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Kultur: Romantik mit unseligem Nachhall

Berliner Philharmonisches Orchester trifft Barenboim in der LindenoperVON SYBILL MAHLKEEin israelischer Dirigent und gebildeter Kopf wie Daniel Barenboim - er darf das: "Les Préludes" von Franz Liszt mit der Zugabe des Walkürenritts von Richard Wagner kombinieren.Den älteren Zeitgenossen läuft noch heute der Schauer den Rücken herunter, wie ein betroffener Herr an der Garderobe bemerkt, weil das Andante maestoso des Liszt-Stückes durch seine Verwendung als Einleitung von Sondermeldungen über deutsche Siege des Zweiten Weltkriegs nicht vergessen ist.

Berliner Philharmonisches Orchester trifft Barenboim in der LindenoperVON SYBILL MAHLKEEin israelischer Dirigent und gebildeter Kopf wie Daniel Barenboim - er darf das: "Les Préludes" von Franz Liszt mit der Zugabe des Walkürenritts von Richard Wagner kombinieren.Den älteren Zeitgenossen läuft noch heute der Schauer den Rücken herunter, wie ein betroffener Herr an der Garderobe bemerkt, weil das Andante maestoso des Liszt-Stückes durch seine Verwendung als Einleitung von Sondermeldungen über deutsche Siege des Zweiten Weltkriegs nicht vergessen ist. Und wo der kriegerische Gedanke nicht ausbleibt, krallt er sich im Fall der reitenden Wotanstöchter an dem Vietnam-Film "Apocalypse Now" von Francis Ford Coppola fest, wo der Luftkampf sich musikalischen Wonneschauern verbindet.Daniel Barenboim, dem diese Rezeptionsgeschichten naturgemäß nicht fremd sind, will die Musik offenbar reinwaschen: "Was deutsch und echt" - so hieß der kulturpolitische Kongreß, der die Festtage der Staatsoper 1998 kritisch begleitet hat -, läßt Barenboim aus dem Verständnis der Komponisten des 19.Jahrhunderts heraufbeschwören, die von späteren Verwendungen nichts wissen.Und der Ritt der Walküren bietet sich künstlerisch an, weil die erforderlichen acht Hörner in diesem Fall problemlos zur Verfügung stehen. Bei ziemlich gepfefferten Eintrittspreisen weist das zweiwöchige Berliner Opernfestival mit Webers "Freischütz", den von Harry Kupfer neuinszenierten "Meistersingern" und Konzerten 1998 einen Besucherrekord auf, der nach hausinternen Angaben 17 600, vielfach von außen angereiste, Gäste verzeichnet.Ein kleines musikalisches Wirtschaftswunder ist gegelückt.Das letzte Konzert spielt mit dem historischen Touch, daß die Berliner Philharmoniker Daniel Barenboim, der sich um sie vielfach verdient gemacht hat - nicht zuletzt durch die erste Israeltournee nach Herbert von Karajans Tod -, in seine Staatsoper folgen.Akustisch nicht zu ihrem Vorteil, denn der berühmte philharmonische Klang bleibt gleichsam auf der Bühne, während der Orchestergraben mit zusätzlichen Sitzreihen abgedeckt ist, und dringt eher als Ahnung in den Zuschauerraum.Dennoch: das Berliner Philharmonische Orchester im Haus des Künstlerischen Leiters der Lindenoper, dazu noch das Recht auf freie Tage dreingebend, die nach den gerade zu Ende gegangenen Salzburger Osterfestspielen auf der Tagesordnung stünden, das ist eine sehr freundschaftliche Geste. Zu hören freilich ist die Anstrengung noch, als es an die achte Symphonie Ludwig van Beethovens geht.Barenboim leistet mit dem Ausdirigieren des ritenuto und a tempo fleißige Arbeit, die tickenden Holzbläser und die Streicher-Kontrapunkte im zweiten Satz um den "lieben Mälzel", der das Metronom erfindet, wie überhaupt die Grazie des Leisen erscheinen eher angedacht als in einer außerordentlichen halben Stunde realisiert.Das Trio erweist sich als heikel. Ovationen schlagen den vier Hornisten aus drei Orchestern entgegen, die sich festtage-symbolisch zum erstaunlichen Solistenensemble des von Barenboim fein ausphrasierten Konzertstücks F-Dur von Robert Schumann verbinden: Dale Clevenger von Chicago Symphony, Ignacio Garcia aus der Staatskapelle Berlin sowie die beiden Philharmoniker Stefan Dohr und Georg Schreckenberger. Der Pianist Daniel Barenboim weiß, was er dem Komponisten Franz Liszt verdankt.Die Symphonische Dichtung "Les Préludes" straft das Verdikt von dem Oberflächenmusiker Liszt Lügen.Das Philharmonische Orchester und Barenboim musizieren hingebungsvoll die ausdrucksreiche Romantik der Partitur.Daß die zeitgemäße Siegergebärde des "Heldenthemas" ihr literarisches Programm nach Alphonse de Lamartine erst nachträglich bekam, mildert den Mißbrauch nicht.Aber die besinnlichen Soli der Flöte (Andreas Blau) und der einsamen Oboe (Hansjörg Schellenberger) sind sensible Gefühlsmusik.Das Positive im Deutschen sei zu pflegen, hat Barenboim auf dem Symposion gesagt, "und was im Deutschen böse ist, darf nie wiederkommen".Mit seinen Erfahrungen versucht er als Künstler, diesen Gedanken in die Tat umzusetzen: kraß und liebevoll.

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