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Kultur: Rothaarige Schöne

Paare mit der Sehnsucht nach Passionen: Deborah Levys Roman „Heim schwimmen“.

Das ist ein Buch der Kontraste. Die Helligkeit und Hitze des Julis an der französischen Riviera paart sich mit der Düsternis und Kälte einiger unglücklicher Menschen. Die unbarmherzige Sonne über diesen englischen Urlaubern lässt hervorbrechen, was sich sonst so gut verstecken lässt. Aus dieser Konstellation hat Deborah Levy ein raffiniertes Kammerspiel gebaut: mit Figuren, die sich gegenseitig belauern, die sich verstellen und eigentlich ständig aneinander vorbeireden, in absurden, manchmal auch sehr komischen Dialogen. Die Autorin treibt das Tempo voran, indem sie jeweils einem der Protagonisten einen Wissensvorsprung zugesteht. So entsteht ein Wechselspiel aus Geheimnis und Verrat.

Die 1959 in Südafrika geborene und in London lebende Levy schreibt neben Romanen und Erzählungen auch Drehbücher und Theaterstücke. Der Zeitrahmen ihres Romans „Heim schwimmen“ (Swimming Home), der 2012 auf der Shortlist für den „Man Booker Prize“ stand, schnurrt zusammen auf die Ereignisse von nur einer Urlaubswoche im Juli 1994 in einer alten Villa. Sie wurde von Joe und Isabel für den ganzen Sommer angemietet. Er ist ein berühmter Schriftsteller, seine Frau eine bekannte Kriegsreporterin.

Sie werden von ihrer 14-jährigen Tochter Nina und dem befreundeten Ehepaar Mitchell und Laura begleitet. Deren Laden mit Antiquitäten und alten Waffen in London steht kurz vor dem Bankrott. Für sie ist der kostenlose Urlaub vor allem eine Flucht. Über der Szenerie schwebt die Sehnsucht nach einer Auszeit von allen Problemen. Das betrifft auch Joe und Isabel: Ihre Ehe ist nur noch eine Farce. Joe ist notorischer Fremdgeher; Isabel hat resigniert und sich in ihrem „imitierten Leben“ eingerichtet, wie sie es nennt.

Gleich zu Beginn der Ferien taucht plötzlich eine junge Frau auf – sie schwimmt vor den Augen der Mieter nackt im Swimmingpool der Villa: „Eine Frau mit tropfenden, hüftlangen Haaren stieg aus dem Pool und rannte zu einem der Plastikliegestühle. Sie sah aus wie Anfang zwanzig, aber das war schwer zu sagen, weil sie auf der Suche nach ihrem Kleid hektisch von einem Stuhl zum anderen hüpfte. Das Kleid war aufs Pflaster gefallen, aber keiner kam ihr zu Hilfe, weil alle ihren nackten Körper anstarrten.“ Es ist Kitty, eine rothaarige Schönheit, die in dem Haus wohnen darf, wenn es nicht an Gäste vermietet ist. Sie gibt einen Terminirrtum vor, in Wahrheit aber, so stellt sich heraus, will sie an Joe, den Schriftsteller, herankommen. „Mehr als alles andere sind Joes Gedichte für mich ein Zwiegespräch mit mir. Er schreibt über Dinge, über die ich oft nachdenke. Wir stehen in Nervenkontakt“, sagt Kitty zu Isabel, die ihr sogar anbietet, in einem Zimmer der Villa zu wohnen, denn im Dorf ist keine freie Unterkunft zu finden.

So nimmt das Verhängnis seinen Lauf. Von Kitty, die unter Depressionen leidet, geht ein „nervöses Summen“ aus, eine körperliche Provokation und zugleich eine seltsame Faszination. Ihr erliegen alle Hauptfiguren auf fatale Weise. In deren Spannungsverhältnis greifen drei Nebenfiguren ein: der Hausmeister Jürgen, der von einem Leben mit Kitty träumt; der Cafébesitzer Claude, der scharf auf Nina ist. Und dann gibt es noch die 80-jährige Nachbarin Madeleine, die Kitty aus Neid belauert und ihren Ehemann schon vor langer Zeit verlassen hat: Sie „hatte ein ehrbares, unglückliches Leben gegen das unehrenhafte, unglückliche Leben einer Frau eingetauscht, die sich von der Liebe losgesagt hatte“.

Deborah Levy arrangiert ihr Personal mit dramaturgisch gut kalkulierter Kraft: Selten tritt man in Gruppenbildern auf, meist in Konstellationen zu zweit oder zu dritt. Mit wenigen Details erschafft sie eine sinnliche Szenerie. Ihre Sprache bewegt sich mit knapper Präzision und mündet immer wieder in trockene Pointen ohne jede Effekthascherei.

„Heim schwimmen“ ist auch der Titel des von Kitty verfassten Gedichts, das Joe unbedingt lesen soll. Der Schriftsteller heißt eigentlich Jozef und stammt aus Polen. Er wurde im Alter von fünf Jahren von seinem Vater im Wald ausgesetzt, um ihn vor der Deportation zu retten. Das frühkindliche Trauma hat irreparable Folgen: „Es sollte nicht sein, dass er in ihr nach Liebe suchte, aber er konnte nicht anders. Er würde bis ans Ende der Welt laufen, um Liebe zu finden.“

In Jozefs Biografie und dessen Gedichten meint die junge Frau einen ebenfalls unglücklichen Seelenverwandten erkannt zu haben: „Ich bin nach Frankreich gekommen, um dich von deinen Gedanken zu erlösen.“ So führen ihn die Begegnung und die Intimität mit Kitty „an den Rand einer gefährlichen Wahrheit“, der er sich lange entzogen hatte. Ursula Escherig

Deborah Levy: Heim schwimmen.

Roman. Aus dem

Englischen von

Richard Barth.

Wagenbach Verlag, Berlin 2013.

168 Seiten, 17,90 €.

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