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Kultur: Rossmanns Überfahrt

Gefangen in der Kajüte: Frank Castorf inszeniert mal wieder auswärts und bringt Franz Kafkas „Amerika“ im Zürcher Schiffbau auf die Bühne.

Der Teenager Karl Rossmann, der nach der Schwängerung eines Dienstmädchens nach Amerika strafverschickt wird, ist in Zürich vor allem für Kalauer gut. „Der direkte Weg führt von Schlecker zu Rossmann“ – so muss der arme Karl in Frank Castorfs Schweizer Kafka-Inszenierung auch noch für die Drogeriekettenpleite herhalten.

So weit, so Castorf?

Leider nicht. „Amerika“ gehört zu jenen Inszenierungen, die eigentlich nur an der Oberfläche wie Castorf aussehen, im Innern aber noch substanzärmer verpuffen als jüngst zum Beispiel die „Marquise von O.“ an der Berliner Volksbühne.

Der viereinhalbstündige Abend beginnt im Atrium der Zürcher Schiffbau-Halle, der Zweitspielstätte des Schauspielhauses. Dort hinein hat Bühnenbildner Aleksandar Denic ein gigantisches Schiffsdeck gebaut – so plakativ-illusionistisch, wie man es vom Kindertheater kennt. Unter freiem Himmel sitzt man um Schornstein, Kapitänskajüte und Rettungsboot herum, wird von den Schrammel-Tönen des serbischen Bojan Krstic Orkestar traktiert – und traut seinen Augen nicht. Die Schauspieler, eine viel versprechende Mischung des Zürcher und des Berliner Volksbühnen-Ensembles, haben größte Mühe, sich vom Kajüten-Realismus abzustoßen. Das Abheben auf Meta-Ebenen, das den originären Kern der Methode Castorf ausmacht, wird hier zum Problem, weil keiner weiß, wohin er springen soll: So wenig Überbau war selten!

Also rennt Marc Hosemann als Schiebermützen-Rossmann so schweißtreibend übers Deck, als ginge es um sein Leben. Robert Hunger-Bühler gibt den in Ungnade gefallenen Heizer und wälzt sich im Kohlendreck. Und Irina Kastrinidis und Lilith Stangenberg vollführen auf High Heels eine Art Rettungsboot-Gymnastik, die sinnfrei ist, aber immerhin lustig aussieht.

Nach einer Stunde – Hunger-Bühler ist jetzt vom Heizer zu Karls einflussreichem Senatoren-Onkel geworden und nimmt ihn mit von Bord – geht es dann in der Halle weiter. In einer doppelstöckigen Stahlkonstruktion sind ikonische Versatzstücke des American Way of Life aneinandergereiht worden: links außen die Leuchtreklame eines Vergnügungsparks, daneben der Fahrstuhl des Hotels, in dem Karl später als Liftboy arbeiten wird, ein Kieshaufen, eine hyperrealistische New Yorker Subway-Station, und so weiter. Sieht alles ein bisschen nach Bert Neumann aus.

Aber, wie gesagt, nur an der Oberfläche. Der plakativen „Bigger-than-Life“- Behauptung werden an diesem mauen Abend keine wesentlichen Amerika-Assoziationen mehr hinzugefügt. Aufgrund der stolzen Bühnenbreite von knapp 50 Metern kann man immer nur einzelne Szenen wirklich sehen – was nicht weiter schlimm ist, weil große Einsichten hier auch optisch gar nicht vorgesehen sind. Oft igeln sich die Schauspieler – Castorf treibt sein so bewährtes wie sinnentleertes Stilmittel auf die Spitze – komplett in den Bühnen-Verschlägen ein, und das Innenleben wird lediglich per Videoübertragung an den beiden Hallen-Seitenwänden sichtbar.

„Amerika“: Was hätte Castorf, der Intendant der Berliner Volksbühne, früher aus so einem Stoff gemacht?! Diesmal beschränkt sich der Fremdtext-Import fast ausschließlich auf Kafkas Tagebücher, die zwar nicht uninteressant sind, aber weit davon entfernt, einen Abend so überraschend diskursiv aufzubrechen, wie man es von Castorf einst gewohnt war.

Einmal allerdings, der Regisseur überblendet Karl Rossmanns Entlassung aus dem Hotel mit Schauprozessen im McCarthy- und Stalin-Stil, donnert die große Berliner Schauspielerin Margit Bendokat, die so legendäre Vorwende-Castorf-Arbeiten wie „Paris, Paris“ am Deutschen Theater bereicherte, als unerbittliche „Genossin Oberköchin“ ihr großartiges Verfremdungsparlando durch die Halle. Laut, mindestens doppelbödig und gnadenlos. Da ahnt man kurz, was aus diesem Abend hätte werden können. Christine Wahl

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