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Roth-Roman "Exit Ghost": Alles auf Zuckerman

Die größten Entdeckungen macht man zuletzt: Philip Roth verabschiedet sich in „Exit Ghost“ von seiner Lieblingsfigur

Hat es sich jetzt wirklich ausgezuckert? Hat Philip Roth sich jetzt wirklich endgültig von seiner treuesten, ihm zunächst liebsten, später aber auch viele Probleme bereitenden Figur getrennt? „Sie ist unterwegs, und er verschwindet. Er ist für immer fort“, heißt es im letzten Satz von „Exit Ghost“, und in Interviews hat Roth bekundet, dass er Zuckerman als Hauptfigur seines neuen Romans einen guten Abgang verschaffen wollte.

Zuckerman diente ihm Ende der siebziger, Anfang der achtziger Jahre in der Trilogie „Zuckerman Bound“ vor allem dazu, seinen Weltruhm als Autor des Romans „Portnoys Beschwerden“ zu verarbeiten. Roth erzählt in den drei Büchern vom Aufstieg des Jungschriftstellers Zuckerman, von dessen psychischen Macken, sexuellen Obsessionen und quälenden Selbsterforschungen vor dem Hintergrund seiner jüdischen Herkunft. Später jedoch wurde Zuckerman für Philip Roth Teufel und Eckermann in Personalunion. Er ließ ihn sterben, erweckte ihn wieder zum Leben und musste sich Ratschläge von ihm erteilen lassen: „Sie sind weitaus besser beraten, wenn Sie über mich schreiben, als wenn Sie akkurat von ihrem eigenen Leben berichten“ (aus „Tatsachen“). Zuletzt war Zuckerman in Roths großer amerikanischer Romantrilogie mit „Der menschliche Makel“ als Abschluss Zuhörer und am Rande der Handlung figurierenden Erzähler.

In „Exit Ghost“ kehrt er jetzt nicht nur ins Zentrum der Handlung zurück. Zuckerman ist inzwischen 71 Jahre alt und nach einer Prostata-Operation impotent und inkontinent. Seit über zehn Jahren wagt er sich erstmals wieder aus seiner ländlichen Einsamkeit in den Berkshires, um sich in Manhattan einer Operation an der Blase zu unterziehen. New York ist Zuckerman fremdgeworden, das moderne Leben mit Handys und Internet genauso wie das politisch-gesellschaftliche mit seiner „hochemotionalen Krisenhysterie“ wegen des Irakkrieges und den US-Präsidentschaftswahlen 2004.

Und doch beschließt er, einem spontanen Impuls nachzugeben und sich wieder in New York niederzulassen. Er lernt ein junges Paar kennen, mit dem er vereinbart, für ein Jahr sein Haus in den Berkshires gegen die Wohnung des Paares in der Upper West Side zu tauschen. Es die junge Frau, die es ihm angetan hat. Sie erweckt seine trotz Krankheit weiterhin vorhandenen sexuellen Triebe zum Leben und lässt ihn die womöglich „gedankenloseste Entscheidung meines ganzes Leben“ treffen: „Ein Beweis dafür, dass das Drama, das man normalerweise mit der Jugend bei ihrem Eintritt in die Welt der Erwachsenen verbindet, (...), auch die Alten erschrecken und über sie hereinbrechen kann (...), selbst wenn die Lebensumstände auf ihren baldigen Abgang hindeuten. Vielleicht macht man die größten Entdeckungen erst zuletzt.“

Das Alter, die Liebe im Alter, natürlich nicht zu Gleichaltrigen, sondern zu viel jüngeren, enorm attraktiven Frauen, um dem Tod so erst recht ein Schnippchen zu schlagen – da hat man in „Exit Ghost“ wieder alle Lieblingsthemen von Philip Roth in den letzten Jahren beieinander. Zuweilen wünschte man sich da, Roth möge mal wieder eine andere Platte auflegen: In „Das sterbende Tier“ geriet er hart an den Rand des Schlüpfrig-Altmännerfantasiehaften, und sein letzter Roman „Jedermann“ wirkte passagenweise wie eine dicke Krankenakte. „Exit Ghost“ aber ist anders, besser. Dieser Roman verweist auf eigentlich jeden Strang in Roths weitverzweigtem Romanwerk, auf die Zuckerman-Trilogie, die vielen autobiografischen Spiegelfechtereien der neunziger Jahre in Büchern wie „Täuschung“ oder „Tatsachen“ sowie auf die Gesellschaftsromane der amerikanischen Trilogie.

Roth verschränkt in „Exit Ghost“ nicht nur die politische Situation 2004, die Hoffnung auf einen Wechsel gerade bei den jungen Intellektuellen nach der ersten Amtszeit von George W. Bush, ihre Depressionen nach dessen Wiederwahl, mit den Weltfremdheiten, Malaisen und Gefühlsverirrungen seines Zuckermans. Er zieht zusätzlich auch noch eine die Wirklichkeit und die literarische Fiktion fest umschlingende Erzählebene ein, in dem er Zuckerman erneut mit Leben und Werk seines großen Vorbildes, des Schriftstellers E. I. Lonoff, konfrontiert.

Ein forscher, dem jungen Zuckerman nicht unähnlicher Nachwuchsautor will aufdecken, dass Lonoffs einziger und dazu unvollendeter, nie veröffentlichter Roman nur auf der Basis einer inszestuösen Affäre Lonoffs entstanden sei. Dieser Roman sei ein Meisterwerk, so der junge Literaturforscher, das, was „Thomas Mann geschrieben hätte, wenn er nicht Thomas Mann gewesen wäre“. Zuckerman kämpft vehement gegen diese biografischen Auslegungen von Lonoffs Werk, er verbündet sich mit der ehemaligen Geliebten von Lonoff und wehrt sich gegen den Lonoff genauso wie den Lonoff-Forscher in sich. Und er ist damit so nah an seinem Erfinder Philip Roth, wie es dieser wiederum nur zu gern abstreiten würde. Doch bietet sich Roth mit dieser Konstruktion tausendfach Gelegenheit, auf die biografische Rezeption von Literatur zu schimpfen, Gelegenheit zu Sätzen, die man auch in Philip-Roth- Interviews zuhauf nachlesen kann: „Mit Entsetzen sieht man, welchen Stellenwert das Feuilleton der Privatsphäre beimisst, sobald es um erzählende Literatur“, heißt es etwa in einem Brief, den einst Lonoffs Geliebte an eine Zeitung schrieb, um gegen die rein biografische Auslegung von Ernest Hemingways Nick-Adams-Storys zu protestieren.

Beruhigend nur, dass die Literatur auch umgekehrt für den Schriftsteller letzte Zuflucht vor der Wirklichkeit und therapeutische Möglichkeit sein kann. Exzellent kann man sich in ihr hinter diversen Egos verstecken, ideal eignet sie sich zur Triebsublimierung. Der impotente, inkontinente und also zu keinem realen Liebesvollzug mehr fähige Zuckerman lebt in „Exit Ghost“ seine Leidenschaft ausschließlich auf dem Papier aus. „Er und Sie“ heißt sein Dialog, ein Stück über „Begehren und Versuchung, Koketterie und Qual“. Und darin macht Sie sich am Ende tatsächlich auf dem Weg zu Ihm, während Er „sich auflöst“ und auf Nimmerwiedersehen verschwindet.

Allerdings steht dieser Schluss in Klammern, ist er eine kursiv gesetzte Regieanweisung des Schriftstellers Nathan Zuckerman an seine eigene männliche Figur – auf dass ihm selbst eine Wiederkehr im Werk des Philip Roth immer wieder möglich sei.

Philip Roth: Exit Ghost. Roman. Aus dem Amerikanischen von Dirk von Gunsteren. Hanser Verlag, München 2008, 297 Seiten. 19,90 €.

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