisthal, es riecht nach Frühling. „Vor dem Anfang“ lässt sich als Mitläufer-Geschichte lesen, als Geschichte vom Zufall und der Absurdität des Überlebens, kurz vor der Stunde Null, die es bekanntlich nie gab. Die beiden Männer müssen eine Geldkasse im Reichsluftfahrtministerium abgeben, dafür müssen sie quer durch die Stadt, vom Flughafen Johannisthal bis nach Mitte und weiter. Eine Ost-West-Passage: Fritz will nach Wannsee, zu seinem Segelboot, der Traute. Der ideale Fluchtpunkt für einen Mann, dessen Familie in Caputh sicher untergekommen ist und der immer dafür gekämpft hat, nicht kämpfen zu müssen. Bislang wusste er sich mit „geschmeidiger Lebensführung“ durch alle Wetter zu navigieren.

Sehnsucht nach dem Segelboot

Fritz lässt sich unschwer als Alter Ego von Klaußners Vater identifizieren – was vielleicht erklärt, warum der Autor den weniger geschmeidigen, oft bänglichen Schultz auf Seite 65 verschwinden und erst ganz am Schluss wieder auftauchen lässt. Zunächst folgt Klaußner jedoch seinen beiden, mit klapprigen Rädern ausgestatteten Helden auf ihrer Odyssee durch Schrebergärten über Neukölln und Kreuzberg, bis ein Luftangriff sie ausbremst. Im Bunker gibt’s Todesangst und Kuchenduft, im Roman die zu den Granateneinschlägen passende Erinnerung an die Sturmnacht beim Segeltörn auf der Ostsee. Folgen das hektische Durcheinander im Ministerium und Fritz’ Alleingang Richtung Wannsee samt Abstecher ins zerstörte Schillertheater (an dem Klaußner in jungen Jahren spielte) und Zwangsrekrutierung durch die Feldjäger im Strandbad Wannsee. Pfaueninsel, Moorlake, es bleibt ihm nichts übrig, auch er muss töten. Der Zufall des Schuldigwerdens.

Richtschnur aus Angst

Burghart Klaußner schreibt schnörkellos, in knappen, mitunter ungelenken Sätzen. Bei aller Kürze hält er sich penibel mit Nebensächlichkeiten auf, verlegt sich auf inneren Monolog, um das Verhalten seiner Figuren dann wieder von außen zu erklären. Das sorgt für unscharfe Konturen und freiwillige Perspektivwechsel. „Dieses Nachterlebnis hatte sich wie eine Narbe in sein Herz gefressen und ihm eine Richtschnur aus Angst eingepflanzt“: Auch mit Metaphern tut sich Klaußner schwer, ebenso mit den Übergängen zwischen Handlungsverlauf und Reminiszenzen. Den Ton jener Zeit trifft er hingegen gut, und sei es eine in die Vergangenheit hinein imaginierte Berliner Sprödigkeit.

Schwofen in der Laubenkolonie, Adoleszenz in trinkfester Familie, Kleineleutewelt im Chaos des Kriegs. „Vor dem Anfang“ versammelt Sittengemälde en miniature. Einschließlich Alltagsweisheiten wie „Na die Nacht möcht ick noch mal bei Tage sehn“. Und wenn es ans Wettsegeln geht, dann ist Klaußner als Romanautor in seinem Element.

Burghart Klaußner: Vor dem Anfang. Roman. Kiepenheuer & Witsch, Köln 2018. 174 S., 16,99 €. Klaußner liest beim Internationalen Literaturfestival Berlin am Mittwoch, 5.9,. um 20.30 Uhr im Haus der Berliner Festspiele.

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