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Romanverfilmung: Lübecker Marzipan

Der Kostümfilm zum Stadtschloss: Heinrich Breloer bringt mit den "Buddenbrooks" eine deutsche Saga ins Kino.

Kleines Leiterwagenrennen gefällig? Wer ist als Erster an der Petersgrube, Hagenström oder die Buddenbrooks? Hurtig geht es die Lübecker Gassen hinunter, Marktleute stieben auseinander, Töpferware geht zu Bruch. Wettstreit der Tüchtigen, ein Kinderspiel. Schnitt und Ball und Walzertakt, die Kinder sind erwachsen geworden, wie schön das jedes Mal ist, sagt Thomas Buddenbrook. Wie in einem Schauspiel, in dem wir alle mitspielen, ergänzt sein Bruder Christian. Die Konsulin rückt vor dem Spiegel ihren funkelnden Halsschmuck zurecht.

Thomas Manns "Buddenbrooks"-Roman beginnt damit, dass die kleine Tony vom Großvater examiniert wird, den Katechismus aufsagen muss und sich dabei verhaspelt, was dem Großvater sein berühmtes Kichern entlockt: ein mit feiner Selbstironie grundiertes Bildungsbürgeridyll. Heinrich Breloer eröffnet seine Verfilmung mit einem Wettlauf unter freiem Markthimmel: Die Erwerbsbürger von morgen trainieren schon mal. Das könnte eine Idee sein: die Saga der Lübecker Patrizierfamilie aus dem Geist der Pisastudie und des Neoliberalismus. Das Schauspiel, die Selbstentfremdung, folgt auf den Fuß.

Das könnte auch eine Bildsprache werden, die permanente Bewegung, das Hasten und Rennen, das Haltlose, Unruhige, Abschüssige (passend zum Roman Untertitel "Verfall einer Familie"). Alles dreht sich: Tony tanzt mit Hagenström, Thomas flirtet mit dem Blumenmädchen, Senatorin Möllendorpf zerreißt sich das Maul, der Konsul Jean Buddenbrook, Armin Mueller-Stahl, hat alles im Blick. Eine Gesellschaft im Taumel, Dekadenz in flackerndem Kerzenschein, man kennt das von Visconti, Scorsese oder Kubrick. Allein, Gernot Rolls Kamera schwelgt nicht, sie flaniert bloß, entwickelt keinerlei Sog.

Ein Sedativum für überreizte Gemüter

Wie schön das jedes Mal ist. Das Holstentor, Briefmarkenmotiv aus deutschen Landen, wird dauernd ins Bild gerückt, davor simuliert die Statisterie geschäftiges Treiben. Die Herren tragen hübsche Backenbärte, die Damen werden, ächz, ins Korsett geschnürt, um in gerüschten, gefälteten Roben zauberhafte Figur zu machen. Korkenzieherlocken schimmern im Gegenlicht, das Meer der wogenden Zylinder in der Getreidebörse passt zum wogenden Weizenfeld, Pferdehufe klappern auf Kopfsteinpflaster, die Klarinette stimmt ihren Sehnsuchtston an. Diese Bilder wollen nicht mitreißen oder aufwühlen, sie sind im Gegenteil ein Sedativum für überreizte Gemüter. Dabei handelt der Roman doch gerade vom Überreizen, der Kredite wie der Nerven.

Es ist die vierte Verfilmung des 700 Seiten-Buchs. Nach dem Stummfilm von 1923, nach der Wirtschaftswunder -Version von Alfred Weidenmann (1959) und Franz Peter Wirths TV-Elfteiler von 1979 (in dem Roll ebenfalls die Kamera führte) nun also Heinrich Breloer. 16,2 Millionen Euro, 3000 Kostüme, das komplett nachgebaute dreistöckige Buddenbrook-Haus, die illustre Besetzung - klingt alles nach Opulenz und Schaulustgewinn. 150 Minuten in 70 Drehtagen, das wiederum klingt nach business as usual. Visconti brauchte beim "Leopard" allein für die Ballszenen 57 Drehnächte.

Die erste Spielfilm- und Kinoarbeit des Literaturwissenschaftlers und Fernsehregisseurs Breloer, der sich mit Doku-Fictions wie "Todesspiel", "Speer und Er" oder dem Dreiteiler "Die Manns" einen Namen gemacht hat, ist gar nicht richtiges Kino. Wie Eichingers "Untergang", "Der Baader-Meinhof-Komplex" oder "Anonyma" entstand auch die Bavaria-Produktion "Buddenbrooks" als amphibischer Film: Als Zweiteiler soll er später im Fernsehen ausgestrahlt werden, beteiligt sind neben etlichen Filmförderanstalten der WDR, NDR, SWR, BR, Degeto, ORF und Arte.

Es wird bloß eine hastige Chronik illustriert

Da passt es, dass die Schamfrist zwischen Kinostart und TV-Sendetermin mit dem neuen Filmfördergesetz gerade von 18 auf 12 Monate verkürzt wurde - und dass auf das TV-Format Rücksicht genommen wird. "Buddenbrooks" ist Rosamunde Pilcher im Festtagsgewand, mit der properen Jessica Schwarz als liebesschmachtender, in zwei Versorgungsehen dahinwelkender Tony, dem tragischen Bruderzwist zwischen dem tüchtigen Thomas (Mark Waschke) und dem hypersensiblen Christian (August Diehl), und schließlich mit Hanno, dem hochmusikalischen, an Typhus sterbenden Knaben. Thomas Mann widmet Hanno zwei Kapitel, ein nüchtern-medizinisches über den Typhus und ein lodernd-verzweifeltes über das schulische Scheitern des Jungen. Bei Breloer ist's nur ein kenterndes Ruderboot und eine schweißtropfenglänzende Fieberstirn.

Klar, ein Film ist kein Roman, die Konzentration von vier auf drei Buddenbrook Generationen unvermeidlich. Auch weiß man von Viscontis "Tod in Venedig", von Kubricks Schnitzler-Verfilmung "Eyes Wide Shut" oder Fassbinders "Berlin Alexanderplatz", dass gute Literaturverfilmungen ihre Vorlage verraten, indem sie eine Idee dazu, eine Obsession, ein Staunen, eine Frage zur Lektüre ins Bild setzen. Aber Breloer liefert bloß Fleißarbeit ab: einen Historienbilderbogen mit Wiedererkennungsmarken für den zerstreuten Fernsehzuschauer (Holstentor!). Dieses Kino evoziert nicht Geschichte, es illustriert bloß eine hastige Chronik, stattet sie aus, entsorgt sie. Das geht mit Zeitgeschichte so gut wie mit Literatur, siehe "Baader-Meinhof-Komplex". Kein Horizont öffnet sich, der Blick verflacht vor lauter Vordergrund und Oberfläche. Die Breloerisierung des Kinos trimmt die Fantasie auf vermeintliche Publikumsbedürfnisse, sie stutzt den Zuschauer zum Konsumenten zurecht. So tötet sie die Sehnsucht, die sie zu bedienen vorgibt.

Wenn Tony sich an der Ostsee in einen Naturburschen verliebt, steckt sie die nackten Zehen in den Sand. Der Strand und etwas Haut, mehr fällt Breloer (und Ko-Autor Horst Königstein) zum Thema Freiheit nicht ein. August Diehl darf als Christian häufig irre keckern, dabei verfügt Diehl über ein größeres Ausdrucksrepertoire. Thomas, der Fleißige, der tot zusammenbricht, er könnte im Zentrum stehen, wenn Mark Waschke sich auf die Seelenstudie eines verpassten Lebens verstünde. Der Mond hängt wie aufgehängt über der Hansestadt, das Bayerisch des Hopfenhändlers Permaneder (Martin Feifel) - angeklebt wie die Backenbärte. Alles so uneigentlich hier.

Der Film taugt als Lagerfeuer

Geschichte als Kulisse: "Buddenbrooks" ist der Kostümfilm zum Schloss, das Interieur zur historischen Außenfassade. Weihnachten kommt er ins Kino. Und wie beim Berliner Schloss ist es bei so viel Blendwerk müßig, sich zum wiederholten Mal ernsthaft Gedanken über eine neue Bürgerlichkeit zu machen. Breloers Film fehlt die Fallhöhe, um die Lübecker Weltpremiere in Anwesenheit des Bundespräsidenten zum symbolischen Staatsakt zu verklären, zum Symptom für Wertewandel, neuen Familiensinn oder gar neue Verantwortungsethik. Es geht bloß um Stil und Dekor, Kleidermoden und Tischmanieren.

Allenfalls taugt der Film als Lagerfeuer: Die Krise ist groß, da wärmt man sich gerne daran, wie im 19. Jahrhundert ein grundsolides Familienunternehmen den Bach runtergeht, weil es die Zeichen der Globalisierung ignoriert, Spekulanten in den Kreis der Lieben einheiraten und hochmögende Bankiers Krisenmanagement mit Luftbuchungen verwechseln. Leider genügen schreckstarre Augen angesichts einer horrenden Schuldenbilanz nicht ganz, um solchen "Buddenbrooks" brisante Aktualität zu verleihen.

Es ist übrigens nicht der letzte Film zum Schloss. Im Februar kommt Hermine Huntgeburths "Effi Briest" ins Kino, statt Jessica Schwarz ist dann Julia Jentsch von Backenbärten und Pferdekutschen umgeben. Zur Abwechslung nicht in Lübeck, sondern in den Gassen von Berlin.

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