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Liliana Saumet von der kolumbianischen Band Bomba Esteréo.

© REUTERS

Roskilde-Festival in Dänemark: Seid vorsichtig, aber gebt alles!

Spiel ohne Grenzen für 130 000 Fans: Das Rockfestival im dänischen Roskilde streamt sich durch alle Genres.

Vor einem Jahr mussten sie ihn noch raustragen: Damon Albarn hatte das Projekt Africa Express nach Roskilde gebracht und wollte sich am Ende eines fünfstündigen Marathons nicht vom Klavier erheben. Ein gut gebauter Bühnen-Mitarbeiter schnappte sich den Blur-Sänger – so ging das Festival 2015 zu Ende.

Ein Jahr später sehen sich Albarn und sein persönlicher Träger in Roskilde wieder, dieses Mal am Anfang. Zur Eröffnung hat Albarn das syrische Nationalorchester für arabische Musik auf der Hauptbühne versammelt. Über 40 Musiker, seit dem Krieg in ihrer Heimat in der Welt verstreut, sind angereist und können sich für den Moment ihres Auftritts im Gemeinschaftsgefühl des großen Nonprofit-Festivals sonnen. Das Publikum erlebt bei durchwachsenem Sound virtuose Soli von Längsflöten- und Geigenspielern und starke Gastauftritte der mauretanischen Wüstenbluessängerin Noura Mint Seylami, der tunesischen Rapperin Malika und der US-amerikanischen Songschreiberin Julia Holter.

Eine etwas überambitioniert zusammengestellte Mischung – doch die Botschaft kommt an. Normalerweise ist das Eröffnungskonzert nordischen Bands vorbehalten. Während in Dänemark eine nach rechts gerutschte Regierung die Schotten dicht macht, will zumindest das renommierteste Festival des Landes die Türen offen halten.

Ein Programm wie die Playlist eines Streamingdienstes

Das Exil-Ensemble ist nicht als Alibi-Orchester gebucht worden. Seit Jahren holen die Festivalmacher in Roskilde Künstler aus aller Welt auf ihre sechs Bühnen. Am zweiten Tag entert zum Beispiel die kolumbianische Band Bomba Estéreo mit elektronisch angeheizter Cumbia die Hauptbühne. Auf der Festivalwiese bilden sich spontane Tanzformationen unter der Sonne, bevor der Himmel sich für den Rest des Festivals grau färbt.

In Roskilde spielt alles überall. Wie eine geschickt aus allen Genres zusammengestellte Playlist eines Streamingdienstes klingt das Programm des Festivals. Lange vorbei sind die Zeiten, als die Open Air Bühne von den großen Stadionrockern geprägt wurde. Symptomatisch blass bleiben die Red Hot Chili Peppers bei ihrem Versuch, ein katastrophales Konzert im Jahr 2007 vergessen zu machen. Die größten Partys steigen ohnehin mittlerweile beim Zusammentreffen von Hip Hop, Elektro und Pop. Zu „Thrift Shop“, dem Hit des Duos Macklemore & Ryan Lewis, hüpfen Tausende Gummistiefel-Paare. Und dem dänischen Elektro-Pop- Superstar Mø gelingt am letzten Abend ein beeindruckendes Heimspiel. Allerdings ermüden die Ohren auch bei den oft perfekt polierten Elektro-Pop- Sounds. Leider auch bei der abseits der Bühne sehr selbstbestimmt agierende Musikerin Grimes. In Roskilde wirkt sie mit dünner Stimme und umgeben von Tänzerinnen wie eine erschreckend banale Madonna-Imitation.

PJ Harvey und Neil Young stiften Gemeinschaft

An Gegenmitteln zur soundtechnischen Konfektionsware mangelt es dem Jahrgang 2016 nicht: Eine besondere Energieentladung gibt es beim Konzert der Londoner Band Savages. Dem neu aufgelegten Postpunk geben sie auf mitreißende Weise eine besonders strenge Note. Im Gegenlicht geistert Gemma Beth wie Graf Dracula umher, während Sängerin Jehnny Beth auf Pfennigabsätzen, in schwarzem Jackett und mit seitlich gescheiteltem Haar den Moshpit steuert: „Seid vorsichtig, aber gebt alles!“

Am gleichen Abend gelingt es PJ Harvey mit noch besserem Sound als zuletzt in Berlin, das größte Zelt zu bewegen. Vor fünf Jahren ging sie in Roskilde mit Zither und weißem Gewand auf die Bühne. Nun kehrt sie mit Federschmuck, in kurzem Lederrock und mit Saxofon zurück. Sie besingt Krieg und Elend und die „Community of Hope“, als wären damit die 130 000 Menschen, die das Festival bevölkern, gemeint.

Auch Neil Young stiftet Gemeinschaft. Wirkt er am Anfang noch etwas grimmig, als er seinen Evergreen „Heart of Gold“ anstimmt, und seine jungen Mitstreiter noch etwas eingeschüchtert, spielen alle im Laufe von drei Stunden frei. So dicht wie der Meister webt sonst niemand bei diesem Festival einen dicken Gitarren-Teppich aus nicht enden wollenden Riffs und Melodien.

In diesem Jahr muss niemand von der Bühne getragen werden

Dass Künstler wie Neil Young oder PJ Harvey dem Roskilde Festival immer wieder neue Seiten ihres Schaffens zeigen, wird mit großer Gegenliebe belohnt. Die bekommt auch James Blake zu spüren, zu seiner sichtbaren Freude. In einem überfüllten Zelt setzt der Elektro-Soulmann an zum Rave und bewahrt seine Stimme vor zu vielen Effekten. So kommt sie voll zur Geltung und wird bei seiner Version von „Limit To Your Love“ vom großen Publikumschor begleitet.

Am Ende übernimmt das wiederbelebte LCD Soundsystem unter einer riesigen Disco-Kugel das Finale in der letzten kalten Nacht. Das gelingt dem Kollektiv um Mastermind James Murphy mit einem wohltuend ungeschliffenen Mix aus Disco, Funk, Dance und Indierock. Niemand muss in diesem Jahr von der Bühne getragen werden – dafür aber einige Festivalbesucher in ihre Zeltstadt, wo nach LCD Soundsystem die unzähligen DJs mit ihren selbst gebastelten Soundsystemen übernehmen.

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