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Herr Kaiser wurde ab 1996 von Nick Wilder verkörpert.

© Martina Nolte, commons.wikimedia.org

Rückkehr des Händeschüttlers: Im Außendienst

Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer war eine Werbeikone der alten Bundesrepublik. Nun ist er wieder da, als Revoluzzer in einem Popsong.

Was macht eigentlich Herr Kaiser? „Guten Tag, Herr Kaiser“, „Hallo, Herr Kaiser“, „Tag, Herr Kaiser“, überall, wo er auftauchte, strahlten einst die Menschen. Herr Kaiser von der Hamburg-Mannheimer war der Grüßaugust der alten Bundesrepublik, ein Dauerlächler, Händeschüttler, Besorgnisteiler und Kindern-über-den- Kopf-Streichler.

Gebräunt vom Baggersee

Stets korrekt in Schlips und Anzug, die Haare streng gescheitelt, sein dezent sonnengebräuntes Gesicht kündete vom letzten Aufenthalt auf Mallorca oder am Baggersee. So bewegte sich der Versicherungsverkäufer durch Grünanlagen, Kleingartenkolonien, Hochhaus- und Einfamilienhaussiedlungen. Manchmal saß er auch im Fußballstadion oder nahm in seinem BMW einen Anhalter mit. Haftpflicht, Unfallrisiken und Altersvorsorge waren seine Mission. „So was Wichtiges braucht gute Beratung“, lautete einer seiner Standardsätze. Die nötigen Unterlagen führte er in seinem Aktenkoffer mit sich. Bitte unterschreiben Sie: hier. Ähnlich dynamisch und jugendfrisch wirkte in den Helmut-Kohl-Jahren bloß noch der föhngesichtige Sascha Hehn, wenn er in der „Schwarzwaldklinik“ in sein VW- Cabrio sprang.

Freunde nannten ihn Günter

Herr Kaiser, von dem man erst spät erfuhr, dass er den Vornamen Günter trug, war ein Dreißig-Sekunden-Held. Die Filmchen mit ihm liefen seit 1972 im Werbefernsehen, sie haben sich ähnlich tief ins kollektive Gedächtnis gesenkt wie die Clips mit der Geschirrspülfee Tilly („Sie baden gerade Ihre Hände darin“) oder mit Rudi Carell als Supermarktleiter („Große Auswahl, kleine Preise“). Kaiser, nacheinander von drei Schauspielern verkörpert, verlor 2009 seinen Job. Bald darauf wurde der Ergo-Versicherungskonzern, Nachfolger der Hamburg-Mannheimer, von einem Sexskandal erschüttert, der sich in einem Budapester Thermalbad abgespielt hatte. „ ,Mordsspaß’ mit Prostituierten für die Truppe von Herrn Kaiser“, so eine Schlagzeile von damals.

Was bleibt einem übrig, der sich jahrzehntelang für seinen Job verausgabt hat, Police um Police verkloppte, Prämienrekorde knackte und dann aussortiert wurde? Resignation, Verbitterung, Nostalgie. „Die Leute kannten mich, nannten mich beim Namen“, singt die Hamburger Band Kettcar in ihrem vor Kurzem veröffentlichten Song „Palo Alto“. „Sie waren gut beraten in dem Raum, wo jetzt die Geldautomaten sind.“ Aber verschwinden nicht inzwischen auch die Geldautomaten aus dem Stadtbild?

Fremd in der High-Tech-Moderne

Palo Alto, das ist ein kalifornisches High-Tech-Reservat, berühmt durch die Stanford University, die Gegenwelt zur Übersichtlichkeit von Kaisers Revier, der BRD vor 1989. „Wenn die vom Jobcenter fragen, kannst du ihnen sagen: Wir sind unterwegs mit allem, was wir haben“, heißt es weiter in dem treibenden Talkin’ Blues, der nach Bruce Springsteen klingen soll. Günter Kaiser bricht zusammen mit anderen Verlierern auf, „die Algorithmen zu zerschlagen“. Sein Anzug ist zerschlissen, der Aktenkoffer mit Butterbroten und hart gekochten Eiern gefüllt. Aber er lächelt endlich wieder. Die Revolution beginnt mit Außendienst.

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