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"Kopf. Das trojanische Pferd" von 1970

© Lempertz

Rückblick auf einen großen Bildhauer: Glanz glatt

Die Ausstellung im Berliner Auktionshaus von Lempertz hat Joannis Avramidis noch vorbereitet. Mit 93 Jahren verstarb der nun griechische Künstler.

Ihre Form lässt sie im Stadtbild nahezu verschwinden. Wo immer die Figurengruppen von Joannis Avramidis stehen – in Hamburg, Bamberg oder in Berlin auf dem Plateau der Neuen Nationalgalerie –, fügen sich die sanft gerundeten Körper aus Bronze wie von selbst ein. Das ist die Stärke, aber auch Schwäche jener Plastiken, die der große griechische Bildhauer seit den fünfziger Jahren stoisch fortentwickelt hat: Dass sie so selbstverständlich wirken, als hätten sie dort immer schon gestanden. Mit der Zeit kommt dann die Unsichtbarkeit.

In den sechziger Jahren war er auf der Biennale und der Documenta vertreten

In die Berliner Dependance von Lempertz ist Avramidis nun mit knapp 50 Werken und mehreren Zeichnungen eingezogen. Seine zwei Meter hohe „Kreisgruppe“ (Auflage: 3, je 700 000 Euro) schmückt das Blumenbeet vor dem Auktionshaus im Nikolaiviertel. Alles andere aber verteilt sich im lang gestreckten Innenraum. Große Arbeiten wie „Humanitassäule“ von 1963/1986 (Auflage: 3, je 300 000 Euro) neben einem Winzling wie „Orthogonaler Kopf (en face)“ aus silbrig schimmerndem Aluminium, der Ende der sechziger Jahre in einer höheren Auflage von 29 Exemplaren entstanden ist (35 000 Euro). Avramidis zählte damals schon zu den prominenten Bildhauern, hatte Österreich 1962 auf der Biennale von Venedig vertreten und war zwei Jahre später Gast der Documenta in Kassel. Ab 1966 lehrte er an der Wiener Kunstakademie, ging für ein kurzes Intermezzo nach Hamburg und 1968 als Professor zurück nach Österreich. Die aktuell gezeigten Plastiken stammen aus seinem Wiener Atelier mitsamt Skulpturengarten, wohin er sich zuletzt zurückgezogen hatte. Nicht verbittert, schreibt jene Autorin in der österreichischen Zeitung „Der Standard“, die ihn vor einiger Zeit noch besuchte. Doch mit der Einsicht, dass „das Besondere“ kaum noch wahrgenommen werde. Weil sich viele nicht mehr die Mühe machten, dieses Besondere anhand feinster Nuancen zu entziffern und zu unterscheiden.

"Kleine Fünffigurengruppe" von 1980
"Kleine Fünffigurengruppe" von 1980

© Lempertz

Beides lässt sich nun bei Lempertz nachholen. Joannis Avramidis, Jahrgang 1922, war auch hier angekündigt. Die Ausstellung hat er mitgeplant, die Fotos für die begleitende Broschüre noch abgenommen. Dann starb der Künstler unerwartet am 16. Januar mit 93 Jahren. Zuletzt feierte ihn das Kunsthistorische Museum in Wien zum runden Geburtstag mit einer Gegenüberstellung: Avramidis’ zeitlose Formsprache im Dialog mit den Skulpturen der Antike. Die Berliner Soloschau ist sein ungeplantes Vermächtnis.

Sie präsentiert ihn als Verfechter einer abstrakten Moderne. Avramidis nahm Maß am menschlichen Körper, zergliederte die einzelnen Partien – Kopf, Rücken, Po und Beine – dann allerdings nach geometrischen Regeln und formte sie um in zusammenhängende Volumen, Seine Rundfiguren haben glatte Oberflächen ohne Münder oder Nase, wie sie etwa noch der große „Kopf“ von 1970 (Auflage: 3, je 110 000 Euro) zeigt. Trotzdem assoziieren sie Menschengruppen in engem Kontakt. Für den Künstler symbolisieren diese wiederkehrenden Formationen die Polis und damit Bürger, die ihren Staat qua Versammlung selbst bilden. Der Einzelne wird Teil des Ganzen. Von Weitem mögen die Figuren identisch, sogar etwas standardisiert wirken. Aus der Nähe erkennt man minimale Varianten – jenes „Besondere“, dessen Wahrnehmung Avramidis bei seinen späten Zeitgenossen nicht mehr garantiert sah.

Avramidis' Skulpturen sind auch in Berlin allgegenwärtig

Sein Material signalisiert, dass die Werke für den Außenraum gedacht sind. Aktuell lässt sich bei Lempertz feststellen, wie sehr der Rückzug in den Innenraum bei der Wiederentdeckung diverser Qualitäten hilft. Den samtigen Oberflächen, der ruhigen, rhythmischen Sprache eines Künstlers, der ab 1945 vier Jahre lang Malerei studierte, bevor Österreichs Über-Bildhauer Fritz Wotruba als Lehrender sein Talent für das Plastische entdeckte und Avramidis als 30-Jährigen zurück an die Akademie holte.

Der fließende Duktus des Malers scheint in Kleinskulpturen wie „Sitzende Bandfigur“ aus Aluminium (Auflage 50, je 21 000 Euro) oder „Kopf. Das Trojanische Pferd“ von 1970 (Auflage 6, je 54 000 Euro) weiterhin sichtbar. Sie wirken wie gestische Statements im Raum, als habe Joannis Avramidis die Farbe in Bronzetönen direkt aus der Tube in die Luft gedrückt. Vom Sockel streben dicke Linien in die Höhe, bilden abstrakte und dennoch erkennbare Körper wie Köpfe, die das umfangreiche Oeuvre um eine Facette ergänzen. Dennoch bleibt es unverwechselbar streng und bei sich.

Lempertz Berlin, Poststr. 22, bis 24. 2., Mo–Fr 10–15 Uhr

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