Rotterdam: Innovatives Museumsprojekt: Depot als Museum
Neues Depot? Riesen-Museum! Das Collectiegebouw-Projekt des Museums Boijmans Van Beuningen in Rotterdam
Das Problem kennen alle Museen: Nur ein Bruchteil der hochklassigen Sammlung kann gezeigt werden, der Rest ruht im Depot. Doch was, wenn die Depots den Anforderungen der Zeit nicht mehr genügen, über die Stadt verstreut und zudem von Hochwasser bedroht sind? Das Museum Boijmans Van Beuningen in Rotterdam hat sich nun zu einer Weltpremiere entschlossen: Das Museum möchte alle 145 000 Objekte seiner über 165 Jahre alten Sammlung der Öffentlichkeit zugänglich machen. Also nicht einfach ein zentrales Depot bauen, sondern eine Architekturikone, die ein neues Publikum begeistert und attraktiv für die Sammler ist, die der Stadt ihre Kunstwerke anvertrauten.
Bürgerschaftliches Engagement spielte hier schon immer eine große Rolle. Bereits die Gründung des Museums 1849 beruht auf der Sammlung des Rechtsanwalts Frans Jacob Otto Boijmans, 1958 wurde es um die des Reeders Daniel George van Beuningen erweitert. In der Hafenstadt kamen viele Bürger zu Wohlstand und stifteten ihre Werke. Nun hat die Stiftung „De Verre Bergen“ 20 Millionen Euro zugesagt, falls die Stadt sich dazu durchringen kann, den ausgewählten Entwurf des Architektenbüros MVRDV zu realisieren.
Die Summe entspricht genau der Differenz zwischen einem klassischen Depotgebäude und dem Collectiegebouw, einer Sammlungsstätte, von der alle profitieren können. Kürzlich fiel nun auch die Entscheidung des Stadtrats, das 52 Millionen-Projekt neben dem bisherigen Museum zu bauen. Die Stadt wird Hauptmieter und vermietet den Neubau an das Museum – zunächst 40 Jahre lang.
Das Büro MVRDV hat eine Art verspiegelter großer Kaffeetasse entworfen, mit einem Durchmesser von 40 Metern am Boden und 60 Metern in der Höhe. In der Fassade spiegelt sich das Grün des Parks. Ein Expresslift führt aufs Dach, wo man im Grand Café nebst Birkenwald die Skyline der Stadt genießen kann. Vom ersten Stock an führen Treppenkäfige durch das schwindelerregende Atrium von sechs mal 18 Metern und gut 30 Metern Höhe – eine Treppenführung, die an Piranesi oder Harry Potter erinnert. Hier sollen Hunderte von Bildern wie in einer alten Kunstkammer übereinander aufgehängt werden – der Besucher kann sie mithilfe von Ferngläsern genauer in Augenschein nehmen.
Die eigentlichen Depots sind auf fünf Etagen untergebracht, geordnet nach Gemälden, Fotografie, Grafik etc. Dazwischen sind Flächen für temporäre Ausstellungen vorgesehen, auf denen die Sammler Teile ihrer Kollektion auch außerhalb des klassischen Museums präsentieren können – sie können die Räume dafür mieten. Diese Ausstellungsflächen bieten immer wieder interessante Ausblicke auf den umgebenden Museumspark und die Stadt. Nachtsichtgeräte geben Einblick in besonders geschützte Depotbereiche, digitale Informationssysteme erläutern die Schwerpunkte der Sammlung.
Wer mehr wissen möchte, kann mittels Führung mit Guide und Wächter in die verschlossenen Teile der Depots gelangen und sich die Werke dort erklären lassen; auch werden alle Objekte digitalisiert und ins Internet gestellt. Die Führungen geben außerdem Einblick in die Arbeit der Restauratoren und der Kuratoren, die gerade eine Ausstellung vorbereiten. So wird der Besuch des Sammlungsgebäudes weniger einem klassischen Museumsbesuch ähneln als einem Backstage-Besuch im Theater. Oder dem Betreten des Maschinenraums in einem Schiff.
Der Bau selber hat gute Chancen, zum neuen Wahrzeichen von Rotterdam zu werden – im edlen Wettstreit mit Rem Koolhaas’ Hochhauskomplex „De Rotterdam“ und der neuen Markthalle, ebenfalls von MVRDV. Selbst dann, wenn es Bindfäden regnet: Die Computeranimationen zeigen ein visionäres Gebäude, bei dem schon die Bäume in der Umgebung so angestrahlt werden, dass sie in der Fassade reflektieren – ebenso die Bäume auf dem Dach des Collectiegebouw.
Die vorbildliche Kooperation von Museum, Stadt und Bürgerengagement dürfte also Maßstäbe setzen für einen Museumsbau neuen Typs, der sich den Herausforderungen des 21. Jahrhunderts stellt. 2018 soll das Haus eröffnet werden.
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